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Réjane Desvignes

Ich werde auf eure Gräber spucken

- frei nach Boris Vian -

Ich werde auf eure Gräber spucken entstand 1946 als Resultat einer Wette. Vian war überzeugt, den damals gefeierten amerikanischen Pulp-Fiction-Roman perfekt imitieren zu können. Er wählte ein Pseudonym (Vernon Sullivan), gab sich als Übersetzer des Werkes aus und gewann die Wette. Die Leser stürzten sich auf das Buch. Als Vians Streich aufflog, wurde er als "Lügner" beschimpft, das Buch verboten und Vian verurteilt. 1959 wurde es verfilmt. Vian, entsetzt über das Resultat, starb im Kino während der Filmabnahme an einem Herzinfarkt.

Ursendung: 27.06.2004 · DLR / WDR · Regie: Igor Bauersima

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Theater
Igor Bauersima, Réjane Desvignes

Lucie de Beaune

4 D, 5 H, St, Verwandlungsdek

Seit frühester Kindheit hatte ich Freude daran, meinen Spielkameraden den Kopf zu verdrehen und ihnen die Gewissheit zu rauben, die sie mit der Wirklichkeit verband. Es reichte, für einen Moment die Kerze auszublasen und ein, zwei Sätze zu sagen, die sich mit der Dunkelheit zu einem neuen Bild verbanden, und schon hatte ich jeden in der Hand.
Die Geschichten, die ich erzählte, waren mir im Grunde egal: Meine Freude war es, dass mir die anderen ausgeliefert waren, sobald sie das Reich meiner Fantasie betreten hatten. Auch später, als ich die Klosterschule besuchte, war ich meinen Freunden immer einen Schritt voraus. Noch vor meiner Weihe zum Priester habe ich es geschafft, dem Kirchenobersten weiszumachen, dass er schon bald vor mir knien würde. Den Moment, als es so weit war, hab ich sehr genossen. Heute bin ich Bossuet, der Bischof von Condom. Als schliesslich auch der König vor mir auf die Knie fiel, als auch er sich selbst und seine Vernunft an mich verraten hatte, da wusste ich: Die niederträchtigsten, gewalttätigsten Menschen sind auf meiner Seite. Ja, ich habe das ganze Land in meinen Händen. Und ich bin doch nur eine Nebenfigur. Manchmal aber schreckt mich ein Albtraum aus dem Schlaf. Ich wache auf und bin allein, vollkommen allein. Auf mich selbst gestellt, in einer Welt, die mir nichts glaubt, ohne dass ich es bewiese. Eine Welt, die einfach nur ist, was sie ist. Vater, habe ich gesündigt? Oder hab ich Ihren Willen erfüllt? Vater?
(Ankündigung des Schauspielhauses Zürich)

Theater
Réjane Desvignes

Jackpot

Deutsch von Igor Bauersima
4 D, (1 H)

Eines Tages bittet die schöne und erfolgreiche Vivi ihre Freundinnen, auf ihren Sohn aufzupassen, solange sie zum Zahnarzt muss. Die teils frustrierten, teils neidischen Freundinnen nehmen sich des schlafenden Säuglings an, derweil sie am Sandkasten im Park ihre eigene Kinderschar beaufsichtigen. Zufällig findet sich in den Tiefen von Vivis Tasche, die zufällig umkippte, eine Postkarte, die zufällig alle lesen: Eine Liebeskarte von Jack. Zweifellos. Etwa der schöne Eismann im Park? Sollte das der bislang unbekannte Vater ihres Sohnes sein? Die Entdeckung führt zu einer Kettenreaktion von Nervenausbrüchen. Kein Wunder. Nach und nach stellt sich raus, dass jede der vier Anwesenden ebenfalls ein intimes Verhältnis mit dem Waffelhelden pflegt. Und nur eine wusste von all diesen Affären: Vivi! Rasend vor Wut beschließen die Furien, ihrer neuen Feindin einen Denkzettel zu verpassen, den sie so schnell nicht vergessen soll. Sie planen, eine Entführung ihres Sohnes zu inszenieren. Als Vivi dann zurückkehrt, ist ihr Sohn verschwunden. Das Erstaunen über Vivis Gelassenheit, lässt zu Recht vermuten, dass die Dinge nicht so sind, wie sie scheinen. Und dass Vivi vielleicht mehr weiß, als gedacht. Und dass irgendwann aus den Jägerinnen die Gejagten werden…

Jackpot ist eine Komödie, in der der Neid auf das scheinbar vollkommene Glück höchst deutlich zum Vorschein kommt. Réjane Desvignes skizziert vier junge Mütter, die sich im Spannungsfeld von Glück und Frustration bewegen. Und die neben aller Freundschaft immer auch in andauernder Rivalität zu ihren Mitmüttern stehen. Da muss sich was entladen, da sind eindeutig zu viele Emotionen im Spiel.

Theater
Igor Bauersima, Réjane Desvignes

Bérénice de Molière

2 D, 3 H

Eine literarhistorische Kuriosität: zwei französische Dramatiker, Corneille und Racine, schreiben zur Zeit Ludwig XIV. parallel an demselben Stoff: Bérénice. Selbst die Uraufführung beider Stücke findet im Abstand von wenigen Tagen statt. Das Thema ist bei beiden das gleiche: wie sind Vernunft und Leidenschaft in Einklang zu bringen?
Der über sechzigjährige Corneille ist mit seinem Stück nicht erfolgreich, glaubt er doch - noch ganz Rationalist - an die Fähigkeit des Menschen, seine Leidenschaften zugunsten höherer ethischer Vernunft-Prinzipien im Zaum halten zu können. Racine aber ist das Sprachrohr der Generation der Dreißigjährigen: wesentlich skeptischer (und realistischer) schildert er, wie der Mensch zum Spielball seiner Leidenschaften werden kann, und ringt - hierin dann doch klassisch - darum, dass er diesen Kampf nicht verliert, fragt aber auch nach den Kosten des Verzichts.
Wie konnte es dazu kommen, dass beide gleichzeitig das gleiche Stück schrieben? Es gibt Mutmaßungen, dass beide - ohne voneinander zu wissen - von der Herzogin von Orléans beauftragt wurden. Was aber wäre, wenn die Herzogin den knapp fünfzigjährigen Komödianten Molière, ebenfalls ein Zeitgenosse, zeitgleich auch noch mit Aufträgen versehen hätte?
Eine Geschichte um eine Frau und um drei Männer, drei Autoren: einen intelligenten Aufklärer, einen romantischen Tragiker und einen skeptischen Komödianten...
Eine Bérénice de Molière, die allerdings nie geschrieben wurde. (Ankündigung des Burgtheater Wien)

Digitales Textbuch