Björn SC Deigner

Ein Kommentar anlässlich keiner Uraufführung: Das Theater und seine Texte und Warum das Theater die Verantwortung einer Uraufführung ernst nehmen muss

Eine Betrachtung von Friederike Emmerling aus Anlass keiner Uraufführung von IN STANNIOLPAPIER von Björn SC Deigner am Deutschen Theater Berlin in der Regie und in der Fassung von Sebastian Hartmann

 

1)

Ein Theatertext wird für das ihm genuine Medium Theater geschrieben. Er wird für das Theater geschrieben, weil er ein Teil des zu entstehenden Zusammenspiels der Künste und Kräfte sein muss. Im Probenprozess muss er seine Stabilität beweisen. Er ist das zu sprechende Wort im Spiel und kann erst über die Inszenierung für ein Publikum erfahrbar werden. Er kann auch erfahrbar werden, wenn er gelesen wird. Aber nicht vollständig. Weil dem Theatertext die Vollendung durch das Theater fehlt.

 

2)

Die Uraufführung eines Theatertextes durch das Theater verlangt eine besondere Verantwortung. Der Text braucht diese Verantwortung, weil er von außen an das Theater herangetragen wird. Er ist nicht Teil des Theaterbetriebs, sondern Zusatzteil. Entscheidet sich ein Theater, einen Theatertext uraufzuführen, trägt es Sorge, dass er so sichtbar wird, wie Sprache, Form und Inhalt es vorgeben. Der Text tritt mit seiner Uraufführung zum ersten Mal in Erscheinung. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Theatertext vorher von einem Publikum gelesen wurde.

 

3)

Niemand sollte gegen seinen Willen einen Text uraufführen müssen. Gleichzeitig muss alles Erdenkliche unternommen werden, um die Überzeugung von der Qualität des Textes in das Theater hinein zu kommunizieren.

 

4)

Eine gelungene Uraufführung akzeptiert den Theatertext als gleichberechtigten Teil des Zusammenspiels. Eine Uraufführung nicht. Um zu verhindern, dass eine Uraufführung für eine Uraufführung gehalten wird - und somit die verfälschte Wahrnehmung des Originaltextes manifestiert -, muss die Produktion notfalls abgesagt, umbenannt oder besonders kenntlich gemacht werden.* Das muss im gemeinsamen Gespräch herausgefunden werden. Nicht als Forderung des Autors an das Theater, sondern als Forderung des Theaters an sich selbst. Weil nur das Theater selbst das Theaterstück sichtbar machen kann.

*Gibt es hinsichtlich einer abweichenden Umsetzung des Theatertextes Konsens zwischen Theater und Autor - denn dabei geht es immer auch um ein Ringen - ist die Uraufführung natürlich trotzdem möglich. Dem müssen Gespräche vorausgehen. Wie überhaupt all diesen Vorgängen.

 

Friederike Emmerling

S. Fischer Verlag Frankfurt, am 21.6.2018


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