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Lukas Rietzschel

Uraufführung von DER GIRSCHKARTEN nach Anton Tschechow

Eine alptraumhafte Familienzusammenführung, eine manipulative Matriarchin und ein Grundstück, das wie ein Fluch auf allen lastet. Lukas Rietzschel hat die Komödie DER KIRSCHGARTEN von Anton Tschechow überschrieben. Umgeformt in ein absurd-komisches, brandaktuelles Porträt einer Familie zwischen Wahn und Wirklichkeit, Kirschgärten und Girschkärten. Die klug durchdachte Uraufführung von Enrico Lübbe mit einem spielfreudigen Ensemble kann nun am Schauspiel Leipzig bestaunt werden. Hingehen! Es lohnt sich.

Drei Personen in einem Theaterstück auf einer weißen Bühne. Eine blonde Frau im Vordergrund blickt aus dem Bild. Dahinter liegen zwei Personen, die eine hält die andere. © Rolf Arnold

Am Ende stehen sie dort, in dem weißen Nichts, umnebelt und entrückt - die namenlose Familie. Starren in den Saal hinein, als ob wir - das Publikum - eine Antwort hätten. Antworten auf die Aushölung unserer Geselllschaft durch Alternative Fakten und durch eine zermürbende Zukunftsangst. Als ob wir eine Lösung für diese Familie finden können, die sich heillos verstrickt hat und nicht mehr aus dem wuchernden Garten des einstigen Familienbesitzes zu entkommen scheint. 

Geschickt verwebt Lukas Rietzschel in seiner Komödie (denn das ist sie primär neben aller Abgründigkeit) die Tschechowsche Aktstruktur und reichert dem Stück aktuelle Gesellschaftsthemen an. Ähnlich wie bei seiner Vorlage, lässt Rietzschel seine Figuren plappern, ausweichen, prokrastinieren. Sie tun alles, nur nicht das, für das sie angereist sind. Die Dialoge sind herrlich entlarvend und machen den Schauspieler:innen auf der Bühne sichtlich Freude. 

Ein letztes Mal versammelt sich die Familie im Haus der Großmutter. Das Anwesen soll mitsamt Garten verkauft werden. Ein Neubaugebiet entsteht, und baut sich mit ihren grellen LED-Straßenlampen und Carports bedrohlich vor dem alten Grundstück auf. Die Großmutter wehrt sich gegen die vermeintliche "Enteignung" und sabotiert ihre Pläne. Der Sohn erfährt, dass die Großmutter das Haus bereits an die Nachbarin verschenkt hat, welche es nun versiegeln lässt, um den Stillstand zu bewahren. Am Ende flieht die Familie; nur der  alleinstehende Bruder bleibt zurück, eingeschlossen im versiegelten Haus.

Lukas Rietzschel hat einen Nerv mit seinem neuen Theaterstück getroffen: Nicht nur das Publikum, sondern auch die Kritiken feiern diesen tiefsinnigen, schmerzhaften nahen und irriwtzigen Abend. Der Girschkarten blüht in Leipzig. Am besten besucht man ihn noch einmal. Das Wummern der Planierraupen lässt den Boden bereits erzittern. 

DER GIRSCHKARTEN
von Lukas Rietzschel
Komödie nach Anton Tschechow
Regie & Bühne: Enrico Lübbe, Kostüme: Teresa Vergho, Musik: Peer Baierlein, Thibault Madeline, Dramaturgie: Torsten Buß.
Vanessa Czapla, Niklas Wetzel, Dirk Lange, Lisa-Katrina Mayer, Thomas Braungardt, Katja Gaudard, Tilo Krügel.
Uraufführung am 27. November 2025

Ein Theaterfoto: Eine ältere Frau mit Axt in gelbgrünem Kleid steht links im Vordergrund, schaut nach rechts. Rechts stehen vier Personen (Mann, Frau, Frau, Mann) auf einer weißen Bühne.
© Rolf Arnold
© Christine Fenzl

Lukas Rietzschel

Lukas Rietzschel, geboren 1994 in Räckelwitz in Ostsachsen, lebt in Görlitz. 2012 wurde sein erster Text im ZEIT Magazin veröffentlicht, seitdem folgten Veröffentlichungen in verschiedenen Anthologien. 2017 war er Gewinner bei poet|bewegt. Für das Manuskript seines Romandebüts Mit der Faust in die Welt schlagen (Ullstein Buchverlage / Ullstein fünf) wurde er 2016 mit dem Retzhof-Preis für junge Literatur ausgezeichnet.

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