Der Titel Kopfnaht steht als Symbol für die 'Gespaltenheit' eines Menschen, dessen Fontanelle sozusagen nie zugewachsen ist; er reagiert überempfindlich auf alle Sinneseindrücke und wird schließlich wahnsinnig. Die vier 'Stimmen' im Stück - Lenz, Friedl, Erste Frau und Zweite Frau - sind darum auch eher als die verschiedenen Stimmen im Kopf einer einzigen 'verrückten' Person denn als eigenständige Figuren anzusehen. Sie erzählen keine lineare Geschichte, sondern fassen Gedanken, Gefühle und Erinnerungen in Worte, die nicht oder nicht mehr dem Norm- und Verhaltenskodex der 'Normalität' entsprechen.
Inspirieren ließ Hertmans sich dabei von Leben und Werk des Jakob Michael Lenz, Friedrich Hölderlin, Friedrich Nietzsche, Georg Trakl, Ernst Herbeck und Kaspar Hauser. Sie alle standen außerhalb der Gesellschaft, waren entweder geistig, politisch oder sexuell nicht 'normal' oder wurden wahnsinnig.
Dabei ist Wahnsinn für Hertmans keine Geisteskrankheit, sondern eine Form des Widerstands gegen uneinlösbare gesellschaftliche Anforderungen, die das Individuum sich selbst und der Gesellschaft entfremden; Sprachlosigkeit bleibt der letzte Ausweg. So ist die Sprache in KOPFNAHT auch kein Instrument des Verstandes, sondern der Ausdruck des Gefühls. Vergeblich versuchen die Figuren, den Worten ihren Inhalt zurückzugeben, um sich anzupassen: "Ich weiß, daß man einen Hügel / nicht ein Tal nennen darf. / Ich halte mich an Absprachen."
Für Hertmans sind Nietzsche, Hölderlin und Lenz Opfer dessen, was er "die deutsche ideologische Besessenheit vom Hehren, Griechischen" oder "einen Alptraum von Reinheit" nennt. Sie verkörpern für ihn den dualistischen Charakter der westlichen Philosophie, das Denken in unvereinbaren Gegensätzen: Natur/Kultur, Verstand/Gefühl, Individuum/Gesellschaft.