Florian Felix Weyh

Haben Sie ein I ?

Memmingen im 20. Jahrhundert. Eine Hexenjagd ist im Gange. Als Zeuginnen vor Gericht gerufen, werden fünf Frauen selbst zu Angeklagten. Die Richterin, Parteimitglied in der CSU, moralinsauer, machtbeflissen, befragt fünf Frauen zu ihren Besuchen bei Dr. Thessmann. "Haben sie ein I?" - I steht für Indikation. Die Frauen haben abgetrieben. Inquisitorisch nimmt die Richterin alles unter die Lupe, was ihr relevant erscheint: ihre Haltung zur CSU und zur Kirche, ihre Herkunft, das Sexualverhalten der Frauen. Mit der Arroganz einer Privilegierten reagiert sie gereizt, wenn etwa die Türkin ihre Fragen nicht versteht.
In den Verhören und in den Gesprächen unter den Frauen im Warteraum wird deutlich: Jede Frau hatte einen Grund abzutreiben - sozial, moralisch oder psychisch motiviert: keiner fiel es leicht, damit umzugehen. Ebenso wenig, wie es für sie leicht war und ist, mit ihren Lebenssituationen fertig zu werden. Aber keine der Gründe lässt das Gericht gelten. Die decouvrierende Befragung steigert sich noch einmal, als der Rechtsreferendar - ein Mann und überaus karrierebewusst - ins Spiel kommt. Ein Prozess als Mittel zur Erringung von Macht und Einfluss in der Politik - die Konkurrenz zwischen der Richterin und ihm wird auf den Rücken der Frauen ausgetragen - bis auch über sie die Wahrheit ans Licht kommt.

Weyh zeigt Einzelschicksale, um einen Querschnitt durch die Bevölkerung zu geben. In aufwühlenden Dialogen und Monologen kommen einem die Figuren nahe, ohne dass Weyh in Betroffenheit schwenken muss. Der Zynismus einer Gesellschaft, in der jeder schon mit sich allein vollauf zu tun hat, wird greifbar. Das Schauspiel, auch ein Spiel mit Formen, kippt zur bitterbösen Farce.

7 D, 1 H, Verwandlungsdek

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Theater
Florian Felix Weyh

Triage

3 D, 1 H, Chor

Paula, 50, hat es geschafft. Die Grafikerin führt ein florierendes Werbebüro. Ihre Angestellten fürchten sie; sie ist eine harte Frau. Umgeben von Monitoren lauscht sie ihren eigenen Worten; jeder zweite Slogan stammt aus ihrem Haus.
Wenn sie sich ärgern will, besucht sie ihren Sohn. Jakob, 22, ist unnütz; er erfindet Dinge, die es schon gibt oder die keiner haben will. Paulas Schwachstelle heißt Jakob; ein würdiger Nachkomme sieht anders aus.
Doch Ungemach droht von anderer Seite. Paulas Mutter, von der Tochter zur Werbefigur gemacht, bricht im Fotostudio zusammen. "Persistentes apallisches Syndrom" lautet der Befund - die Mutter wird aus dem Koma nie mehr erwachen, doch bis sie stirbt, kann Zeit vergehen. Zeit, die kostet. Paulas Leben gerät aus den Fugen. Unverhohlen legt man ihr im Krankenhaus die Sterbehilfe nahe. Ein kleiner Schalterdruck, mehr nicht. Paula ist hin- und hergerissen und konsultiert die Stützen ihrer Welt. Doch aus den Monitoren ertönen schwache Sentenzen; ihre Sprache reicht zu Trost und Hoffnung nicht. Da wächst aus dem Nichts Lisa empor; das Geheimnis ist ihre Herkunft, und ihre Herkunft ein Geheimnis.
Sie weicht Paula nicht mehr von den Fersen, ein Schatten der Vergangenheit oder eines anderen Lebens, das Paula schon vor Jahren abgelegt hat. Am Ende wartet der Tod - für die Mutter und für Lisa, die beide an Paula verenden.
Triage ist ein formal strenges Chorstück, das die Welt anders wahrnimmt und wiedergibt als die veristischen Bildermedien unserer Tage. (Florian Felix Weyh)

Theater
Florian Felix Weyh

Gutenberg

4 D, 2 H, 2 Dek

Das literarische Zeitalter neigt sich seinem Ende zu. In Talkshows parlieren Analphabeten, wer eine Kommaregel beherrscht, wird als intellektueller Held gefeiert. Zeit für den Abgesang auf ein Medium, das zwar in Videoschlitze passt, dort aber nicht mehr hervorruft als einen Bildausfall.
Die Provinzbuchhandlung "Julius Hofgreizler Nachfahre" kann sich dieser Entwicklung nicht entziehen - Kunden sind in ihren ehrwürdigen Gemäuern selten geworden. So haben die beiden Verweserinnen des Abendlandes Sabine Knieper (alias Baronin Blixen) und Beate Schüssler (alias O´Flahertie) zu einem ganz eigenen Trott gefunden, seltsame Rituale inklusive. Nur wenn ein Besuch der Besitzerin Hiltrud Sperling (alias Gorgo) ins Haus steht, kehrt kurzzeitig Aktivität in ihren trägen Alltag ein.

Die Idylle trügt. Spätestens mit dem Auftauchen der Jungbuchhändlerin Clara gerät die heile Welt aus den Fugen. Blixen und O´Flahertie werden, kaum dreißig, mit ihrer Antiquiertheit konfrontiert, die Gameboyjugend übernimmt das Steuer: zum Wohle höherer Renditen. Ein echtes Paradies verwandelt sich ins falsche. "Wir sind die Fortsetzung des Abendlands mit anderen Mitteln", verkündet Clara lautstark. Aus der Buchhandlung wird das "Hofgreizlersche Medienparadies", mit kümmerlicher Bücherecke ("Print-Shop"), die wegen Überfüllung nur auf allertreuste Kunden zählen kann. Nebenan boomt das Geschäft: Was blinkt und rauscht, piepst und quietscht, findet reißenden Absatz. Sollte es daran liegen, dass Bücher nicht schreien können?

Theater
Florian Felix Weyh

Ludwigslust

2 D, 3 H

"'Ich will mit meiner Tochter schlafen' - dieser Satz eröffnet ein Spiel von Liebe, Verrat und Moralentsorgung. Ludwig heißt die von Inzestbegierden geschüttelte väterliche Kanaille. 1968 wurde Ludwig von der Sünde befreit. Seitdem lebt er die permanente sexuelle Revolution. Zumindest im Kopf. Magda, die Mutter, macht da schon lange nicht mehr mit. Sie hält sich Vater und Tochter mit einer eigenen Wohnung und dicken Trauerspeckrollen vom Leib. Das schmucke Töchterchen hat die Zwanzig schon knapp überschritten. Doch immer noch soll ihr der Vater Kumpel und Heros zugleich sein. In diese sperrige Zwickmühle schubst Patrizia auch ihren Betthasen Robert. Der ist ein windschnittiger Möchtegern-Yuppie. Die Deutsche Bank lockt ihn wie nix. Fehlt nur noch Magdas und Ludwigs Freund Hermann, der einst als Stadtguerillero zwei Polizisten erschoß. Nach langen Jahren im Knast ist Hermann zum Sozialarbeiter mutiert. Seine Spezialität: wachsweiche Familienfürsorge.
Fünf Menschen, zwei Generationen. Florian Felix Weyh nimmt für keine Partei. Er läßt Eltern und Kinder ganz unbarmherzig gegeneinander donnern. Vaterschaft, Mutterschaft, Freundschaft - das ist Weyhs thematischer Dreisatz. Seine Rechnung geht auf, denn Weyh sorgt für spannungsreiche Dramatik, rasante Dialoge, überraschende Volten und subtilen Humor. Ludwigslust, das ist geballte Wirklichkeit abzüglich jedweden naturalistischen Zierats." (Der Tagesspiegel)

Florian Felix Weyh

Fondue

3 D, 3 H, 1 Dek

Draußen tobt der Kampf um Brokdorf - und eine Gruppe linker Intellektuellen macht es sich in ihren vier Wänden bequem. Theorie und Praxis - das sind eben zwei selten vereinbare Prinzipien.
Fünf Frauen und Männer - 80er-Jahre-Epigonen der APO und alle links von der Mitte, aber mit unterschiedlicher Ausrichtung in ihren politischen Haltungen -, versammeln sich, um einen Abend mit Fondue und guten Gesprächen zu verbringen. Aber sich zu amüsieren fällt schwer. Alles ist belastet: das Fleisch, weil ein Rind dafür sterben mußte, der Salat, weil er nach Tschernobyl mit Cäsium 137 angereichert ist, die Literatur, weil sie von den "Göttern der Väter" geschrieben ist, die Beziehungskisten sowieso. Ideologische Dilemmas ohne Ende: "Trivial Pursuit" kommt aus den Staaten, "Risiko" ist zu militärisch, und der Feminismus auch nur die Wissenschaft, Pointen zu zerstören.
Man wartet auf Eduart, den sechsten im Bunde, als Einziger tatsächlich politisch aktiv. Er kommt, durchtränkt von Wasserwerfern und Tränengas. In seiner Plastiktüte finden sie drei Paar abgeschnittene Ohren. In Form eines Polizeiberichts rekapituliert er die Tat: als Agent provocateur verkleidete er sich als SEK-Beamter und schnitt seinen Komplizen die Ohren ab. Das Filmmaterial darüber soll die Stimmung gegen die Staatgewalt anheizen. Aber stimmt die Geschichte? Oder ist der Abschneider nur ein Aufschneider?

Fondue ist gleichzeitig ein ironischer wie ein resignativer Abgesang auf eine Republik, in der politisches Handeln immerhin noch an der Tagesordnung war. Ironisch in der amüsanten Bestandsaufnahme der Befindlichkeiten, resignativ, weil Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinanderklaffen.

Theater
Florian Felix Weyh

Stirling. Das Glück der Bewegung

4 D, 3 H, 3 Dek

"Die Zeit verlangt, wenn die Wirklichkeit die wahren Tragödien offeriert, vom Theater das Satyrspiel. Florian Felix Weyhs STIRLING. DAS GLÜCK DER BEWEGUNG ... ist der komische Bocksprung übers Blutopfer hinweg. 'There is no true German in the false' - dieses frei nach Teddy Wiesengrund verkalauerte Motto steht der Komödie voran. ... Abschreibungstüchtige Zahnärzte, Greenpeace-Aktivisten, tränenreiche Pastoren, schüchterne Müsli-Esser und arrogante Yoga-Ladies basteln an einem Mecklenburger See in einer alten Villa den Motor der Zukunft. Es ist der mit Rüben und Kartoffeln lautlos-grün laufende Stirling. Sie gründen einen gemeinnützigen Konzern, zerreißen sich die Hosen, bringen sich in Affären ein und pflegen den Gesundschlaf mit Pferdeäpfelpackungen. Aber die Grünen sind nicht grün, Pfarrer nicht sentimental, Frauen nicht meditativ, die Stummen nicht stumm. Die Eisenplatte, die ihnen als gemeinsamer Tisch dient, um den herum sie das Brot brechen, den Kaffee verschütten und den Champagner süffeln, kracht dauernd zusammen. Auch der Motor ist nicht der Motor, den alle sich erträumten, weil die Ost-Pfarrer West-Perspektivagenten des VW-Konzerns sind, die in die grün-alternative Zukunftsplanung eingedrungen sind. Das scheinbar unselige deutsch-deutsche Nichtzueinanderfinden entpuppt sich als gefinkelte Wirtschaftsposse. Und nur in der Ökonomie kann in Deutschland Trost sein. Erst kommt das Fressen, dann die Qual. Deutschland, ein Küchenmärchen." (Frankfurter Allgemeine Zeitung)

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