Theater
Interview
Lukas Röder
Dramatik im Ausnahmezustand – Im Gespräch mit Lukas Röder
Johanna Schwung: Lukas, du bist eigentlich Drehbuchautor. PILLEN ist dein erster Text für die Bühne. Dieses Stück ist sehr intim, es fühlt sich fast voyeuristisch an, so nah ist man diesen Figuren. Was verändert sich für Dich, wenn Du für das Theater schreibst?
Lukas Röder: Ich denke immer auch an den Saal, an das gemeinsame Erleben, wenn ich einen Film mache. Ich genieße es, wenn ein Saal mucksmäuschenstill ist, wenn sich niemand traut, sich zu bewegen, wenn ein Zuschauer den Atem anhält, weil man eine Stecknadel fallen hören könnte. Im Theater potenziert sich dieser Effekt. Die Beziehung der Zuschauenden zu den Spielenden ist eine lebendige. Die anders als im Kino auf momenthafter Interaktion beruht. Als ich PILLEN fürs Theater geschrieben habe, wollte ich eine Situation schaffen, die so fragil ist, dass das Unbeteiligt sein zur Herausforderung wird. Ich wünsche mir einen Saal, der wirklich zu kämpfen hat mit den Inhalten und gefordert ist, sich zu positionieren. Ich glaube, man wird spüren, auf wessen Seite sie sich stellen. Auf die des suizidalen Verrückten oder auf die Seite seines Freundes, der seine Instabilität erst provoziert. Und dann wird es wirklich spannend.
JS: In Pillen setzt Aaron seine Medikamente im Selbstversuch ab. Er und sein Partner Hans dokumentieren den Entzug mit Kameras. Du beschreibst sehr schonungslos die Persönlichkeitsveränderung von Aaron und die Auswirkung auf die Beziehungsdynamik. Dadurch wird die Zerrissenheit von Menschen mit psychotischen Erkrankungen schmerzhaft spürbar. Welche Reaktionen erhoffst Du Dir von einem Theaterpublikum?
LR: Eine psychische Erkrankung ist eine Ausnahmesituation. Angehörigen und Freunden und auch eher unbeteiligten Mitmenschen ist zwar meist klar, dass irgendwas schief läuft, was aber wirklich passiert mit dem Wesen eines kranken Menschen wird so in aller Offenheit meist nicht ausgebreitet. Ich wollte so drastisch wie möglich sezieren, was passiert, letztendlich um Empathie zu schaffen. Von außen sind die Kämpfe nicht ersichtlich und ich glaube, der Text möchte schlussendlich um Verständnis werben. Diese Erkrankung und die Behandlung ist hoch komplex und es braucht für Betroffene oft ein ganzes Leben, um sie zu verstehen und zu durchschauen. Ich möchte, dass den Zuschauenden klar wird, dass erkrankte Menschen mit allem, was sie haben, kämpfen, um eine Besserung herzustellen und dass der Weg zu dieser Besserung oft an absoluten Grenzen der Existenz kratzt. Wie z.B. Suizidalität, mit der eine der Figuren zu kämpfen hat. Die Reaktion, die ich mir erhoffe, ist eine Zuwendung den Erkrankten gegenüber.
JS: Gerade ist dein Lyrikband "Wenn die Angst nicht mehr auszuhalten ist, komme ich zu mir" erschienen. Darin sind Gedichte abgedruckt, die du Rosa von Praunheim geschickt hast. Du bezeichnest Rosa als Mentor. Wie hat er dein Schreiben beeinflusst?
LR: Rosa ist, seitdem ich ihn kenne, meine wichtigste künstlerische Instanz. Er hat mich von meinen absoluten Anfängen, noch vor der Filmhochschule, bis jetzt begleitet und nichts, was ich je veröffentlich habe, hat er nicht zuvor gesehen oder gelesen. Gerade am Anfang ist das künstlerische Selbstbewusstsein sehr fragil. Rosa war für mich immer eine Sicherheit. Wenn er etwas gut findet, gibt das mir das Selbstbewusstsein, es in die Welt zu geben. Es gibt mir das Selbstbewusstsein, es zu verteidigen. Wenn er etwas schlecht findet, fordert er mich heraus eine Haltung dazu zu entwickeln. Ich konnte mich immer auf seine Einschätzung verlassen und mit ihm als Korrektiv habe ich meine künstlerische Stimme geformt. Er hat mich immer ermutigt, radikal mit meiner Lebenswelt umzugehen. Ans Eingemachte zu gehen. Radikal persönlich zu erzählen. Ohne ihn und meine Professorin an der Filmhochschule, Julia von Heinz, hätte ich diesen Zugang nie gefunden.