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Till Wiebel

Über eine Uraufführung inmitten der Zeitenwende – FUNKEN von Till Wiebel

"Als hätte sich die Welt in den letzten Stunden nicht schon oft genug als eine andere herausgestellt." Dieses Zitat stammt aus dem Jugendstück FUNKEN von Till Wiebel und wurde von Alexander Riemenschneider – neben Christina Schulz Teil der Intendanz am Theater an der Parkaue – in seiner Dankesrede nach der Uraufführung aufgegriffen. So müssen wir uns wahrscheinlich alle gerade fühlen, nicht wahr? Die Welt erweist sich als eine andere. Obwohl Premieren stattfinden und die Proben an den Theatern weitergehen, sehen wir uns alle mit der Frage konfrontiert, wie wir auf die aktuelle Kriegssituation mitten in Europa reagieren. Wie weitermachen, in einer Welt, die sich zunehmend verfinstert?

Produktionsfoto Theater an der Parkaue © © Sinje Hasheider

Generell war an diesem Uraufführungsnachmittag am 26.02.2022 – zwei Tage nach Beginn der aktuellen russischen Invasion – die Zeitenwenden, in der wir uns gerade befinden, permanent greifbar: in den Gesprächen vor und nach der Vorstellung, aber auch in der Inszenierung selbst. Regisseurin Mina Salehpour hat Till Wiebels Jugendstück über Widerstand und Solidarität, in dem die Jugendlichen sich trauen, zu träumen und ihre Ideen zu verwirklichen in ebenso spielerische wie auch emotionale Szenen überführt. Der blanke, schwarze Bühnenraum verwandelte sich im Laufe der Vorstellung zu einer fantasievollen, queeren Gegenwelt, einer scheinbaren Utopie der gelebten Möglichkeiten, voller Flitter und überbordenden Tentakel-Kostümen. Am Ende öffnete sich der hermetisch abgeschlossene Bühnenraum. Die Welt wurde hereingelassen und durch ein offenes Schiebetor traten die Darsteller:innen hinaus ins gleißende Tageslicht. Manche Premieren werden uns nicht nur aufgrund ihrer künstlerischen Finesse, sondern auch wegen ihrer zeitlichen Verortung und den Gesprächen nach dem Schlussapplaus in Erinnerung bleiben.

Der 13-jährige Malte Schröder hat sich seinen Sommer anders vorgestellt: Im Feriencamp der ominösen Arthur McPush Cooperation kommen die gescheitesten jungen Köpfe des Landes in einer Welt ohne Erwachsene zusammen. Ein wahres Paradies für Tüftler*innen und Hochbegabte. Blöd nur, dass Malte Schröder eine absolute Normal-Null ist. Noch nie hat er sich so mittelmäßig und fehl am Platz gefühlt. Glücklicherweise lernt er rasch Freunde kennen, die Malte unter ihre Fittiche nehmen. Doch bald müssen sie herausfinden, dass die Arthur McPush Cooperation eine ganz eigene Agenda verfolgt. Sie werden dazu benutzt, einen aberwitzigen Zukunftsplan zu realisieren.

Von einem Tag auf den anderen las ich FUNKEN völlig neu. Als mir Till seinen Text vor anderthalb Jahren schickte, begeisterte mich die unkonventionelle Geschichte einer Gruppe junger Menschen, die in einem Sommercamp spektakuläre Abenteuer bestehen müssen. Jetzt verstehe ich das Stück vielmehr als einen Aufruf zum solidarischen Handeln. Antonia Ruhl bringt in ihrer Theaterkritik in der Deutschen Bühne den Kern des Stücks auf den Punkt: „Wer gestaltet die Welt?“ Ist es der omnipräsente Tech-Gigant Arthur McPush, der mit seiner Corporation jeden einzelnen Winkel unseres Alltags durchdringt? Oder sind es vielmehr die Jugendlichen im Sommercamp, die durch ihre Genialität und ihr solidarisches Miteinander eine Zeitenwende einleiten können? Damit rückt das Stück in den aktuellen intergenerationalen Konflikt, der bereits mit der Fridays-for-Future-Bewegung in jüngster Zeit offen zu Tage trat. Junge Menschen ergreifen das Wort, fordern sich selbst und die Erwachsenen zum Handeln auf, wollen die gemeinsame Zukunft mitprägen. Denn es zählt jede:r Einzelne, um sich gegen die durchtriebene Cooperation zu behaupten und nicht weniger als die Welt zu ändern.

Die permanente Notwendigkeit zum solidarischen Handeln wird uns aktuell schmerzlich in Erinnerung gerufen. Es ist nicht neu, dass wir unsere Zukunft und die Welt, in der wir leben, nur gemeinsam verändern können. Wir sehen aktuelle gelebte Solidarität an den Grenzen zur Ukraine. Doch gibt es auch immer wieder Fälle, in den Menschen auch in diesem Moment ausgegrenzt werden oder in denen Konflikte gänzlich ignoriert werden. Es bleibt viel zu tun. Doch einen Funken Hoffnung gibt es – ein Funke, der sich fortträgt und eine Revolution entfacht. 

© Beatrix Rinke

Till Wiebel

Till Wiebel, geboren 1994 in Ostfriesland, studierte Szenische Künste an der Universität Hildesheim und als Gaststudent Regie an der Zürcher Hochschule der Künste. Als Autor und Regisseur produziert er in verschiedenen Konstellationen Theaterarbeiten im Stadttheater und in der Freien Szene, die unter anderem beim Körber Studio Junge Regie am Thalia Theater Hamburg und beim Theatertreffen der Jugend am Haus der Berliner Festspiele zu erleben waren.

Sein Debütstück Am Wulst der Zeit wurde 2019 mit dem Autorenpreis des CumEx-Stückewettbewerbs des Studio Naxos in Frankfurt am Main ausgezeichnet und dort uraufgeführt. Mit selbigem Text wurde er zum Auftakt Festival für szenische Texte nach Köln eingeladen. Im Frühjahr 2020 war er Finalist bei den Tagen der Jungen Dramatik am Staatstheater Braunschweig. Im Rahmen des „mit+abstand“ Stipendiums vom Kinder- und Jugendtheaterzentrum der Bundesrepublik Deutschland realisierte er das partizipative Textprojekt Die Qual / Der Wal - Ein Katalog ungeschriebener Geschichten. Für sein Stück Funken wurde Till Wiebel mit dem Retzhofer Dramapreis 2021 in der Kategorie "Junges Publikum" ausgezeichnet. Mit der Spielzeit 21/22 beginnt er seine Arbeit als Dramaturg am Jungen Schauspielhaus Hamburg.

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