Caren Jeß & Thomas Perle & Angela Lehner

Überraschende Coronablüten – Geteilte Uraufführungen

Überraschende Coronablüten – Geteilte Uraufführungen

In dieser Spielzeit ist etwas passiert, was vor Corona kaum denkbar gewesen wäre: Zwei Theater haben sich eine Uraufführung geteilt. Und zwar nicht im kooperativen Sinne einer geteilten Inszenierung, sondern im vervielfältigten Sinne von zwei völlig unabhängigen Uraufführungsinszenierungen. Wenn das nicht eine zarte Knospe Hoffnung im Gewirr des dramatischen Miteinanders ist?

 

Geteilte Uraufführungen, das ist doch Augenwischerei, mögen einige jetzt protestieren. Alle wissen, dass Uraufführungen vor allem eines sind: einzigartig. Denn dafür bezahlen die Theater Geld, dafür bekommen sie Aufmerksamkeit (zumindest war das mal irgendwann so) und im Idealfall gehen sie damit auch noch in die Theatergeschichte ein. Und auch wenn das alles stimmt, wäre trotzdem mal die Frage zu stellen (wie bei allen schon lange andauernden, in die Praxis eingemeißelten und nicht weiter hinterfragten Vorgängen), wem dieses Uraufführungsregularium eigentlich genau und warum dient, und ob es nicht langsam mal an der Zeit wäre, das Thema Uraufführung neu zu betrachten? Jede Uraufführung trägt das süße Versprechen in sich, vielleicht das Stück der Stunde auf die Bühne gebracht zu haben und dem Uraufführungstheater zu Ruhm und Ehren (überregional) verhelfen zu können. Diese Sehnsucht führt nicht selten dazu, dass die Vergabe einer Uraufführung das Interesse aller anderen Theater automatisch erlöschen lässt. Auch wenn das Stück natürlich nachgespielt werden könnte. Doch dem Nachspiel wohnt offenbar zu wenig Zauber inne. Der Hunger nach Uraufführungen ist groß. Trotzdem stirbt die Hoffnung ja zuletzt. Und siehe da, während der Coronazeit sind auf einmal zarte Blüten des Miteinanders gewachsen. Denn die Vergabe einer doppelten Uraufführung bzw. einer geteilten Uraufführung oder wie auch immer man das nennen möchte, entstand in dieser Ausnahmesituation. Bei ELEOS von Caren Jeß war die Uraufführung zum Beispiel bereits mit dem Theater Braunschweig vereinbart, als Graz ebenfalls sein Interesse signalisierte. Für Graz kam allerdings nur ein deutlich früherer Premierentermin in Frage. Und weil wir gerne beide Inszenierungen ermöglichen wollten und ohnehin fanden, dass Corona schon zu viel zu vielen Ausfällen geführt hatte, und eine Uraufführung nichts dadurch verlieren kann, wenn sie zwei Inszenierungen statt einer beinhaltet, schlugen wir Braunschweig und Graz vor, sich die Uraufführung doch zu teilen. Zu unserer großen Freude haben beide Theater sich darauf eingelassen, was auch für die Autorin ein tolles Signal war. Ähnlich verhielt es sich beim Staatstheater Mainz, das dem Schauspiel Hannover bei der Uraufführungsinszenierung von Angela Lehners VATER UNSER den Vortritt ließ. Und auch das Wiener Burgtheater trat für die Möglichkeit einer früheren Uraufführung von Thomas Perles „karpatenflecken“ am Deutschen Theater Berlin einen Schritt zurück. Die Doppelvergabe des Uraufführungsbegriffs schien und scheint uns dementsprechend angemessen, um die bemerkenswerte Großzügigkeit dieser Theater und ihr ernsthaftes Bemühen um eine nachhaltige Wahrnehmung dieser Texte sichtbar zu machen. Die große Bereitschaft aufeinander zuzugehen und gegebenenfalls auch einem anderen Theater den Vortritt zu lassen, hat uns als Verlag schwer beeindruckt. Und gezeigt, dass nichts in Stein gemeißelt sein muss, wenn gemeinsam Alternativen gesucht und gefunden werden: nicht einmal die Einmaligkeit einer Uraufführung.


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