Theater

Stefan Hertmans

Antigone in Molenbeek

(Antigone in Molenbeek)

Das Stück beginnt auf dem Polizeirevier von Molenbeek, dem Brüsseler Stadtteil, der als Hochburg des Islamismus gilt. Nuria will ihren toten Bruder begraben. Aber der Polizist gibt die Leiche nicht heraus, denn der Bruder war ein Terrorist. Also macht sie sich selbst auf die Suche und verstößt damit gegen das Gesetz. Am Ende ist sie die Angeklagte.
Ihre Schwesternliebe macht sie zu einer Antigone, der berühmten tragischen Gestalt der treuen Schwester aus der griechischen Mythologie. Hier die Schwester, deren moralisches Gesetz ihr vorschreibt, den Bruder würdig zu begraben. Dort der Staat, dessen Gesetz ihr genau das verbietet.

Deutsch von Ira Wilhelm

1 D, 1 H

UA: 30.9.2017 · Skulpturale Festival, Münster · Regie: Carolin M. Wirth und Carsten Bender

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Stefan Hertmans

Kopfnaht

Deutsch von Petra Serwe

Der Titel Kopfnaht steht als Symbol für die 'Gespaltenheit' eines Menschen, dessen Fontanelle sozusagen nie zugewachsen ist; er reagiert überempfindlich auf alle Sinneseindrücke und wird schließlich wahnsinnig. Die vier 'Stimmen' im Stück - Lenz, Friedl, Erste Frau und Zweite Frau - sind darum auch eher als die verschiedenen Stimmen im Kopf einer einzigen 'verrückten' Person denn als eigenständige Figuren anzusehen. Sie erzählen keine lineare Geschichte, sondern fassen Gedanken, Gefühle und Erinnerungen in Worte, die nicht oder nicht mehr dem Norm- und Verhaltenskodex der 'Normalität' entsprechen.
Inspirieren ließ Hertmans sich dabei von Leben und Werk des Jakob Michael Lenz, Friedrich Hölderlin, Friedrich Nietzsche, Georg Trakl, Ernst Herbeck und Kaspar Hauser. Sie alle standen außerhalb der Gesellschaft, waren entweder geistig, politisch oder sexuell nicht 'normal' oder wurden wahnsinnig.
Dabei ist Wahnsinn für Hertmans keine Geisteskrankheit, sondern eine Form des Widerstands gegen uneinlösbare gesellschaftliche Anforderungen, die das Individuum sich selbst und der Gesellschaft entfremden; Sprachlosigkeit bleibt der letzte Ausweg. So ist die Sprache in KOPFNAHT auch kein Instrument des Verstandes, sondern der Ausdruck des Gefühls. Vergeblich versuchen die Figuren, den Worten ihren Inhalt zurückzugeben, um sich anzupassen: "Ich weiß, daß man einen Hügel / nicht ein Tal nennen darf. / Ich halte mich an Absprachen."
Für Hertmans sind Nietzsche, Hölderlin und Lenz Opfer dessen, was er "die deutsche ideologische Besessenheit vom Hehren, Griechischen" oder "einen Alptraum von Reinheit" nennt. Sie verkörpern für ihn den dualistischen Charakter der westlichen Philosophie, das Denken in unvereinbaren Gegensätzen: Natur/Kultur, Verstand/Gefühl, Individuum/Gesellschaft.

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