Ira Wilhelm

Das Stück beginnt auf dem Polizeirevier von Molenbeek, dem Brüsseler Stadtteil, der als Hochburg des Islamismus gilt. Nuria will ihren toten Bruder begraben. Aber der Polizist gibt die Leiche nicht heraus, denn der Bruder war ein Terrorist. Also macht sie sich selbst auf die Suche und verstößt damit gegen das Gesetz. Am Ende ist sie die Angeklagte.
Ihre Schwesternliebe macht sie zu einer Antigone, der berühmten tragischen Gestalt der treuen Schwester aus der griechischen Mythologie. Hier die Schwester, deren moralisches Gesetz ihr vorschreibt, den Bruder würdig zu begraben. Dort der Staat, dessen Gesetz ihr genau das verbietet.

Sie gehen Hand in Hand durch den Farn, übers Moos, sie sind barfuß, manchmal bleiben sie stehen und sie stellt sich auf ihre Zehen und er beugt sich zu ihr herunter. Sie sind ganz allein im Wald. Es ist drückend heiß. Sie setzt sich auf eine Mauer, er stellt sich vor sie hin, breitbeinig, er legt die Hände auf ihre Schultern. Er drückt ihr Gesicht gegen seine Brust, er streichelt ihr übers Haar. Er schaut zu den Baumkronen hoch, woran denkt er? Und die anderen, die ihm zusehen, woran denken sie?

Nach vielen Jahren kommt Blitz wieder nach Hause. Wieder einmal wird er zur Beute seiner Mutter, seiner Schwester und seiner ersten Freundin. Er hört ihnen zu, lässt sich beschimpfen und versucht gleichzeitig, sie in eine besser Welt zu führen. Blitz folgt den Frauen lammfromm, ein Sklave. Mit kleinen Lügen hält er sich aufrecht. Manchmal rufen ihn zwei oder drei Frauen gleichzeitig, und Blitz weiß nicht, welche Richtung er nehmen soll, er fühlt sich zerrissen und bedroht. Irgendwann hält er dem Druck nicht länger stand, er rebelliert und brüllt: Ich, Ich, Ich!
Den erschrockenen Frauen präsentiert er die Wunden seiner Vergangenheit und erst ihre Aufmerksamkeit lässt ihn seine Schmerzen fühlen. Sie treiben ihn ins Krankenbett, ins Sterbebett. Die Frauen versuchen ihn zu retten, sind auf einmal gezwungen, sich miteinander auseinanderzusetzen. Wird Blitz überleben?

Eine junge Frau bereitet sich auf ein Treffen mit ihrem Lover vor, eigentlich ihr Ex-Lover, aber das sieht Lucia anders. Entweder man liebt sich oder man liebt sich nicht, daran vermag auch eine Trennung nichts zu ändern. Sie verweigert sich gegen Entscheidungen, die der Geliebte so offensichtlich zu treffen bereit ist. Gegen ihre Gefühle ist sie machtlos. Aber heute Nacht will sie über den Dingen stehen, will sie so tun, als ob es ihr glänzend geht. Sie freut sich, trotzdem ist sie unsicher, sie ist glücklich, gleichzeitig aber auch traurig. Was soll sie nur tragen? Es scheint, als ob sie sich mit jedem Outfit in eine andere Person verwandelt, als ob jedes Lied und jedes Kleid dem Abend eine andere Wendung geben könnten und damit dem Rest ihres Lebens ...

Im neuen Stadtviertel »Safe City« wird alles besser werden: ein digitales High-Speed Netzwerk zum Bewohnen entsteht, mit 24-stündiger Sicherheitsüberwachung und smarten, energieeffizienten Häusern. Doch am Tag der Grundsteinlegung verschwindet im ärmsten Teil der Stadt Ismaël, ein elfjähriger Junge. Ist er von der Polizei misshandelt worden? Hat seine Mutter etwas mit dem Verschwinden zu tun? Oder ist der Junge zum Spielball der Lokalpolitik geworden? Immobilieninvestoren, Polizisten, Journalisten, Politiker – alle scheinen mehr zu wissen, als sie zugeben. Und während auf der Straße Proteste ausbrechen und ein Shitstorm nach dem anderen durch das Internet fegt, wird eine Frage immer dringender: Wo ist Ismaël? Eric de Vroedt hat mit seinem in den Niederlanden bejubelten Drama The Nation das Serienformat von Netflix oder HBO auf die Bühne übertragen: ein spannender Politthriller für das Theater, der Folge für Folge ein immer größeres Panorama der Konflikte unserer Gegenwart zeichnet. (Ankündigung Schauspiel Frankfurt)