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Theater

Svealena Kutschke

Glow in the Dark

Eine Arbeit im Maschinenraum der angegriffenen Wahrnehmung. Vier Frauen*, deren Sprechen einen klinischen Erzählraum nahelegt, die wir aber in einem Kraftraum sehen. Eine Arbeit mit Hanteln und chorischen Kampfsportchoreographien, immer dem Rhythmus des Sprechens angepasst. Bis die Sprache durch den Körper unterworfen wird.
Luca, Carla, Linn – sie sind heterosexuell, sie sind homosexuell, sie haben cis Körper, sie haben trans Körper, begegnen sich im Maschinenraum der Psyche. Sie stemmen Hanteln, sie essen zu viel oder zu wenig, sie haben ernstzunehmende Neurosen, sie neiden sich gegenseitig die Diagnosen, das Buffet ist gut, die Luft Alpin oder Maritim, aber die Handtücher der Privatzahlenden scheinen ein bisschen flauschiger als ihre. Sie sind in Bewegung, immer in Bewegung, sie kämpfen, sie boxen, sie treten, immer angetrieben von der Trainerin. Eine Sprechposition, die offensichtlich ihre eigenen Kämpfe hat. Denn: Wie wird gesprochen über Gewalt, wenn selbst die Betroffenen diese kaum ernstnehmen. Gewalt, die alle Rückzugsräume infiltriert, weil sie neben dem Körper, besonders auch die Wahrnehmungsstrukturen angreift, da die gesellschaftlichen Strukturen Gewalt an Frauen* noch immer trivialisieren. Zentral dabei bleibt die Frage, was wir erinnern. Wie sehr wir unserer Erinnerung trauen können und was eigentlich das Material ist, das das Narrativ unseres Lebens bildet. Und was ist es eigentlich, dieses sogenannte Draußen? Jede Protagonistin sieht etwas anderes durch die großen Fenster der Klinik. Draußen, das ist wechselnd Utopie und Dystopie, und manchmal auch nur eine Vorstadtkreuzung mit einer defekten Ampelanlage.
Glow in the Dark sucht nach der Liebe als utopischen Moment. Die Liebe als Gegenfieber, als Obsession, die Liebe als eskapistischen Rausch, in dem man sich begegnet oder sich selbst entflieht, ohne dass die Unterscheidung noch wichtig wäre.
Aber die Liebe ist auch ein gefährdeter Raum, natürlich. Und die Liebenden sind sich ihrer selbst noch weniger sicher als der Geliebten: „Ein Fremdkörper in meinem Bett, oder bin das womöglich ich, bei glänzendem Himmel auch noch und jetzt sitzen wir hier so grausam da. So tuntig, so butch, so einhorn, muss das denn sein?“

4 D

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Theater
Svealena Kutschke

no shame in hope

4 D, 1 H

**Eingeladen zum Heidelberger Stückemarkt 2023**
**Entstanden im Rahmen des Drama Lab der WIENER WORTSTAETTEN**

Luca, Carla, Linn - sie sind sich begegnet im Maschinenraum der Psyche/Kraftcenter der Krise, nun ja, sagen wir so: in der Klinik. Sie hatten ernstzunehmende Neurosen, sie neideten sich gegenseitig die Diagnosen, das Buffet war gut, die Luft Alpin oder Maritim, aber die Handtücher der Privatzahlenden schienen immer ein bisschen flauschiger als ihre.
Es gibt viel, was sie unterscheidet. Was sie eint, ist allerdings elementar: ein Aufwachsen in der immer leicht betrunkenen BRD, einer Gesellschaft, der es schwerfällt, einen Schmerz anzuerkennen. Die WUNDE, sie animiert nur neue Gewalt. Nun sitzen die drei Frauen in einem Imbiss und erwarten ihr Happy End. Die Arbeit ist getan, die Wunde bearbeitet, sie sitzen nur wenige Meter von der Klinik entfernt an einer verregneten Ampelkreuzung in einer verregneten Vorstadt, oder ist es doch die Ostsee? Auf der Kreuzung nur ein Reh, das zwischen den parkenden Autos grast, oder ist es ein Nazi?
Carla, Linn und Luca, sie essen Currywurst und Pommes und fragen sich, was so großartig sein soll am sogenannten Draußen. Denn: Ist nicht die Depression die einzig angemessene Reaktion auf die Beschissenheit der Dinge? Sie sprechen über den Körper, und die Zuschreibungen, denen er unterliegt, sie fragen sich: Wieso wird immer der Schmerz pathologisiert, selten die Gewalt? Und wann kommt eigentlich der Bus, der sie endlich ganz von der Klinik wegbringen wird?
Recht regelmäßig, sagt die Imbissverkäuferin, zumindest in den 90er Jahren noch. Jetzt kürzlich? Weiß sie auch nicht so genau. Sie hat auch Wichtigeres zu tun, zum Beispiel die Flut an Briefen zu bearbeiten, die durch die Geschichte getragen werden und irgendwann im Imbiss landen. Und gerade als die drei Frauen denken, ihre Arbeit an der Wunde erledigt zu haben, fragt die Imbissverkäuferin, wie die Trivialisierung von Gewalt mit der Geschichte des Nationalsozialismus zusammenhängt? Inwiefern beeinflusst der Mythos der kollektiven Unschuld auch heute noch unseren Umgang mit Gewalt und Schuld?
Denn die spezielle Beschissenheit der Dinge, so meint die Imbissverkäuferin, ist typisch deutsch. Die Unfähigkeit, einen Schmerz anzuerkennen, ohne mit Aggression zu reagieren. Sie muss es wissen, denn sie hat schon vor 90 Jahren hinter dem Tresen gestanden und sieht auch heute keinen Tag älter aus als 30 Jahre.
Die Imbissverkäuferin scheint der Zeit enthoben, in ihrem scharfen Blick rafft sich die Geschichte, sie misstraut den meisten Narrativen, besonders aber dem Reh auf der Kreuzung und seiner permanenten Unschuldsbehauptung. Und der Blick durch die Fenster des Imbisses, er bleibt unzuverlässig: Mal scheint man die Alpen zu sehen, meist sind es nur leere Hochhäuser an einer verregneten Kreuzung. Mal ist die Kulisse in Grautöne getaucht, als sei es nicht die Welt da draußen, sondern eine Dokumentation in schlechter Bildqualität, dann plötzlich ist alles in die Pastellfarben des Wirtschaftswunders getaucht. Es ist nicht weniger als die Geschichte, die an ihnen vorbeizieht, und sie verstehen allmählich, wie sehr ihre persönlichen Narrative mit den politischen und historischen interagieren.
Vier Frauen in einem Imbiss. Die Pommes sind nicht wirklich kross, und ständig ist der Ketchup alle, und das sogenannte Draußen, es wird immer weniger begehrenswert.

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