Theater

Oliver Czeslik

Stammheim Proben

"Ulrike: Worte, Bedeutungen gehen verloren. Bin nur noch Bild. Mein Tod ist mein Thema. Meine Thema ist mein Tod. Bin ich eine Heilige? Bewußtsein, eigenes Überleben gleich null. Auf Wiedersehen, Freunde, Gefährten, Kameraden, Genossen. Die Pflicht der Intellektuellen ist es, als Klasse Selbstmord zu begehen."
"Gudrun: Ich bin die Kriminelle, Die Wahnsinnige, die Selbstmörderin. Ich bin Widerspruch. Ich verrecke in mir. Entweder ich vernichte mich, oder ich vernichte andere. Entweder tot oder Egoist."

Stammheim als Theaterstück. Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Irmgard Möller als Rollen. Bin ich falsch besetzt? Provisorisch nähern sich Natascha, Sanja und Ingrid zunächst diesen umstrittenen "Heldinnen" der Zeitgeschichte an, probieren deren Sätze aus, experimentieren mit der Radikalität ihres Denkens, beginnen sich mehr und mehr zu identifizieren. Sie werden erfasst von der Eigendynamik ihrer Rollen. Momentaufnahmen aus der Zeit der RAF, ihrer Überfälle, Festnahmen und ihrer Haft leuchten in stilisierter Verfremdung auf. Doch im Vordergrund des assoziativen Rückblicks auf den Moment der Stammheimer Tode stehen bei Czeslik die apodiktische und rohe Sprachform der RAF, das strikte Entweder Oder im Denken und die unerbittliche psychologische "Kriegsführung", mit der die Protagonistinnen sich gegenseitig in Schach halten.

Mit dem dramaturgischen Trick der Rollenaneignung gelingt Czeslik hier der Brückenschlag zu einem der faszinierendsten Kapitel der Geschichte der BRD und zugleich ein eindringliches Psychogramm der RAF-Frauen.

4 D, 1 Dek

UA: 15.02.2002 · Sophiensaele, Berlin · Regie: Fred Kelemen

Aufführungsarchiv

15
Februar 2002
Oliver Czeslik

Stammheim Proben

Theater
UA
Regie Fred Kelemen
Theater Sophiensaele Berlin, Berlin

Weitere Stücke

Alle Stücke
Theater
Oliver Czeslik

Heilige Kühe

1 D, 2 H, 1 Dek

Linker Dichter trifft Neofaschisten. Kaum vorstellbar, damals, als Erich Fried, der dem Antifaschismus verpflichtete Poet, den Neonazi Michael Kühnen im Gefängnis besuchte. Ein Dialog? Ein Gespräch, mit dem Faschisten gesellschaftsfähig gemacht werden? Oder doch eher angetrieben durch die Suche nach den Motiven für eine Gesinnung der Verachtung?
In diesen weniger politisch als sozialpsychologisch akzentuierten Raum stellt Oliver Czeslik seinen fiktiven Dokumentarfilmer Karl Klementi, der das Schweigen über die radikale Rechte nicht akzeptiert, die Verachtung der Verachtung nicht toleriert. Klementi folgt der Einladung der jugendlichen Neonazis Ulli und Gero in ihren Unterschlupf, um einen Film über die Szene zu drehen.
Doch Ulli und Gero nehmen den Filmer gewaltsam in Gewahrsam. Ein Martyrium beginnt für Klementi, bei dem er durch physischen und psychischen Terror unter Druck gesetzt wird. Er soll an Hitlers Geburtstag in Dresden geopfert werden. Hoffnung keimt in ihm auf, als Ulli ihm heimlich zu verstehen gibt, dass sie für die Zeitschrift "Tempo" arbeitet, und sowohl Karl Klementi als auch der Leser/Zuschauer glauben ihr das lange. Die Zeit bis zum "großen" Tag in Dresden vertreiben sich Ulli und Gero mit perfiden Rollenspielen, in die Klementi mal als Gefangener, mal als Patient eines Krankenhauses und mal als Teilnehmer eines brutalen Quizes einbezogen wird. In einem dieser Rollenspiele verwandelt sich Gero in das Opfer und damit ist nicht nur die größtmögliche Annäherung Klementis erreicht, sondern auch die größtmögliche Annäherung von Täter und Opfer, die sich im Schwelgen an alte kämpferische Tage verbalisiert.

UA Frei
Theater
Oliver Czeslik

Byrons Erben

1 D, 7 H, 1 Dek

Ausgerechnet in einer Romantik-Vorlesung haben sich Helen und Kali kennen gelernt. Die Studentin Helen ist vertraut mit den Vorlieben der romantischen Epoche. Doch als Kali, ein ehemaliger Tennisstar, die junge Frau in sein geerbtes Wachsfigurenkabinett führt, wird für Helen zur beunruhigenden Wirklichkeit, was sie an der Romantik fasziniert hatte.
Die Wachsfigurengruppe stellt die Sterbeszene Lord Byrons dar. Per Knopfdruck setzt Kali die Figuren in Bewegung. Während sich eine historische Szene aus dem Jahr 1824 abspielt, kommen Helen und Kali einander näher. Helen wird es immer unheimlicher, doch als sie fliehen will, muss sie feststellen, dass sie eingesperrt ist. Kali hat Helen unter einem Vorwand zurück gelassen.
Die Wachsfiguren werden immer lebhafter. Byron quält sich im Todeskampf, während seine Besucher hilflos seinem Sterben zuschauen müssen. Plötzlich fällt Byrons Blick auf Helen, die er für seine Halbschwester und Geliebte Augusta hält. Byrons treuer Gefährte Gamba bittet Helen, die Rolle Augustas zu übernehmen, um dem Todkranken eine Freude zu bereiten. Widerwillig fügt sich Helen den unheimlichen Wachsfiguren. Als diese den Beschluss fassen, Helen zu opfern, damit Byron nicht allein sterben muss, gelingt es Helen mit Hilfe einer List, der Todesheirat zu entkommen.
Doch am Ende ist Helen Teil der Wachsfigurengruppe, sie ist nun Augusta, und das Spiel beginnt von vorn, als Kali mit einem jungen Tennisspieler erscheint.

Theater
Oliver Czeslik

Kinderlieber

1 D, 3 H, Verwandlungsdek

Wie ein Alptraum legt sich die Geschichte über die Wirklichkeit, in der Fiktion und Realität sich zu einem Gespinst verdichten, in dem die Figuren sich unheilvoll verfangen. Das Stück ist ein Kindertraum, ein gewalttätiger Traum und auch ein Liebestraum.
Drei junge Menschen, Eduard, Marianne und Abraham, leben in einem alten Schlafsaal und versuchen, ihn zu ihrem Zuhause zu machen. Eduard, der Jüngste von ihnen, wacht aus einem schweren Traum auf. Es ist sein Geburtstag, es ist Weihnachten. Und während Marianne den Christbaum schmückt, erscheint eine maskenhafte Gestalt mit Eisen im Nacken: der General.

Die Zeitebenen verschieben sich, die Vergangenheit überzieht die Gegenwart mit Krieg und Tod. Nachts zieht Eduard mit seinem Freund Abraham durch die Straßen, geht auf grausame Menschen-, auf Kinderjagd. Der "Kinderlieber" tötet Kinderleiber, um von ihrem Fleisch zu leben. Marianne, die ein Kind von Eduard erwartet, lässt es töten. Der Abtreiber öffnet einen schwarzen Vorhang und zeigt ihr die auf blutige Stöcke gespießten grinsenden Schädel der toten Kinder. Ein Schauspiel, ein grausames Spektakel, ein unheimliches Puppenspiel.

"Das Spiel ist aus", die Figuren sind tot, aber sie stehen wieder auf und spielen weiter: das Spiel vom Tod, vom Krieg, von der Schlacht und von der Liebe. Zum Schluss liegen Marianne und Eduard wieder im Schlafsaal, als hätten sie das grausame Schlachten nur geträumt. Abraham tritt durch die Tür und öffnet die Szene: "Lasst uns von der Liebe reden."

Theater
Oliver Czeslik

Wessel synchron

4 D, 10 H, St

„Als der Student und SA-Führer Horst Wessel am 23.2.1930 mit 22 Jahren an einer Schussverletzung starb, ahnte niemand, welche Legenden sich um den Verstorbenen ranken sollten. Auf das Summen der Horst-Wessel-Melodie kann es bis zu fünf Jahren Haft geben. Obwohl diese doch ursprünglich zu einer Oper gehört. Die braunen Kameradschaften verehren Wessel bis heute geradezu kultisch als Märtyrer der Bewegung. Und die Linken stricken immer noch an einer Legende, die Wessel ausschließlich als braunen Zuhälter zeigen soll.
Wessel synchron rückt der Wirklichkeit ein Stück näher. Czesliks Realtheater kombiniert Dokumentarisches mit Dramatischem und setzt sich zusammen aus z.T. bislang unentdeckten Akten, Filmen und Dokumenten. Drei junge Menschen treffen zufällig aufeinander. Erna, die Prostituierte; Horst, der SA-Heißsporn und verhinderte Dichter; und Ali, der tätowierte Berlin Pirat, KPD-Mann, Raufbold
und Zuhälter. Es geht um alles Mögliche: Revolution, Nation, Drogen, Nutten, Gewalt. Der Übergang vom ungezügelten, anarchischen Leben in der Weimarer Republik zum fantasiefeindlichen Nazireich wird sie alle drei zu Verlierern machen. Am Anfang wird der Faschofetzer Horst von der Dirne Erna in der roten Mexiko Diele angesprochen. Am Ende liegt er in seinem eigenen Blut mit einer Kugel im Maul, abgefeuert von Ali. Wessel synchron erzählt davon, wie falsche Heldenmythen kreiert werden, um den Mächtigen zu dienen. Und von der Banalität der Wahrheit. Den Rahmen für dieses dokumentarische Stationendrama bildet eine filmische Fahrt durch Berlin. Der erste Gestapochef und spätere Freund Rudolf Augsteins fährt Ali zu seiner Liquidierung. Untoten gleich gleiten sie synchron durch Vergangenheit und Gegenwart. Die Synchronizität der Ereignisse. Das Reale ist subversiv. Das Ende der Geschichte ist ihr Anfang.“ (Oliver Czeslik)

Theater
Oliver Czeslik

Cravan

2 D, 7 H, 1 Dek

Cravan ist ein Stück über den legendären Boxer-Poeten Arthur Cravan, den "König der verkrachten Existenzen", der sanft wie ein Elefant, schmetterlingsleicht, aber doch immer auch ein Raufbold war, denn er ließ sich lieber von einem echten Boxer k.o. schlagen, als vom Militärwahn ins Joch zwingen. Ein Deserteur also, sein Leben lang auf der Flucht vor den täglichen Kleinkriegen, 1914-1918 dem Ersten Weltkrieg ausweichend. Ende Dezember fuhr Cravan mit dem Dampfer "Montserat" von Barcelona nach New York. Die Ozeanfahrt auf dem kaum tauglichen Schiff bildet den Rahmen einer Handlung um Cravan und Trotzki, der ebenfalls auf jenem Dampfer nach Amerika fuhr und der sich in seinem Lebensrückblick auch an die Begegnung mit Arthur Cravan erinnerte: "Da waren nicht wenige Deserteure aller Länder, vorwiegend bessere Marke. Ein Maler schaffte seine Bilder, sein Talent, seine Familie, sein Vermögen unter dem Schutz eines alten Vaters aus der Feuerlinie weit weg. Ein Boxer, gleichzeitig auch ein belletristischer Schriftsteller, ein Neffe Oscar Wildes, gestand offen, er ziehe es vor, die Kiefer der Herren Yankees im noblen sportlichen Kampf zu zertrümmern, als seine Rippen von irgendeinem unbekannten Deutschen durchstechen zu lassen....Die übrigen: Deserteure, Abenteurer, Spekulanten oder aus Europa hinausgeworfene "lästige" Elemente - wem wäre denn sonst in den Sinn gekommen, in dieser Zeit auf einem armseligen spanischen Dampfer den atlantischen Ozean zu durchqueren?"
Czesliks Stück veranstaltet mit diesem authentischen Kern der Begegnung des Boxerpoeten mit dem schon damals von Spitzeln verfolgten russischen Revolutionär ein turbulentes Rollenspiel, in dem Cravan Mittelpunkt ist und in einem Netz von politischen und erotischen Verwicklungen zappelt.

Digitales Textbuch