Matthew Lopez

Von London über New York nach München – DAS VERMÄCHTNIS von Matthew Lopez feiert Deutschlandpremiere!

Von London über New York nach München – DAS VERMÄCHTNIS von Matthew Lopez feiert Deutschlandpremiere!

Theaterwunder gibt es in Pandemiezeiten ja nicht mehr allzu oft. Am Münchner Residenztheater konnte man am 31. Januar aber eines erleben. Und was für eines! Denn Matthew Lopez’ preisgekröntes Gesellschaftsepos DAS VERMÄCHTNIS kam zur langerwarteten deutschsprachigen Erstaufführung. Bettina Walther über einen überwältigenden Theaterabend.

 

DAS VERMÄCHTNIS (THE INHERITANCE) ist in jedem Sinne ein außergewöhnliches Stück. Umfang, Länge, Figuren, Erzählstränge, Referenzen - das Stück ist ein Füllhorn von Geschichten und erweist sich schon beim Lesen als Pageturner, den man nicht mehr aus der Hand legen kann.
Und natürlich ist das Stück eine Herausforderung für jedes Theater - aber eine, die es absolut lohnt, anzunehmen - wie die Münchner Inszenierung aufs Schönste beweist. Das „vielleicht bedeutendste amerikanische Theaterstück des Jahrhunderts“, wie ein Kritiker des Telegraph fand, hat mit dem Münchner Residenztheater eine Bühne gefunden, das sich ihm mit großer Liebe und Genauigkeit angenommen hat (Dramaturgie: Ewald Palmetshofer!), dessen Schauspieler mit unbändiger Spiellust glänzen - virtuos inszeniert von Philipp Stölzl.

Matthew Lopez erzählt die Geschichte von Eric Glass (großartig unser Autor Thiemo Strutzenberger!), einem jungen sensiblen New Yorker, der mit seinem Freund Toby Darling zusammenlebt, einem charismatischen aufstrebenden Schriftsteller. Die beiden bewegen sich mit ihrer Clique von jungen intellektuellen, politisch engagierten Männern in der schwulen New Yorker Community, sie gehen ins Theater, zu Ausstellungen, lesen die richtige Literatur und werden sogar ab und an auf illustre Partys in die Hamptons eingeladen. Als Toby wegen Theaterproben für eine Weile nach Chicago zieht, freundet Eric sich mit dem älteren Walter an, der ihm von den Anfängen der verheerenden AIDS Epidemie in den 1980ger Jahren erzählt und von seinem Haus außerhalb der Stadt, in dem er damals die vielen todkranken Freunde aufgenommen und bis zum Tod begleitet hat.
Die Erinnerung an das Trauma weckt in Eric die Frage nach den privaten, kulturellen und politischen Auswirkungen der Epidemie auf seine schwule Community heute. Denn hat nicht der Kampf der Überlebenden um Anerkennung erst die politischen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Nachfolge-Generation der jüngeren Schwulen heute so frei leben kann?

 

Wie Matthew Lopez hier von Trauer und Schmerz als Vermächtnis einer Generation erzählt, das ist geprägt von sprachlicher Zartheit und Klugheit und zeugt gleichzeitig von großer erzählerischer Kunst. Denn er spiegelt geschickt das London aus E. M. Forsters Roman Howards End von 1910 in der heutigen schwulen Szene New Yorks. Und so fragt THE INHERITANCE nicht nur nach Zustand und Verfasstheit der US-amerikanischen Gesellschaft insgesamt, sondern stellt an sein Publikum die überaus brennende Frage, wie eine jüngere Generation das Erbe der älteren antreten kann: materiell, politisch und spirituell.

 

Das ist so berührend, traurig und komisch zugleich und dabei über kurzweilige 7 Stunden hinweg stets fesselnd. Und so feiert am Ende das Publikum das Stück und ein großartiges Ensemble mit Standing Ovations.

 

DAS VERMÄCHTNIS (THE INHERITANCE) von Matthew Lopez
Frei nach dem Roman Howards End von E. M. Forster, deutsch von Hannes Becker.
DSE am 30.01.2022, Regie: Philipp Stölzl, Residenztheater München.


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