© Murdo Macleod

Anthony Neilson

Anthony Neilson, 1967 in Schottland geboren, begann nach seinem Studium in Edinburgh und am Welsh College of Music and Drama in Cardiff in den späten achtziger Jahren als Schauspieler und Regisseur zu arbeiten. Seit 1990 schreibt er für Film und Fernsehen sowie Hörspiele und Theaterstücke.

Anthony Neilson, 1967 in Schottland geboren, begann nach seinem Studium in Edinburgh und am Welsh College of Music and Drama in Cardiff in den späten achtziger Jahren als Schauspieler und Regisseur zu arbeiten. Seit 1990 schreibt er für Film und Fernsehen sowie Hörspiele und Theaterstücke.

Theater
Anthony Neilson

Der Zensor

Deutsch von Roland Schimmelpfennig
2 D, 1 H, Verwandlungsdek

Schauplatz der Handlung ist das Büro des Zensors, tief unten in einem dunklen Kellerraum, von seinen Zensurkollegen bezeichnenderweise "das Arschloch" genannt. Hier verbringt er täglich acht Stunden damit, sich die Art pornografischer Filme anzusehen und zu begutachten, die im Zweifel vom British Board of Film Censors verboten werden. Was er in Wirklichkeit zensiert, wie bald klar wird, sind seine eigenen Wünsche, seine sexuellen Phantasien, derer er sich seiner Frau gegenüber schämt und die zu seiner Impotenz im Ehebett und seiner langen Laufbahn als bezahlter Voyeur geführt haben.

In diese hermetisch abgeschlossene Welt dringt eine Frau ein und stellt sie auf den Kopf. Miss Fontaine ist eine junge Regisseurin, die wild entschlossen ist, seine Entscheidung, ihren Pornofilm zu verbieten, umzustoßen. Ganz cool zieht sie gleich ihr Hemd aus, bereit alles zu tun, damit er ihren Film genehmigt und seine Bedeutung begreift: die augenscheinlich pornografische Handlung zeichnet nämlich den Verlauf einer Liebesgeschichte nach, wie sie sagt.
Im Laufe ihrer Zusammentreffen führt Miss Fontaine den Zensor durch eine Reihe erstaunlicher sexueller Akte. Ist sie die Femme fatale, die ihn auf die Probe stellen soll, oder ist sie ein Geist, der von ihm Besitz ergriffen hat und ihm seine schmutzigsten unterdrückten Begierden entlockt?

Letztlich ist Der Zensor auch eine Liebesgeschichte ... Statt der üblichen politischen Verurteilung der Zensur als Mittel totalitärer Machtausübung, ist Neilsons Stück eine traurige, einsame Geschichte, die die emotionalen, menschlichen Konsequenzen von Zensur ausleuchtet.

Theater
Anthony Neilson

Familienbrut

Deutsch von Claus Peter Seifert
2 D, 3 H, Verwandlungsdek

Familienbrut erzählt die Geschichte der 21jährigen Claire, die sowohl ein Verhältnis mit Sid als auch mit dessen Vater Dickie hat. Nachdem sie sich auf Sids Drängen hin von Dickie trennt, erleidet Sid einen schweren Autounfall und ist fortan gelähmt und geistig behindert.
Sein Vater pflegt ihn, Claire aber wendet sich von beiden ab, wenngleich sie Sid für den Weihnachtsabend im Familienkreis aufnimmt.
Auf der anderen Seite stellt Neilson die Geschichte von Felicity (Fliss), der Halbschwester Claires, deren Vater bei einem Autounfall ums Leben kam, dar. Um so verwirrender erscheint es, als Fliss plötzlich Claire begeistert erzählt, den Vater wiedergefunden zu haben. Sie nimmt jenen Tramp bei sich zu Hause auf und versucht, in ihm mit Briefen und Anekdoten Erinnerungen wieder hervorzurufen. Ihr Umgang mit ihm wechselt ständig zwischen Dominanz, wenn sie die Begegnung zwischen ihm und seiner Frau herauszögert, und kleinkindlichem Kuschelbedürfnis.
Aber ist Tramp tatsächlich der zunächst totgeglaubte Vater? Und beschimpft Claire nur aus Harmoniebedürfnis am Weihnachtsabend Fliss nicht mehr als "absolut übergeschnappt" und "geisteskrank"?

Anthony Neilson beschreibt mit kraftvoller Sprache in einer ausgewogenen Komposition anrührender, verwirrender, lustvoll-sexueller und tragischer Momente das schicksalhafte Auf und Ab menschlicher Beziehungen in ihrer ganzen Vielfältigkeit und Bandbreite.

Theater
Anthony Neilson

Frohes Fest

Deutsch von Barbara Christ
3 D, 4 H, 2 Dek

Die Polizisten Blunt und Gobble haben am Abend vor Weihnachten noch eine schwere Aufgabe vor sich. Sie müssen dem alten Ehepaar Corner schonend beibringen, dass ihre Tochter bei einem Unfall ums Leben kam. Blunt und Gobble, ein herrlich kompliziertes Gespann, bilden in der Tradition von Dick und Doof eine Lebensgemeinschaft, in der Intelligenz nur mäßig, und wenn überhaupt nur bei Blunt, dafür aber Gefühlsduselei stärkster Ausprägung eine wichtige Rolle spielen. Nach diversen Anläufen schaffen sie es endlich, den gefürchteten Klingelknopf zu drücken. Die Kette der Missverständnisse nimmt ihren Lauf, als die beiden Alten fälschlicherweise vom Tod des Hundes ausgehen. Voller Angst um den wackligen Gesundheitszustand des Vaters, versuchen Blunt und Gobble nun mit aller Gewalt das Erscheinen des Hundes und damit die unvermeidliche Wahrheit zu verhindern.

Frohes Fest ist eine bitterschwarze Komödie, die hemmungslos von einem Tabu zum nächsten springt. Dunkelster Humor in bester englischer Tradition macht aus diesem Stück einen deftigen Happen für alle, die wieder einmal herzhaft lachen wollen. Denn eines ist sicher, so die Financial Times: "it often reduces much of the audience to tears of laughter."

"In contrast, the woman sitting next to me didn't crack a smile all night, but theatre audiences have always divided into those who love farce, and those who can' t stick it at any price." (Daily Telegraph über die Uraufführung)

Theater
Anthony Neilson

Realismus

Deutsch von Patricia Benecke
3 D, 4 H

Ein Tag im Leben Stuart McQuarries: Es ist Samstagmorgen und Stuart hat beschlossen, nicht aus dem Haus zu gehen. Wozu auch? Die Beziehung zu Angie liegt brach und seine ewig nörgelnde Mutter und seine Katze Galloway verachten ihn. Da schlurft Stuart trotz freundlicher Aufmunterungen seines Kumpels Paul Blair doch lieber in Unterhosen durch die Wohnung und gibt sich Tagträumen hin. Bewusstsein und Unterbewusstsein verschwimmen rasch: Stuart hört die Kommentare der Hinterbliebenen bei seinem eigenen Begräbnis – nachdem er von seinem besten Freund mit einem Kissen erstickt wurde; er lebt seine kühnsten sexuellen Phantasien und plötzlich ist da ja auch wieder sein Spielkamerad Mullet, der ihn in seine Kindheit in den Siebzigern zurückversetzt. Und wieso verwandelt sich die Frau, die durch die Szene streift, mal in Angie und mal in seine Exfreundin Laura? Es scheint, als ob Stuart nur in der eigenen verworrenen Traumwelt er selbst sein kann. Die ist bald rosarot, bald rabenschwarz. Hat er je wirklich geliebt? Warum hat er eigentlich mit Angie Schluss gemacht? Und auch Mullet stellt unbequeme Fragen: „Was ist mit dir passiert, Mann? Du wolltest Astronaut werden. Was ist aus dem Jungen geworden, der eine Rakete bauen wollte, um zum Mars zu fliegen? Ich mein, guck dich doch mal an!“

2006 brachte er seine Komödie Realism am Royal Lyceum Theatre zur Uraufführung. Mit dieser Co-Produktion des National Theatre of Scotland und des Edinburgh International Festival feierte er große Erfolge und bewies damit einmal mehr, dass er zu den bedeutendsten Autoren des gegenwärtigen britischen Theaters gehört. (Ankündigung des Theater Bonn)

Aufführungsarchiv

Digitales Textbuch