Angela Schanelec

Theater

Anton Tschechow, Angela Schanelec

Iwanow

Iwanow kennt sich selbst nicht mehr. Nach dem Studium war er voller Tatkraft, wollte sich sozial engagieren, für Reformen eintreten, die Rückständigkeit der Provinz bekämpfen. Nun ist alle Energie verpufft, und er weiß nicht, warum und wohin. Vor fünf Jahren hat er Anna geheiratet, eine reiche Jüdin, die aus Liebe zu ihm alles aufgegeben hat, ihren Glauben, ihr Erbe, ihre Beziehung zu den Eltern. Anna ist an Tuberkulose erkrankt, aber Iwanow hat kein Geld für die Kur, ist verschuldet, und es fehlt ihm jegliche Kraft, etwas daran zu ändern. Um sich abzulenken, besucht er seinen alten Freund und Gläubiger Lebedew. Dessen Tochter Sascha ist jung, leidenschaftlich, freidenkend. Sie ist davon überzeugt, dass ihre Liebe zu Iwanow ihn wieder aufrichten wird. Raus aus der Enge!
Ein Jahr nach Annas Tod soll die Hochzeit stattfinden. Doch Gerüchte machen die Runde. Man glaubt, Iwanow habe seine Frau durch sein rücksichtsloses Verhalten ins Grab gebracht und heirate die reiche Sascha nur, um sein verschuldetes Gut wieder hochzubringen. Iwanow selber findet sich unerträglich, lachhaft. Er will alle Pläne abblasen. Doch als auch dieser Versuch scheitert, bleibt ihm nur noch eine letzte Möglichkeit, um nicht auch noch das Leben Saschas zu zerstören…

Iwanow ist das erste Stück des weltberühmten Dramatikers Anton Tschechow (1860 – 1904). Es fasziniert mit dem großen Thema, das auch alle seine späteren Werke bestimmt: das Leben der Menschen in seiner ganzen Absurdität, seiner Lächerlichkeit, Traurigkeit und Unwiderstehlichkeit. Der Mann Iwanow wird zum Symbol einer bis heute nachvollziehbaren Unlust, sein Leben in die Hand zu nehmen. Dass er dabei auf sein Umfeld gleichzeitig anziehend, ja erotisierend wirkt, macht Iwanow zu einer der spannendsten Figuren der klassischen Dramenliteratur. (Ankündigung des Schauspielhaus Bochum)

Theater

Anton Tschechow

Onkel Wanja

Deutsch von Angela Schanelec, Arina Nestieva
4 D, 5 H

n den letzten Jahren hat Jürgen Gosch seine Schauspieler in immer neue elementare Spiele verwickelt und fast aggressiv in die Nähe der Performance Art getrieben. Jetzt stellt er demonstrativ einen Samowar in den Mittelpunkt seines „Onkel Wanja“ – und erzählt das Stück ganz psychologisch-realistisch. Ein Anfall von einfühlender Tschechow-Nostalgie? Keineswegs. In dem mit frischer Erde bestrichenen Bühnenkasten von Johannes Schütz, der das Geschehen abstrakt grundiert, blicken Regisseur und Ensemble hellwach und neugierig auf Figuren und Situationen, die sie so ernst nehmen wie sich selbst. „Wenn man kein wirkliches Leben hat, dann nimmt man eben die Illusion“: nach diesem Motto lebt Wanjas Familie samt Sommergästen. Jens Harzers Arzt trinkt und tänzelt über seine Trübsal hinweg, während Ulrich Matthes’ Wanja, dessen depressive Hellsichtigkeit den Abend begleitet wie ein dunkler Bass, am Ende echte Tränen vergießt. Auch die desillusionierte Professorengattin Elena (Constanze Becker), in die alle vernarrt sind, und die ungeliebte Zweckoptimistin Sonja (Meike Droste) bilden ein komplementäres Paar, in dem immer eine das hat, was der anderen zu ihrem Glück fehlt. Neben aller spielerischen Intensität und Komik wird so ein geheimer Bauplan des Menschseins sichtbar. Dazu passt auch die symmetrische Architektur des Abends: Das erste Bild fädelt sich ohne Hast in das Landleben hinein, das vierte fadet langsam aus, dazwischen offene Sinnfragen, hundstraurig verfehlte Lieben und komische Familienkatastrophen. In dreieinhalb Stunden das ganze Leben.
(Ankündigung Deutsches Theater)

Ausgezeichnet als beste Inszenierung des Jahres 2008

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