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S. Fischer Theaterverlag

Digitaler Fischer Salon – Ein ganz persönlicher Erfahrungsbericht

Ende Februar 2022 richtet das Team vom S. Fischer Theaterverlag wieder den jährlich stattfindenden Digitalen Fischer Salon für Autor:innen aus. Verena von Bassewitz ist zum ersten Mal dabei. Ein ganz persönlicher Erfahrungsbericht.

Digitaler Fischer Salon Videokonferenz

Eine Minute ist wirklich nicht viel Zeit, um das Gegenüber kennenzulernen, und deswegen beginnt der kalte Donnerstagabend im Februar mit einem Adrenalinkick, jedenfalls bei mir. Bei den Vis-à-Vis begegne ich dreimal hintereinander 60 Sekunden lang zufällig ausgewählten Fremden in sogenannten Breakout Rooms. Das ist aufregend, aber auch ein wenig frustrierend, denn das System ist gnadenlos. Sobald die Zeit abgelaufen ist, fliegt man aus den Rooms raus, egal, ob der Satz zu Ende gesprochen ist oder nicht. Aber so ist das eben beim Speeddating: Es stresst ein bisschen und lässt einen mit dem Wunsch nach mehr zurück.

Ich berichte hier nicht von einem Single Event, bei dem ich den Partner fürs Leben finden soll, obwohl es auch bei dieser Zusammenkunft um zwischenmenschliche Verbindungen geht. Das rasante Speeddating ist die Eröffnung des Digitalen Fischer Salons 2022. Der S. Fischer Theaterverlag hat aus der Pandemie-Not eine Tugend gemacht und ein digitales Format entwickelt, um dem einsamen Job des Schreibens mehr Gemeinschaft einzuhauchen. Being The Other - Einfühlung oder Aneignung - in Anlehnung an den Film Being John Malkovich - ist das Thema, zu dem die Dramatiker:innen des Verlages eingeladen sind, eine zweistündige Gedankenparty zu feiern. In den Debatten der letzten Jahre wird der literarische Umgang mit Themen und Figuren kritischer und diverser betrachtet. Berechtigte Ansprüche werden gestellt, es entstehen aber auch tiefe Gräben, egal, ob es um das Gendern geht oder um Worte, die zu Minenfeldern werden. 26 Dramatiker:innen kommen der Einladung nach, sich kennenzulernen, auszutauschen und gemeinsam an diesem kontroversen Thema abzuarbeiten, eine Zahl, die wahrscheinlich nur erreicht werden konnte, weil jede:r sich vom heimischen Sofa aus zuschalten konnte. Die schwierige Frage, in wessen Köpfe man beim Schreiben klettern kann und darf, wird natürlich auch mit so vielen klugen Köpfen im digitalen Salon nicht beantwortet werden. Aber eine Antwort sollte bei einem so komplexen Thema auch nicht das Ziel sein, sondern eine gemeinsame Suche, vielleicht eine Annäherung, auf jeden Fall zumindest ein Austausch.

Seitdem ich zum Team vom S. Fischer Theaterverlag gehöre, sind leider abgesagte Premieren, Home Office und Kontaktbeschränkungen die Regel. Deswegen hatte ich bisher kaum Gelegenheit, die Autor:innen persönlich kennenzulernen. So vielen talentierten Menschen auf einem Schlag zu begegnen war für mich fast eine Überforderung (einige Fan-Girl-Momente inklusive). Doch meine Aufgeregtheit ist unbegründet, denn die Stimmung im Salon ist interessiert und entspannt. Anscheinend haben sich die meisten Teilnehmer:innen schon mit digitalen Formaten angefreundet, und so kommt es weder zu dem gefürchteten digitalen Gesprächspausen, noch zu größeren technischen Störungen. Der Hauptteil der Veranstaltung besteht aus zehnminütigen Impulsen und Fragerunden, bei denen Fiston Mwanza Mujila, Annalena Küspert und Thomas Perle beispielhaft von ihrer Arbeit berichten. Fiston Mwanza Mujila spricht mit Friederike Emmerling darüber, wie er erst in Deutschland „schwarz“ wurde und wie es ist, in drei unterschiedlichen Sprachen zu schreiben. Annalena Küspert erklärt die ungleichen Machtverhältnisse in Theatervorstellungen für junges Publikum, wo Kinder und Jugendliche in von Erwachsenen gemachte Inszenierungen sitzen und sich auch noch an die von Erwachsenen definierten Regeln halten müssen. Thomas Perle erzählt, dass er mit schwulen Protagonisten in seinem Geburtsland Rumänien auf heftigen Widerstand und gleichzeitig große Zustimmung gestoßen und wie er mit verbotenen Männerküssen umgegangen ist. Nach jedem dieser Impulse finden sich zufällig ausgewählte Vierergruppen in Séparées wieder, wo angeregt diskutiert wird. Das Thema treibt alle um, und der Austausch darüber ist emotional, aber auch sehr reflektiert. Mein Eindruck ist, dass sich die meisten schon seit langen mit der Thematik auseinandersetzen und dass sich keiner leichttut mit der Frage, wessen Geschichte aus welcher Perspektive erzählt werden darf.

Nach zwei Stunden schaue ich plötzlich auf die Uhr und auf das ausgetrunkene Weinglas und bin erschrocken über alles, was noch gesagt werden müsste, über die Fragen, die ich noch stellen wollte, und ärgere mich, dass ich nicht mit jedem sprechen konnte. Aber leider muss auch diese Veranstaltung ein Ende haben. Eine letzte Runde in den einminütigen Vis-à-Vis Räumen ist kaum genug, um sich mental von dem Abend zu verabschieden. Noch ein letztes Mal in die Kamera winken und schon werden nach und nach alle Kacheln schwarz. Ich sitze wieder alleine vor dem Bildschirm. Aber so ist das eben beim Speeddating: Es lässt einen mit dem Wunsch nach mehr zurück. Und mehr Begegnungen und Gespräche wird es in Zukunft auf jeden Fall geben, vielleicht sogar persönlich und dann hoffentlich auf der legendären Dachterrasse des S. Fischer Verlages in Frankfurt am Main.

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