Theater
Interview
Lea Marlen Balzer
Texte, die Lust auf Bühne machen - Autorin und Regisseurin Lea Marlen Balzer im Interview
OF: In deinem neuen Stück kreisen verschiedene Figuren um eine fünftausend Jahre alte Gletschermumie. Die Handlung spannt sich von der Kupfersteinzeit über die 1990er Jahre bis in die Zukunft. Du lässt einen vielseitigen Reigen an Menschen auftreten, die alle eine ganz eigene Sprache haben. Wie kam es zu diesem Stück und was hat dich inhaltlich an Ötzi und Konsorten interessiert?
LMB: Völlig aus dem Nichts habe ich mich eines Tages gefragt: Wie war das wohl, den „Ötzi“ zu finden? Wem ist das passiert? Mich fasziniert das Unwahrscheinliche, und es gibt kaum etwas Unwahrscheinlicheres als die Entdeckung eines 5.300 Jahre alten, tiefgefrorenen Körpers durch ein deutsches Ehepaar im Urlaub. Außer vielleicht, dass dieser Körper dann zum meisterforschten der Welt wurde, jetzt öffentlich hinter Glas liegt und Brad Pitt ein Tattoo von ihm hat. Mich berührt dieser Mann irgendwie, der vor fünftausend Jahren die Alpen bestiegen hat, in Schuhen aus Gras. Der nicht gefragt wurde, ob wir seinen Fußpilz analysieren dürfen, und der vielleicht Weltschmerz, nervige Eltern und keinen Bock auf Arbeit hatte, wie wir auch. Und ganz nebenbei, sozusagen als Abfallprodukt, porträtiert das Schicksal dieser Mumie auch westliches Denken, schmelzende Gletscher, den Glauben an Fortschritt. Und stellt die Frage, was bleibt.
OF: GLETSCHERMUMIE, LIEBE war deine Regie Abschlussarbeit an der Theaterakademie Hamburg (HfMT). Die Premiere fand im März auf Kampnagel statt. Bereits dein preisgekröntes, erstes Stück TITANIC ODER WIE TIEF KANN MAN SINKEN hast du im Theater Drachengasse in Wien selbst inszeniert. Was interessiert dich daran, deine Texte selbst zu inszenieren? Schreibst du deine Texte bereits ausgehend von einer konkreten Regieidee? Bedingt die Regie das Schreiben, oder umgekehrt?
LMB: Ich hatte nicht vor, Dramenautorin zu werden. Meine Stücke sind eher aus der Not entstanden, weil ich Stoffe auf die Bühne bringen wollte, für die es einfach keine Texte gab. Natürlich hätte ich dokumentarisches Material collagieren können, aber als Sprach-Fan bevorzuge ich Stücke, die Figuren haben, die zum Punkt kommen müssen. Notgedrungen habe ich das dann selbst versucht. Manche Texte waren schneller fertig als das Konzept, mit denen haben wir so unbefangen und ahnungslos geprobt, als hätte sie irgendjemand Fremdes verfasst. Andere Szenen habe ich konkret für eine bestimmte Spielerin oder für unser Bühnenbild geschrieben. Weil das in mir alles so verschmolzen ist, freute es mich, als Leute sagten, der Text funktioniere auch für sich allein sehr gut. Ich wäre wahnsinnig neugierig, ihn von jemand anderem inszeniert zu sehen.
OF: Du schreibst auch als Journalistin für verschiedene Zeitschriften und Magazine, übersetzt aus dem Französischen für Medien Outlets. Worin liegt gerade im dramatischen Schreiben der Reiz für dich?
LMB: Dramatisches Schreiben ist für mich die schwerste von allen Gattungen, ich habe da großen Respekt vor. Um ein Stück zu schreiben, muss man die Welt komplett in Handlungen und Handelnde zerlegen, ständig muss irgendwer was wollen, sonst erstarrt der Text und lässt sich nicht spielen. Man braucht Figuren, die stringent, aber zugleich komplex sind – und muss trotz allem fluffig, fast schnoddrig bleiben beim Schreiben, sonst ist schnell die Luft raus aus einer Szene. Am Ende zählt für mich die Spielbarkeit. Dass der Text Lust macht auf die Bühne.
„Heute Nacht kamst du und saßest neben mir, um zu schauen, ob ich schlafe.
Ich hatte nicht geschlaft, nur so getan. Ich hatte gelegen und gedacht an die Pfeil und Schleudern des
wütenden Geschicks, und an geiles Essen und an Liebe“