DSE Frei
Theater

Sebastian Barry

Der Hüter des Abendlandes

(The Steward of Christendom)

Zu Beginn des Stücks ist die Hauptfigur Thomas Dunne, des Autors Urgroßvater, ein alter Mann, eingesperrt in der Irrenanstalt seiner Heimatstadt Wicklow. Seine Gedanken kreisen immer wieder um die Vergangenheit, und so erfahren wir allmählich die Hintergründe seiner Situation.
Als loyales, unkritisches Mitglied der Dublin Metropolitan Police - folglich als Katholik im Dienste der Briten - war er beteiligt an der gewaltsamen Niederschlagung des Streiks von 1913. 1922 war er Polizeichef, als der Revolutionsführer Michael Collins in das Schloss von Dublin, dem Zentrum der Britischen Macht, zog und somit einen Bürgerkrieg auslöste, der Irland die Unabhängigkeit brachte und in dessen Gefolge die Polizei aufgelöst wurde.
Dunnes Tragödie ist, dass seine blinde Loyalität zur Ordnung, den Zeremonien und der Ethik der Polizei ihn in Konflikt brachten mit seinen republikanischen Landsleuten. Erst, als er "verrückt" und alt ist, beginnt er zu begreifen, dass diese eiserne Unflexibilität nicht nur sein öffentliches, sondern auch sein Familienleben beschädigt hat: von seinen drei Töchtern ist eine nach Amerika entflohen, eine andere hat sich in Depressionen geflüchtet, und nur die bucklige unverheiratete Annie ist geblieben, um sich seiner anzunehmen.

Deutsch von Martin Michael Driessen

4 D, 4 H, 1 Dek

UA: 30.03.1995 · Royal Court Theatre Upstairs, London · Regie: Max Stafford-Clark

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DSE Frei
Theater
Sebastian Barry

Die einzig wahre Lebensgeschichte der Lizzie Finn

Deutsch von Martin Michael Driessen
4 D, 4 H, St, Verwandlungsdek

"Wer singt, der zeigt seine Seele." Den Wahlspruch ihres Vaters, einem mittellosen irischen Bänkelsänger, hält Lizzie durch ihr Wanderleben als Künstlerin in Ehren. Als Can Can-Tänzerin ist sie, gemeinsam mit ihrer Freundin Jelly, die Hauptattraktion in den englischen Seebädern. Aber sie sehnt sich nach Irland zurück.
Auch Robert ist Ire, auch er fühlt sich heimatlos. Er hat im Krieg seine Brüder begraben müssen. Traumatisiert irrt er durch England. Er strandet bei Lizzie, beide lernen sich lieben, heiraten und gehen gemeinsam nach Hause.
In Irland stoßen sie auf eine snobistische Gesellschaft, die starr und zwanghaft an den "guten alten Zeiten" festhält, allen voran Lucinda, Roberts Mutter. Lizzie mit ihrer aufgeschlossenen und selbständigen Art ist ein Fremdkörper. Auf einem Ball bemüht sich die Gesellschaft zunächst, ihr Ressentiment gegenüber der Varieté-Künstlerin nicht zu deutlich zu zeigen. Aber die Freundlichkeit ist durchschaubar aufgesetzt. Sie kippt vollends, als Robert preisgibt, dass keiner seiner Brüder ruhmreich gestorben ist. Das Paar wird des Hauses verwiesen. Selbst Lucinda muss die Unerbittlichkeit, mit der die Gesellschaft sich gegen alles stellt, was ihre Grundfeste erschüttert, erfahren. Für sie kommt die Ablehnung einem Todesurteil gleich. Lizzie und Robert, ernüchtert ob so viel Bigotterie, nehmen ihr Wanderleben wieder auf. Die Music Halls mit ihrer Welt aus Schein versprechen mehr Ehrlichkeit.

Barry schreibt in atmosphärisch dichten Szenen nicht mehr und nicht weniger als den Abgesang auf ein zu Ende gehendes Jahrhundert.

DSE Frei
Theater
Sebastian Barry

Die Madonna von Sligo

Deutsch von Martin Michael Driessen
4 D, 2 H, 1 Dek

Mai liegt in einem irischen Krankenhaus. Sie ist 53 und das "Wrack einer schönen Frau". Mai, vom Krebs zerfressen, wird sterben. Im Morphiumrausch erscheint ihr "Daddah" und läßt noch einmal ihre angeblich glückliche Kindheit auferstehen. Das Morphium macht sie aber auch ungerecht und unleidlich: gegenüber ihrem Mann Jack, ihrer Tochter Sloane und gegen das Leben. Das Leben allerdings hat keinem der dreien Glück gebracht. Sligo, ihr Heimatort, ist das Symbol dafür: So, wie der Ort durch den Fluss verschlammt wurde, versackte auch die Familie in einem Sumpf aus Langeweile, Unverständnis und Provinzialität. In Selbstgesprächen erinnern sich Mai, Jack und Sloane an die einzelnen Stationen der Trostlosigkeit. Mai, behütet aufgewachsen, heiratete Jack aus Verzweiflung, nachdem ihr angebeteter Vater gestorben war. Die Heirat war eine hilflose Trotzreaktion - und ein großer Irrtum. Geprägt von großbürgerlichem Snobismus, fühlte sie sich schon von seiner proletarischen Herkunft abgestoßen. Er flüchtete sich in Reisen, beide flüchteten sich in den Alkoholismus. Durch die Trinkerei verloren sie ihr Elternhaus und ihren Sohn und stürzten immer tiefer hinab. Ihre Tochter Sloane musste miterleben, wie sich Mai und Jack mit Vorwürfen gegenseitig zerfleischten. Jack ist es schließlich, der durch das Aufwühlen der Erinnerungen zu einer Erkenntnis kommt, die versöhnlich sein könnte: beide sind gleich schuldig an den Ereignissen.

Die Madonna von Sligo ist eine recht genaue und aufwühlende Erkundung dessen, was es mit Alkoholismus auf sich hat: es ist eine Krankheit, die die ganze Familie betrifft.


Theater
Sebastian Barry

Stolz und Ehre der Parnell Street

Deutsch von Martin Michael Driessen
1 D, 1 H

Es war im Fußballweltmeisterschaftsjahr 1990, Irland verlor im Viertelfinale gegen Italien, als sich Joe und Janet das letzte Mal gesehen haben. An diesem Tag zerbrach etwas, an diesem Tag kam Joe nach Hause und verprügelte Janet, die daraufhin die beiden Kinder nahm und für immer wegging. In zwei miteinander verschränkten Monologen erzählt der irische Dramatiker Sebastian Barry die Liebesgeschichte eines Paares aus der Dubliner Unterschicht, das ohne Geld oder geregelte Einkünfte, mit seinen Kindern eine glückliche Ehe führt, bis der älteste Sohn bei einem Unfall ums Leben kommt und einige Jahre später die Gewalttätigkeit von Joe zum endgültigen Bruch der Beziehung führt und ihn alleine zurücklässt.
Ohne Janet und seine Kinder verliert Joe den Boden unter den Füßen, landet im Gefängnis und wird drogensüchtig. Nur die Liebe zu Janet hält ihn am Leben. Auch sie liebt ihn noch immer, ist aber zu stolz, um ihm zu verzeihen. Die Jahre vergehen. Als Janet erfährt, dass Joe schwer erkrankt ist, geht sie los, um ihn zu besuchen.
Barry skizziert auf eindringliche, unsentimentale und humorvolle Weise den Verlauf dieser Beziehung: vom Beginn einer großen Liebe, der Vertrautheit und den Glücksmomenten des Alltags, vom Heranwachsen der Kinder und dem plötzlichen Auseinanderbrechen der Ehe, verbunden mit einer großen, uneingeschränkten Liebeserklärung auch an ihre Stadt Dublin. (Ankündigung des Schauspiels Essen)

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