Euripides

Theater
Roland Schimmelpfennig, Euripides

Bacchen

1 D, 6 H, Chor

Die Bacchen des Euripides, 406 vor Christus im Exil verfasst, zählt zu den grössten und zugleich auch rätselhaftesten antiken Tragödien. Dionysos, Gott des Rausches, der Ekstase und der Fruchtbarkeit, sucht die griechische Stadt Theben heim. Doch Pentheus, König von Theben, weigert sich, Dionysos als Sohn des Zeus und somit als Gott anzuerkennen. In einem schier aussichtslosen Kampf lehnt sich Pentheus gegen den Kult um Dionysos auf und wird dafür auf das Entsetzlichste bestraft, denn Götter sind nicht gnädig. Zwei unversöhnliche Prinzipien stossen aufeinander: rationales, kühles, in Frage stellendes Denken und kalkulierende Staatsraison einerseits, und die Forderung nach bedingungslosem Glauben andererseits. Zwei Extrempositionen ringen um gesellschaftliche Vormachtstellung. Schliesslich lässt Dionysos, der keine Widerrede duldet, seine Anhängerinnen, die Bacchen, am König Rache nehmen. Denn die Allmacht der Götter darf nicht angezweifelt werden. An den Konsequenzen leidet der Mensch–Opfer, jedoch auch Täter, wenn deren Rausch verflogen ist. Die antizivilisatorische Barbarei der Bacchen scheint heute aktueller denn je, denn ungewiss bleibt, ob das traurig an die Prinzipien der Aufklärung gemahnende Europa den ideologischen Kampf gegen die selbsternannten Rächer Gottes gewinnen wird.

Mit Roland Schimmelpfennig hat sich einer der relevantesten Gegenwartsdramatiker jener so grausamen Tragödie angenommen und eine präzise, schnörkellose und umso mitleidlosere Neuübersetzung verfasst, die von Robert Borgmann, der 2015 bereits das zweite Mal in Folge zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde, uraufgeführt wird. (Ankündigung Theater Basel)

Theater
Euripides, Clemens Schönborn

Medea

2 D, 3 H, Chor

Kaum eine andere Frau hat Dichter und Künstler über die Jahrhunderte so berührt und zu immer neuen Auslegungen inspiriert wie Medea. Sie ist eine der großen Frauengestalten der Dramenliteratur, deren Erfolg untrennbar mit ihren Interpretinnen verbunden ist – Anna Magnani, Diane Lane, Isabelle Huppert oder Maria Callas in Pier Paolo Pasolinis epochaler Verfilmung. Am Centraltheater übernimmt jetzt Sophie Rois die Rolle der Zauberin in einer Neubearbeitung des antiken Mythos.
Seit Euripides gilt Medea als Inbegriff für alles Fremde, Unbegreifliche, Grausame. Der ungesühnte Mord an ihren Kindern dient als Synonym für ihre barbarische Herkunft und die Bedrohung, die aus anderen Zivilisationen für die eigene erwächst. Erst im letzten Jahrhundert wurde versucht,Medea zu entschulden, sie mehr als Opfer denn als Täterin zu sehen: als gescheiterte Emigrantin in einer ihr feindlich gegenüberstehenden Gesellschaft.
Eine Sicht, die auch Sophie Rois im Gespräch mit Alexander Kluge vertritt: „Medea ist die Tragödie eines Menschen, der als ganzer Mensch in Ruhm und Ehre leben will. Dieser Mensch fordert sein Menschenrecht ein. Darum begeht er einen kalt kalkulierten politischen Akt. Medea ist ein strategischer Politiker. Deshalb ist Medeas Mord an den Kindern keine emotionale Tat. Sie hat nur kein Gebiet mehr, auf dem sie sich bewegen kann. Sie ist raus aus ihrer politischen Wirkung, sie ist keine Königin mehr. Sie ist nur noch die Frau von diesem Mann, Jason, was anderes ist sie nicht mehr. Dagegen handelt sie, indem sie der Dynastie, die geplant wird, die Nachkommen abschneidet.“
Michael Billenkamp

Theater
Euripides, Roland Schimmelpfennig

Prolog/Dionysos

1 D, 6 H, Chor der Mänaden

Prolog
Die Geschichte der Stadt Theben beginnt mit einem zweifachen Mord. Nachdem Kadmos vergeblich seine von Zeus entführte Schwester Europa auf dem Kontinent gesucht hat, wendet er sich an das Orakel von Delphi. „Vergiss die Schwester“, lautet die Antwort, „treibe eine Kuh vor dir her und dort, wo sie sich niederlässt, gründe eine Stadt.“ Kadmos hetzt die Kuh so lange vor sich her, bis sie tot zusammenbricht in der Nähe einer Quelle, die wiederum von einem Drachen bewacht wird. Den erschlägt Kadmos, bricht ihm die Zähne aus und sät sie in die Erde. Sofort wachsen aus den Zähnen bewaffnete Drachenmänner, Krieger, die sich gegenseitig niedermetzeln – nur fünf überleben das Massaker. Mit ihnen gründet Kadmos die Stadt Kadmeia, später das siebentorige Theben genannt. Von Anfang an ist die Gewalt der Zivilisationsgeschichte eingeschrieben. Schon die ersten zivilisatorischen Maßnahmen zur Gründung dieser Urstadt der westlichen Welt zeigen sich als Tötungsdelikte. Die Vernichtung des Tieres und des Tierwesens ist quasi die Voraussetzung, um überhaupt als Gesellschaft im urbanen Raum existieren zu können. Wie aber lassen sich die Gewaltakte stoppen, die die Grundfeste der Menschenstadt von Generation zu Generation aufs Neue erschüttern?

Dionysos
Die Geschichte von der Geburt des Dionysos aus dem Schenkel des Zeus klingt mehr als bizarr. Kein Wunder, dass sie niemand glauben will in Theben, nachdem Dionysos’ irdische Mutter Semele, eine Tochter des Kadmos, so schändlich verbrennen musste. Angeblich hat der Erzeuger Zeus den Fötus aus dem Feuer geholt und in seinem Bein ausgetragen. Inzwischen ist Theben zu einer reichen Stadt angewachsen, und Kadmos hat den Thron an seinen Enkel Pentheus abgetreten. Da taucht Dionysos auf und behauptet, ihm stünde religiöser Kultstatus zu. Doch der auf Maß und Regeln getrimmte Pentheus verweigert ihm den Glauben. Dionysos stürzt daraufhin das Ordnungssystem des Patriarchen in eine tiefe politische und moralische Krise. Er schickt die Frauen auf einen Trip und verbreitet unter ihnen Wahnsinn und Raserei. Der Rausch endet grausam und blutig. Dionysos triumphiert über die Ungläubigen der Stadt. Er scheint eine kollektive Lust am gewaltsamen Untergang freigelegt zu haben, die dem Konstrukt „Stadt“ in seinen verdrängten Positionen innewohnt.

Mit den Bakchen hat Euripides seine letzte und radikalste Tragödie geschrieben. Die Übertragung und Bearbeitung der Bakchen unter dem neuen Titel Dionysos verschärft die Konflikte zwischen Untergangsphantasien und Vernunftdenken, Ordnungswahn und Lust am Chaos zu heutigen Fragestellungen einer Stadtgesellschaft. Wieviel Spannungszustände sind wir noch bereit auszuhalten? (Ankündigung Schauspielhaus Hamburg)

Aufführungsarchiv

Digitales Textbuch