Theater

Thomas Perle

ein jedermann - domnul iedemann

frei nach Hugo von Hofmannsthals „Jedermann. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes“
(domnul iedeman)

In Ocna Sibiului, dem rumänischen Salzburg, hat Jedermann sich eingekauft und träumt mit seiner Frau und den zwei Kindern von einem Skigebiet ganz wie in Österreich. Hier richten sie Galas und Feste für ihre Tischgesellschaften aus. Frau Jedermann gibt die großzügige Charity-Lady, ohne Gespür für die wahren Bedürfnisse der Menschen. Die Ehe der beiden hat hauptsächlich repräsentativen Zweck. Heimlich lebt Jedermann eine verbotene, durch Gesellschaft und Kirche mit Scham behaftete homosexuelle Beziehung zu Buhl. Doch in den Wäldern um sie herum verschwinden Förster. Ihre toten Körper werden nach Tagen brutal zugerichtet gefunden. Als auch Buhl verschwindet und halb tot, halb lebendig zu Jedermann gebracht wird, zeigt dieser seinen wahren Charakter.

„Was vom Mittelalterstück geblieben ist, sind die zwei Trobairitzen, die die Handlung rahmen und durchs Stück geistern,“ beschreibt Thomas Perle selbst seine explizit als Neuschreibung definierte Fassung des Jedermann. Die Form ist auf kurze, prägnante Verse verkürzt. Das Stück lässt er im siebenbürgischen Salzburg spielen, inspiriert von der alljährliche Spielstätte des Originals. An den rumänischen Kontext angepasst, greift er Thematiken auf, die ihm wichtig sind, wie die Sichtbarkeit gleichgeschlechtlicher Liebe auf Bühnen im Balkan. Der Tod taucht bei Perle nicht figürlich auf. Die Thematiken um Tod und Sterben werden anhand der in Rumänien ermordeten Waldarbeiter durch die Holzmafia aufgegriffen. Thomas Perle liest Jedermanns Verhalten als puren Egoismus und Rücksichtslosigkeit. Und so ist es nicht Jedermann, der am Ende den Tod erfährt.

Auftragsarbeit für die Deutsche Abteilung am Nationaltheater Radu Stanca Sibiu/Hermannstadt

4 D, 6 H

UA: 20.1.2022 · Nationaltheater Radu Stanca Sibiu/Hermannstadt · Regie: Dávid Paška

Weitere Stücke

Alle Stücke
Theater
Thomas Perle

karpatenflecken

3 D, 2 H

Thomas Perle gehört einer Minderheit an, oder eigentlich zweien. Er wurde in Rumänien als Nachfahre der im 18. Jahrhundert aus dem Salzkammergut und Tirol eingewanderten „teitschen“ Bevölkerung geboren. Als seine Familie 1991 nach Deutschland zog, war er wieder Teil einer Minderheit, die nun schon immer zur Mehrheit gehört haben sollte: „Bekennen Sie sich zum Deutschtum?“ wurde bei der Einwanderung gefragt.

karpatenflecken stellt drei Frauen aus drei Generationen in den Mittelpunkt eines großen Geschichtspanoramas, das von einem kleinen Flecken Erde in den rumänischen Waldkarpaten seinen Ausgangspunkt nimmt. Die Großmutter Margarethe, ihre Tochter und ihre Enkelin werden über politische, geographische und sprachliche Grenzen hinweg durch die Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts getrieben. Thomas Perle, der zu den nicht mehr sehr zahlreichen Menschen gehört, die das aus dem Altösterreichischen, Rumänischen, Ungarischen und Jiddischen amalgamierte Zipserisch sprechen, hat ein unsentimentales Stück geschrieben, das mit all diesen Sprachen vertraut ist. Wie Politik Sprachen formt und ihre Grenzen und Bedeutungen verschiebt, und wie viel Eigen-Sinn dennoch in den Sprachen aufgehoben ist, davon weiß karpatenflecken zu erzählen, und von einem kleinen Flecken auf der Landkarte, den man Europa nennen könnte.
(Ankündigung des Burgtheater Wien)

2019 hat Thomas Perle mit karpatenflecken den Retzhofer Dramapreis gewonnen.

Digitales Textbuch