Theater
Fokus
Friederike Emmerling, Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen, Kassel 2025
Das ICH! erwacht hundertfach
Es gibt eine Dehnübung,
bei der die Arme
weit zur Seite geöffnet werden.
Sie breiten sich aus wie Schwingen,
das Herz liegt frei.
Das fühlt sich aufregend schön,
gleichzeitig verletzlich an.
Wie die ungehaltenen Reden.
Auch sie gehen ins Offene,
ihr Herz liegt frei.
–
Wer hätte vor vier Jahren
am 10. Dezember 2021
– dem 100. Geburtstag von Christine Brückner
und mitten im Lockdown,
weshalb wir uns
statt eines tatsächlichen Publikums das Digitale vorstellen mussten
– und selbst das schon unglaublich aufregend war…
Wer hätte damit rechnen können,
dass fünf Jahre später
über 700 Frauen
ungehaltene Reden eingereicht haben würden.
Dass die Veranstaltungen in Kassel und Frankfurt
jedes Jahr aus allen Nähten platzen würden.
Dass die Fotografin Anja Köhne den Ungehaltenen
eine eigene Kunstausstellung widmen
und die Universität Tübingen
im Wintersemester 25/26 ein Seminar mit dem Titel
„Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen – eine Stimme finden und erheben“
anbieten würde?
Wer hätte damals gedacht,
dass diese ungehaltenen Reden
wie gemacht sein werden
als großzügige Einladung an eine Welt,
die sich immer stärker
in übersteigerter Härte
und Drohgebärden gefällt.
Und obwohl sich das alles
nach einer richtig tollen
Erfolgsgeschichte anhört –
sind wir immer noch ein kleines
No Profit at all-Projekt,
dem Anfang des Jahres
-
fatalerweise
im Rahmen der Kulturkürzung
die Unterstützung durch das Hessische Ministerium für Soziales und
Integration gestrichen wurde.
Einige Monate wussten wir nicht,
ob wir wirklich
heute Abend
hier stehen würden.
Aber – here we are!!!
All das wäre heute niemals möglich
ohne all die Leute,
die sich mit solcher Leidenschaft
den Ungehaltenen verschrieben haben.
Gleichzeitig wäre all das
völlig vergeblich,
wenn es zwar eine ungehaltene Rede,
aber Sie nicht gäbe,
liebes Publikum!
Sie haben uns nämlich
in den letzten Jahren gezeigt,
was für eine große und ermutigende Kraft
aufmerksames Zuhören schafft.
Unterschätzen Sie nie,
wieviel Halt Sie
alle – gemeinsam
den Rednerinnen geben.
Danke, dass Sie so zahlreich
versammelt sind.
Das nächste Buch heißt schlicht ICH!.
Christine Brückner legte
diesen Ausruf der Dichterin Sappho in den Mund.
Sapphos ICH!
in Großbuchstaben und mit Ausrufezeichen
liest sich wirklich
wie eine rhetorische Selbstermächtigung:
Ich bin stark,
relevant
und lebendig.
–
Besser lassen sich die ungehaltenen Rednerinnen nicht beschreiben!
–
Unsere nächste Anthologie
wird zwar kleiner sein
als im vergangenen Jahr,
ein Taschenbuch.
Aber –
es wird das kostbarste Buch dieser Reihe sein.
Weil die Ungehalten-Reihe eigentlich eingestellt werden sollte.
–
Dass es sie trotzdem geben wird,
liegt auch an den Ungehaltenen selbst.
Sie haben mit uns für dieses ganze Projekt geworben, gesammelt und gespendet.
Dank vieler kleiner und einer Großspende von Heikedine Körting
hat die Stiftung das Buch schlussendlich selbst finanzieren können.
Es erscheint Ende Februar
und ist zwar „nur“ ein Taschenbuch,
aber dafür ganz und gar ungehalten.
–
Die Buchpremiere ist am 8. März im Frankfurter Museum für Kommunikation.
Freuen Sie sich schon darauf.
Und bis dahin kaufen Sie unbedingt
verschlingend viele ungehaltene Bücher,
verschenken Sie das Ungehaltensein zu Weihnachten,
und zum Neuen Jahr…
Es war
und ist das beste Invest in das Fortbestehen unserer Ungehalten-Anthologie.
Weil hohe Verkaufszahlen einfach ein unschlagbares Argument sind…
Und wenn Sie sich gerade denken,
ich will mir selbst noch viele, viele ungehaltene Reden schenken,
dann unterstützen Sie uns gerne mit Spenden,
das geht jetzt zum Glück auch mit nur einem Mausklick,
weil wir mittlerweile eine Ungehaltene-Crowdfunding Plattform eingerichtet haben.
Leider müssen wir für Kassel eine Auswahl treffen.
Und für das Buch.
Und es ist klar,
dass viele Rednerinnen enttäuscht sind,
weil sie bestimmt auch gerne
heute hier gestanden hätten.
–
Liebe ungehaltene,
aber heute nicht eingeladene Rednerinnen,
Liebe ungehaltene,
aber bislang noch gar keine Rede eingereicht habende Rednerinnen,
Lasst euch nicht entmutigen!
-
Haltet eure Reden trotzdem!
Haltet sie vor Familien, Freundinnen, Bekannten.
Ladet eine Person dazu ein
oder zehn.
Lasst euch einladen –
Macht eure Reden zu dem, was sie sind:
eine Einladung zum Gespräch mit weit geöffneten Armen.
Stellt euch vor,
was wohl wäre,
wenn jede Frau auf dieser Welt
ihre ganz persönliche „ungehaltene Rede“
hält?
Wenn dieses „ICH!“
in Hunderten,
Tausenden,
Millionen,
ach was, Milliarden
von Haushalten
ungehalten spricht?
Das wäre eine Sensation,
aber schon
keine unvorstellbare mehr.
Es wäre eine großzügige Revolution
–
eine Revolution des gegenseitigen Festhaltens
–
eine Rebellion mit weit geöffneten Armen.
–
Wer behauptet,
dass das Private nicht politisch ist,
irrt.
Nichts ist unpolitisch,
schon gar nicht das Schweigen.
–
Wir können dem Wahnsinn dieser Welt etwas entgegensetzen.
–
Uns.
In unserer ganzen Vielfalt.
Dazu braucht es nicht viel:
Reden und öffnen.
Zuhören und öffnen.
–
Und deshalb komme ich jetzt
zum eigentlichen Anlass dieser Veranstaltung:
Liebe Ungehaltene,
Barbara Peveling
Alice Rugai
Christine Sterly-Paulsen
Jana Petersen
Eter Hachmann
und
Mechthild von Lutzau
–
Ergreift das Wort und lasst das ICH! erwachen!
Wir erwarten euch mit offenen Herzen und weit geöffneten Armen!