Lamin Leroy Gibba

Well Made BLACK Play in Germany

Well Made BLACK Play in Germany(c) Jerry Joe

Der junge Schauspieler, Autor und Produzent Lamin Leroy Gibba kommt nach seinem Studium in New York zurück nach Deutschland und mischt die Film- und Theaterszene richtig auf. Mit seiner Vorliebe für deutsches Theater und amerikanisches Well Made Play bringt er eine völlig neue Tonlage in die deutschsprachige Dramatik. Vom Glück des Unerwarteten und der Chance, die sich dadurch für uns alle bietet, erzählt Friederike Emmerling.

 

Manchmal explodiert das Herz unerwartet. Vor Glück. Zuletzt beim Heidelberger Stückemarkt. Neun Schwarze Performer:innen betreten die Bühne und lesen DOPPELTREPPE ZUM WALD von Lamin Leroy Gibba. Ein perfekt orchestriertes, köstlich unterhaltsames Stimmengewirr beginnt. Neun Figuren* treffen in einer Safer Space Community für afro-deutsche Menschen aufeinander. Und weil alle durcheinander sprechen, provozieren, reagieren - oder auch nicht -, weil Befindlichkeiten thematisiert und Ängste formuliert, weil aufgedreht kommuniziert, introvertiert hyperventiliert, gestritten, geliebt und gelogen wird, wirken sie auf den ersten Blick zwar wie eine eingeschworene Gemeinschaft, auf den zweiten Blick aber auch wieder gar nicht. Wie kompliziert die verschiedenen Rollenzuschreibungen und Erfahrungen miteinander zu verbinden sind, macht Lamin Leroy Gibba in seiner Mixtur aus Partytalk und Selbsthilfegruppentherapie erfahrbar. Indem er die Figuren mit liebevoller Komik betrachtet, lockt der Autor das lachende Publikum auf hauchdünnes Eis. Weil immer wieder Sätze fallen, die wie Gift in die Fröhlichkeit sickern. Sätze, in denen der Schmerz und die tiefsitzende Verunsicherung unausweichlich spürbar sind. Weshalb man beim Zuhören immer tiefer in eine Ahnung dieser vielfältigen Abgründe rutscht. Nichts ist so eindeutig, wie es scheint, es geht immer wieder darum, einander zu verstehen und weiterzugehen. Ein leuchtender Spalt klafft auf, ich fühle mich eingeladen. Mein Herz klopft laut, als ich nach der Lesung zum Autor gehe. Ich bin mir unsicher, ob ich als weiße Frau anbieten darf, Schwarze Erzählungen weiterzutragen. Ich bin mir aber sehr sicher, dass ich helfen will, dieses Leuchten weiterhin erfahrbar zu machen. Lamin Leroy Gibba ist sehr groß, trägt einen langen schwarzen Ledermantel und ist unglaublich höflich. Er sieht aus wie ein Filmstar. Und irgendwie ist er das auch. Zumindest ein angehender. Mit dem Kurzfilm HUNDEFREUND gewann er 2022 den ersten Preis beim Internationalen Kurzfilmfestival Berlin und wurde für den Deutschen Kurzfilmpreis nominiert. Seine Serie SCHWARZE FRÜCHTE, in der er ebenfalls Drehbuchautor, Showrunner und Hauptdarsteller ist, wird ab 2024 in der ARD Mediathek ausgestrahlt. All das kann ich in diesem Moment noch gar nicht wissen. Ich stottere aufgeregt, als ich ihm von meiner Begeisterung erzähle. Aber das ist egal. Momente, in denen das Herz vor Freude explodiert, müssen ernst genommen werden.

 

DOPPELTREPPE ZUM WALD gewann beim 40. Heidelberger Stückemarkt 2023 den Publikumspreis und den SWR2 Hörspielpreis. Die Uraufführung dieses Stücks wird jedes Theater besetzungstechnisch vor eine große Herausforderung stellen. Doch nach der Lesung war klar: Das Ergebnis wird den Aufwand wert sein. Weil dieses Stück mehr ist als nur ein Theaterabend. Es ist ein lustiger und ein aufwühlender Gesprächskatalysator, und es ist eine sehr ernstgemeinte Einladung zur Auseinandersetzung. Schlussendlich lädt DOPPELTREPPE ZUM WALD dazu ein, dass die Theater im deutschsprachigen Raum sich als großes Ganzes verstehen. Weil die zu verhandelnden Themen zu groß sind, um sie alleine stemmen zu können. Welche Kraft könnte durch ein großes Miteinander entfaltet werden? Die Treppen, die von der Kunst erklommen werden müssen, sind keine herkömmlichen. Sie können auch mal doppelt sein oder dreifach, neunfach gar, und an ihrem Ende warten nicht zwangsläufig der erste Stock oder das Dachgeschoss, sondern zum Beispiel ein großer, unentdeckter Wald. Höchste Zeit, ihn neugierig zu betreten.

Friederike Emmerling

 

* Alle Figuren sind Schwarz und müssen von Schwarzen Performer:innen gespielt werden. Afro-Deutsch, Schwarz, Afrikanisch, Deutsch usw sind die Selbstbezeichnungen der einzelnen Figuren. Dunkelhäutig und Hellhäutig bezieht sich auf das Hautfarbenspektrum Schwarzer Menschen. Die Geschlechtsidentitäten der Figuren passen sich den Performer:innen der jeweiligen Produktion an


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