Theater
Fokus

Nele Stuhler

“Unsere Zeit war doch gerade erst gekommen” – GAIA RETTET DIE WELT am Staatstheater Nürnberg

Friederike Emmerling erzählt, wie die Leute in Nele Stuhlers GAIA RETTET DIE WELT alles dransetzen, ihre Urmutter davon zu überzeugen, dass sie wirklich keine Schuld am Untergang der Welt haben und Gaia sich jetzt bitte selbst und die Leute gleich mit retten soll, und die Süddeutsche Zeitung über diese Verbindung von Schöpfungsgeschichte und selbstverschuldetem Untergang am Staatstheater Nürnberg schreibt: “Und das ist großartig”.

Produktionsfoto von Gaia rettet die Welt © © Konrad Fersterer

Es ist halt - wie immer - alles nicht so einfach. Selbst als Schöpferin der Welt. Weil auch Geschöpfte ziemlich nervig sind. Und als Gaia dann die Leute schöpft und die immer mehr werden und sie nach und nach krank machen und trotzdem immer noch an nichts schuld sein wollen, weiß sie wirklich nicht mehr, was das alles soll. Die Wurzel allen Übels liegt in einer eingepflanzten Rippe, die Gaia aus Langeweile in die Erde steckt, um nach ein paar 1000 Jahren Leute ernten zu können. Und weil die Leute zwar ganz nett, aber auch nicht wirklich besonders sind, versuchen sich alle Götter mal am Leutemachen, aber irgendwie ist das nicht so wirklich einfach, und die Leute sind auch nie so richtig gut, und irgendwann wird das auch langweilig. Es gibt nur ein Problem: Die ganzen Leute gehen nicht mehr weg, im Gegenteil, sie werden sogar immer mehr. Und sie denken nicht daran, sich wieder abschaffen zu lassen. Mit großer Hartnäckigkeit und unerschöpflicher Diskussionsfreude versuchen sie Gaia davon zu überzeugen, dass sie doch selbst schuld sei an dem verheerenden Zustand der Welt (also ihrem eigenen), da sie die Leute ja schließlich erst geschaffen habe. So beschwören sie ihre Schöpferin Gaia eindringlich: „Ja gut, aber wenn wir dazu gehören, dann muss auch alles von uns dazu gehören dürfen. Dann musst du uns liebhaben, wie wir sind. Auch wenn wir so sind, dass wir dich krank machen. Das musst du dann auch liebhaben. Und dass wir uns zu selten melden. Und dass wir genau nicht das sind, was du dir erwartet hast, von deiner letzten großen Schöpfung.“ Nele Stuhlers Schöpfungsgeschichtenkomödie ist ein hinreißendes Debattierdebakel, über die Genese der Menschheit und die beliebig dehnbaren und kreativ zu interpretierenden Grenzen der Eigenverantwortung. Wenig überraschend, dass das schallende Lachen dem Premierenpublikum zunehmend im Hals steckenblieb, weil die Scham über das eigene Verhalten wie warmer Pudding durch den Körper quillend jede Heiterkeit zu verschlucken drohte. “Zweifelsfrei ist das ein düsteres Panorama, aber eines, das man anschauen sollte. Denn noch ist es heiter”, befindet die Süddeutsche Zeitung. Dem können wir uns nur anschließen und eine Reise nach Nürnberg empfehlen, wo Regisseur Branko Janack die Uraufführung von GAIA RETTET DIE WELT als großen, selbstzerstörerischen Spaß auf der monumentalen Trashbühne von Cleo Niemeyer-Nasser inszeniert hat.
Zum Glück muss Gaia nicht mehr lange alleine die Welt retten, denn ab dem 22. Februar bekommt sie von sich selbst am Wiener Kosmostheater Unterstützung. Und im April wendet sie sich noch einmal ganz explizit dem Deutschen Theater Berlin zu, wo der letzte Teil der Gaia-Trilogie GAIA AM DEUTSCHEN THEATER (GÖ) sicher zu einer weiteren berauschenden Uraufführung führen wird.

„Und stell dir vor, wie kuhl es wär Wenn’s wirklich kuhle Leute gäbe“

Produktionsfoto von Gaia rettet die Welt
© © Konrad Fersterer
© William Minke 2019

Nele Stuhler

Nele Stuhler wurde 1989 in Osterburg (Altmark) geboren und wuchs in Berlin auf. Sie studierte Philosophie und Volksbühne in Berlin, Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen, Regie in Zürich und absolvierte den Lehrgang FORUM TEXT von uniT Graz. Sie arbeitet als Autorin, Regisseurin und Performerin und schreibt alleine und mit anderen. Ihre Arbeit Mauerschau entstand 2017 an den Sophiensaelen in Berlin und wurden unter anderem zum DramatikerInnen Festival Graz, dem Out-Now Festival Bremen und zum Jubiläum 30 Jahre Mauerfall der Stadt Berlin eingeladen und von Deutschlandfunk Kultur als Hörspiel realisiert. Für ihr Theaterstück Fische erhielt sie 2016 den Münchner Förderpreis für deutschsprachige Dramatik und 2018 den Else-Lasker-Schüler Stückepreis. Mit ihrer Theatergruppe FUX realisiert sie seit 2011 eigene Arbeiten unter anderem beim Treibstoff-Festival Basel, am Stadttheater Gießen, am Schauspielhaus Wien, an den Münchner Kammerspielen, am Mousonturm Frankfurt und am HAU Berlin. Eine enge Zusammenarbeit verbindet sie zudem mit Jan Koslowski, mit dem sie Arbeiten unter anderem am Ballhaus Ost Berlin, der Kunsthalle Rostock, der Ruhrtriennale Master Class und dem Schauspiel Frankfurt entwickelte.

Mehr erfahren
Digitales Textbuch