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Christine Brückner

Weil Aufgeben keine Option ist

Am 16. März erscheint bei S. Fischer die Neue Rundschau mit Neuen ungehaltenen Reden ungehaltener Frauen. Was sich wie ein weiblicher Befreiungsschlag anfühlte, wurde spätestens bei der Lektüre des ersten Korrekturgangs zu einem Alptraum. Ausgerechnet die Männer haben in dieser Ausgabe das letzte Wort bekommen. Wie es dazu kommen konnte und warum gerade deshalb ein echtes ungehaltenes Buch entstand, beschreibt Friederike Emmerling in ihrem Ungehaltenen Vorvorwort aus der Neuen Rundschau 2022/1.

Cover Neue ungehaltene Reden Neue Rundschau

Ungehaltenes Vorvorwort

Alas ich den ersten Korrekturgang dieser Neuen Rundschau auf meinem Rechner öffnete und freudig durch das Inhaltsverzeichnis scrollte, dachte ich erst, die Rubriken jenseits der Ungehaltenen Frauen seien ein Überbleibsel aus einer alten Datei. Schmunzelnd markierte ich die Seite mit einem großen Fragezeichen, bevor ich in die Reden abtauchte. Ein rauschhaftes Gefühl ergriff mich. So stolz war ich. Und glücklich, all diese Stimmen hier versammelt zu lesen. Bis ich die letzte Rede gelesen hatte. Und verstand, dass es noch weiterging. Mit den klassischen Rubriken dieser Literaturzeitschrift. Hatten wir uns nicht auf eine Sonderausgabe verständigt? Kennen Sie das Gefühl, wenn man denkt, etwas könne nicht sein, weil es einfach nicht sein kann? Hatten wir das etwa nie abschließend geklärt? Als ich weiterlas, wurde mir schwindelig. Männer, Männer, Männer. In das letzte Drittel dieser Ausgabe hatte sich nicht ein einziger weiblicher Text verirrt. Nicht dass hier ein Missverständnis entsteht. Ich habe nichts gegen Männer. Ganz im Gegenteil. Und auch die Texte in Lyrikradar, Moby Dick und Carte Blanche sind für sich besehen großartig. Trotzdem sind sie in dieser speziellen Neuen Rundschau fehl am Platz. Wenn eine Ausgabe so vor weiblicher Kraft strotzt, dass sie nicht weniger als einen Aufbruch in eine neue Ära der Ungehaltenen verkündet, muss man die Wucht doch aufnehmen und sie behutsam weitertragen. Mit Frauen beenden, was mit Frauen beginnt. Dazu hätte es – Sonderausgabe hin, Schwerpunkt her - nichts weiter als minimales Fingerspitzengefühl gebraucht. Auch die Rubriken hätten samt und sonders den Frauen gehören müssen. Wie konnte so etwas passieren? In einem Verlagshaus mit zwei Frauen an der Spitze? Das Wort UNGEHALTEN bekam auf einmal eine schmerzhaft körperliche Dimension. Alexander Rösler, einer der Herausgeber dieser Literaturzeitschrift, bekam sie mit voller Wucht zu spüren. Und da muss ich jetzt sagen: Chapeau. Weil er diese Wut sehr tapfer ertragen hat und noch weitaus mehr. Denn als ich ihm sagte, dass dieses Magazin auf keinen Fall rauskommen dürfe, ohne ein Vorwort, dass sich für diese Zusammenstellung entschuldigt, sagte er: „Ja. Du hast ja Recht. Beschreib, wie es ist. Beschreib, dass die Neue Rundschau ausschließlich männliche Herausgeber hat. Und dass sich da was ändern muss. Und beschreib, dass wir offenbar immer noch viel zu wenig verstanden haben, obwohl wir denken, wir hätten alles verstanden. Aufgeben darf jetzt keine Option sein“, rief er, mittlerweile selbst völlig ungehalten, „sondern eben NICHT aufgeben. Lass uns das Beste aus diesem Vorgang machen, damit uns so etwas nicht noch einmal passiert.“ Sie merken, ich habe ihn gnadenlos beim Wort genommen. Und freue mich mittlerweile über diese Auseinandersetzung. Dinge sind in Bewegung geraten. Es fühlt sich an, als ob diese Publikation an ihrem Konflikt gewachsen ist. Aus dem Schwerpunkt Neue ungehaltene Reden ungehaltener Frauen ist ein ungehaltenes Buch geworden. Ein Buch, das seine Widersprüche und Konflikte offenlegt. Es ist definitiv nicht perfekt geworden, aber es ist ehrlich. Und macht eines ganz deutlich: Es bringt nichts, einfach nur auf Verbesserungen zu hoffen. Wir werden schon selbst dafür sorgen müssen, dass sie auch wirklich stattfinden!

Friederike Emmerling

 

  • Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen ist ein Projekt der Stiftung Brückner-Kühner und des S. Fischer Verlags in Kooperation mit dem Archiv der deutschen Frauenbewegung, der Stadt Kassel und dem Hessischen Rundfunk.
  • Die Neue Rundschau 2022/1 mit dem Schwerpunkt Neue ungehaltene Reden ungehaltener Frauen erscheint am 16. März im S. Fischer Verlag.
© Elvira Zickendraht

Christine Brückner

Christine Brückner wurde 1921 als Pfarrerstochter geboren. Sie studierte Germanistik, Psychologie und Kunstgeschichte, während sie ihren Lebensunterhalt als Köchin, Kantinenleiterin, Buchhalterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kunstinstitut Marburg verdiente. Im Alter von zweiunddreißig Jahren veröffentlichte Christine Brückner ihren ersten Roman: Ehe die Spuren verwehen.

Im Jahr 1983 brachte Christine Brückner bei Hoffmann & Campe das Buch Wenn du geredet hättest, Desdemona. Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen heraus. Es handelt sich dabei um zunächst 11, in der Ullstein-Taschenbuch-Ausgabe dann 14 Monologe, die die Autorin Frauen aus Geschichte und Literatur in den Mund gelegt hat: von Klytämnestra und Sappho über Katharina von Bora, Desdemona und Effi Briest bis zu Eva Braun, Gudrun Ensslin und einer Ungeborenen.

„Christine Brückner setzt das jahrhundertelang übliche Bezugsverhältnis zwischen Männern und Frauen voraus, um es danach in seiner Absurdität sichtbar zu machen. Und wie das geschieht – mit wieviel Schalksinn, Einfallsreichtum und amüsantem Umkehren aller Verhältnisse!“, so Walter Jens in seiner Rezension des Buches.

Gedacht waren die Texte auch als Theatermonologe. Sie wurden nicht nur als Lektüre, sondern auch auf der Bühne ein großer Publikumserfolg. Das Buch verkaufte sich im oberen sechsstelligen Bereich, und in den 1980er Jahren war Christine Brückner mit diesen Texten an Theatern auch eine der meistgespielten deutschsprachigen Autorinnen. Bis heute wird das Buch häufig erworben und werden die Monologe vielfach gespielt.

Zu ihren Lebzeiten (1921-1996) gehörte die Schriftstellerin Christine Brückner zu den meist gelesenen Autorinnen Deutschlands. Ihr umfangreiches Werk umfasst Romane, Erzählungen, Aufzeichnungen, Hörspiele und Theaterstücke. 1984 stiftete sie mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Otto Heinrich Kühner den „Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor“ und gründete die Stiftung Brückner-Kühner. Sie wurde vielfach ausgezeichnet und ist Ehrenbürgerin der Stadt Kassel.

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