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Katja Brunner

Wider die Zähmbarkeit oder wie Katja Brunner Shakespeare zerpflückt

Der Widerspenstigen Zähmung lädt schon im Titel zu einer Form von Gewalt ein, die fassungslos macht.

Foto: Wider die Zähmbarkeit oder wie Katja Brunner Shakespeare zerpflückt © ® Diana Pfammater

Mit übermütiger Klug- und gnadenloser Entschiedenheit stemmt Katja Brunner sich gegen die Selbstverständlichkeit dieses literarischen Kanons und schreibt eine furiose Entgegnung: DER ZÄHMUNG WIDERSPENSTIGKEIT. Zum Probenauftakt schrieb sie dem Team des Deutschen Theaters Berlin einen herrlichen Aufputschbrief, der hier zur Einstimmung auf die Premiere am 19.12. nachzulesen ist.

28.10.2024

HALLO LIEBES TEAM!,
Leider kann ich nicht mit von der Partie sein heute, daher schreibe ich kurz, rasch, flugs einiges auf

MIT DEM UNHEILIGEN (UN)ERNST GEGEN DEN HEILIGEN ERNST

Also, mein hauptsächliches Begehren – nebst einer Verfleischwolfung des Augangstexts – war es, eine Art widerborstiger Kontinuität tradierter und struktureller Abwertung des Weiblichen* und der weiblichen* Selbstbestimmung um den Glutkern dieser Verschacherungskomödie zu arrangieren. Quasi mit der patriarchalen Schenkelklopfgeste des Ausgangstexts insofern mitzugehen, als zu schauen, was sie ermöglicht hat – welche Kleinhaltungen ermöglicht eine Legitimation durch Humor? Welche Bereiche einer Lebensführung betrifft sie? Kann mensch eine Art Ikonisierung von Katharina herbeischreiben und ihren Polyvalenzen sprachlich Raum schaffen? Kann sie aufgefächert werden und kann ihr eine Verbündete oder mehrere zur Seite gestellt/geschrieben werden? Können sich diese ad hoc verbinden? Welche Bewegungen sind notwendig für ihre Verbindung?

 

Ist es ein Morast der Behauptungen, in dem wir uns finden und können wir diese Behauptungen umdichten in einem frohlockend widerspenstigen Sinn --< sinngemäss Silvia Federici, die Ekstase des Widerstands zu erlangen?

Kann der Text in Ahnungen und Vorbereitungen von / auf Solidarität gelingen? Was ist der Boden, auf dem sie gedeihen kann? Welche Bilder müssen losgebracht, verpfändet, zerstört werden, damit andere in eher unheiteren Zeiten von Retraditionalisierung, Aufrüstung und einem irgendwie gearteten Verstummen/Versickern von marxistisch geschultem Feminismus VERDAMMT NOCHMAL AUFBLÜHEN KÖNNEN?

Welche Bilder der Verbundenheit und der Handreichungen unter Flintapersonen – warum finde ich nicht ständig Statuen von ÜBERLEBENDEN FRAUEN*? Aufgerichtet, zu erinnern? Das mag jetzt kitschig klingen, ist es womöglich auch, aber warum denn auch nicht? Warum denn auch nicht für die grösseren Gesten, für die Verankerungen im öffentlichen Raum? Warum denn auch nicht Kerben in die Böden unserer Städte zu schlagen versuchen als Zeichen des Respekts für unsere Vorkämpfer*innen? Warum denn auch nicht, Sprache triezen, auf dass sie sich zeige? Auf dass sie sich offenbare, ihre Flut an historischen Subbedeutungen ausjagend? Warum denn auch nicht etwas über den Shakespeare lachen, dass er über solch plumpe Gewalt der Zuschreibung lachte? Etwas darüber lachen, dass mensch sich in Stadttheatern noch und nöcher ähnliches zu Gemüte führen kann? Dann doch noch öfter mal relativ 1 zu 1 die ganzen opferbringenden Frauen*figuren, die ganzen Suizidentinnen, die ganzen mehr oder minder Wehrlosen in den von einem SCHICKSAL zugeschanzten vermeintlichen Gegebenheiten, aber als wäre das nicht zBsp eine biopolitische Organisationsform.

Solche und ähnliche Fragen wollte ich angehen, aber zersetzt mit einer spielerischen FREUDE AN EKSTASE der Sprache (Reime, Chöre, subversive Überaffirmation), sie aufzurauen und auszuhöhlen, sie als das widerständige, Geschichte mittragende Material zu behandeln, das sie ist; ihr aber das Zugeständnis zu machen, dass sie beweglich ist, dass sie schöpfend ist, dass sie nicht erschöpft ist, sondern wir aus ihr auf dem Morast alter Tage EINE NEUE SACHE ERRICHTEN, Statuen, Statuetten, Kommentare, Glossen des Gegenwärtigen für ein anderes, ein leuchtendes JETZT –

DANKE EUCH,

wünsche euch allen von ganzem Herzen ein frohes Schaffen –

und verbleibe herzlich grüssend!,

Katjaaaa

Ps. Ahja, ps. RAUM FÜR WUTHUMOR. HUMORWUT. Im Zertrümmern und im Distorten und im Überhöhen ist die Freude am Neuzusammensetzen schon enthalten, der Gruss, der Wind einer anderen Zeit, es steht ein Künden VON WUTLACHEN im Raum oder so ähnlich jedenfalls ALLES LIEBE SOWIESO

© Diana Pfammatter

Katja Brunner

Katja Brunner, geboren 1991 in Zürich, studierte Literarisches Schreiben am Literaturinstitut Biel/Bienne sowie Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin. 2010 entstand ihr Stück von den beinen zu kurz, mit dessen Deutscher Erstaufführung sie 2013 den Mühlheimer Dramatikerpreis gewann. Im selben Jahr wurde sie mit die hölle ist auch nur eine sauna zum Heidelberger Stückemarkt eingeladen und in der Kritikerumfrage von Theater heute zur Nachwuchsautorin des Jahres gewählt. 2014/15 war Katja Brunner Hausautorin am Theater Luzern, 2015 Stipendiatin am Literarischen Colloquium Berlin, 2016 erhielt sie ein Werkjahr der Stadt Zürich für das Schreiben von Prosa. 2018 bekam Katja Brunner den mit 30.000 CHF dotierten Förderpreis des Kulturpreises des Regierungsrates Zürich verliehen. Katja Brunners Stücke wurden u.a. am Schauspielhaus Zürich, Schauspiel Köln, Schauspiel Leipzig, Theater St. Gallen und der Volksbühne Berlin uraufgeführt. 2021 kam das Projekt JEDER TAG EIN VOLLMOND in ihrer Regie am Schauspielhaus Bochum zur Uraufführung. Im Wintersemester 2020/21 unterrichtete Katja Brunner als Gastprofessorin am Deutschen Literaturinstitut Leipzig, außerdem doziert sie am Bieler Literaturinstitut. Sie arbeitet mit dem Theaterautorinnenkollektiv Institut für chauvinistische Weiterbildung, schreibt Essays für Zeitungen und tritt als Loretta Shapiro auf diversen Festivals und Theatern mit Sophie Aeberli auf. Im Frühjahr 2022 wurden gleich zwei Brunnerstücke mit gewohnt feministischer Strahlkraft uraufgeführt: Die Kunst der Wunde am Schauspiel Leipzig und die Shakespeareüberschreibung Richard Drei am Schauspiel Köln.






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