Unsere Stücke erzählen

Unsere Stücke erzählen

 

Die folgende Geschichte ist ein Gruß aus dem Verlag. Ein kleines Erbaaungsstück in diesen schwierigen Zeiten, hochgezogen und verputzt aus unseren großartigen dramatischen Titeln. Der Rest ist nur Mörtel. 

 

Je suis Fassbinder und folgendes las ich in den Quarantäne-Leiden des jungen Werthers: An einem Tag wie jeder andere stelle ich völlig vermüdet Radio Kashmir an. "Das ist jetzt das Neueste: Heute deutlich weniger Tote. Doch draußen tobt die Dunkelziffer. Das Wetter: 11° windstill und sunshine." Na hoffentlich ist das kein fake report. Ich drehe mich um und sehe hinter verzauberten Fenstern: Tatsächlich, der Himmel ist weiß, die Bookpinks singen, Wiederauferstehung der Vögel. Ja, Frühlingserwachen! Und trotzdem: Frankfurt ist eine dead city, eine große Depression. Das System ist total abgedreht. Jetzt und alles. Stunde null.

 

Meine Langweile ist total krass. Hier ein Ausschnitt aus meinem Suchverlauf: Dreier, Orgie, Fünffingerübung, Pussy Sludge, totficken, totalgespenst, topfit, Übergewicht. Und ein Gespräch mit einer Stripperin (ich zitiere; Ich: Katharina Knie für mich / Sie: Je t'aime). Was zur Hölle!? Ich weiß: In den Augen eines Fremden bin ich ein Opfer und wenn das so weitergeht, ende ich wie einer von denen, die ein Leben lang kurze Hosen tragen. Also beschließe ich, vor dem Frühstück den Duft der großen weiten Welt zu genießen. Meinem Exil, meinem Tagesraum zu entfliehen.

 

Ich war schon längst überm Zauberberg als ich das Ende von Iflingen, unsere kleine Stadt, erahnen konnte. Es war vor Sonnenaufgang, als ich am Bungalow der Brüder Karamasow vorbeikam und am Ende einer Landstraße, es war also auf keinen Fall auf der Greifswalder Straße, Amadeus, Romeo und Julia, Romeo hat aber in Wirklichkeit nur Augen für Consuela, und Effi Briest barfuß im Park sah. Ach Effi… Schade, dass sie eine Hure ist, sonst würde ich sie sofort heiraten. Aber sag mal, sind die vollkommen abgedreht?! Aufruhr im Zauberwald oder was? Wo ist der scheiß Hauptmann von Köpenick, wenn man ihn mal braucht? Höchstens zwei Personen und zwei Meter Abstand halten! Ist das denn so schwer zu verstehen!? Wir ziehen sonst alle die Arschkarte. Ich rief zu ihnen rüber: „Hören Sie mal! Hey! Hören Sie zu! ZUHÖREN!” Effi Briest vernahm mich und rief winkend: „Hey du! Wir warten auf Godot. Und danach gibt's Frühstück bei Tiffany. Und außerdem, Faust hat Hunger…". Stimmt, Faust war auch da, aber als kleiner dicker Ritter verkleidet. „Komm, gib mir deine Hand!“, rief sie, „In was für einer wonderful world wir doch leben. Wovor hast du eigentlich Angst?“ Was sagt sie da? Das ist ja totaler non(n)sens! Und außerdem: Genau das ist der worst case! Nur über meine Leiche! Wir müssen alle gute Untertane sein, es gibt keinen Plan(et) B, sonst heißt es nämlich in Ewigkeit Ameisen! Schließlich haben wir doch nur 1 yottabyte Leben. Aber andererseits... Jedermann stirbt und wenn sie keine fear haben sollen sie doch ersticken und zu Engel werden. Ruhig Blut, dachte ich mir und rief nur: "Verbrechen und Strafe". Hallo und Adieu ihr Idioten.  Zufrieden wendete ich mich nordwärts ab, lief noch etwas am Wasser entlang, später über die Brücke und trat dann die weite Heimreise an, zurück, in mein Haus des Friedens.

 

Was es zum Frühstück gab? Was ihr wollt! Neben dem täglich Brot, Wildente, Trüffel, Fisch um Fisch, Dosenfleisch, Fondue, Wiener Würstl und Berliner mit Schuss und zum Nachtisch Pfefferkuchen und Gin. Ich war wie im Rausch. Es war wahrlich ein Gemetzel, ein Fest.

 

Denn was jetzt zählt, ist die Kunst des Wohnens. Mehr können wir in diesen Zeiten nicht erwarten, als Liebe, Stärke, Mitgefühl. Das Ende kommt schon noch und dann können wir sagen: Wir sind noch einmal davon gekommen.


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