Theater

Eleonore Belasi

blind gang boom, once we were golden

eine sondage

Unter der Erde schlafen sie: die Sprengkörper vergangener Kriege, die nicht detonierten. Die weiblichen Bomben, die, nachdem sie die Erde einmal penetrierten, zu männlichen Blindgängern wurden. Im Boden, zwischen den schweren Knochen unserer Großväter und Urururgroßväter ruhen sie sanft. Der Maulwurf kennt ihre Geheimnisse, weiß wo sie zu finden sind. Lady Die schlendert sanft in ihren Ledermokassins über die Weizenfelder, die die Geschosse in ihren Erdschichten beherbergen. Wie gewohnt nutzt sie ihre Rolle als Charity-Lady, um uns auf sie Aufmerksam zu machen, auf ihre Bedeutung in den sich wiederholenden Kriegen. Bis sie sich den Weg tief in unter die Erde freiblinzelt, die Zähne an den Steinen abschleift und mit dem Maulwurf hinab zu den Gebeinen unserer Ahnen gelangt. „Stirb schneller, Europa!“ flüstern sie. Der Blindgänger spricht ein Gedicht und das Weizenfeld strauchelt und weht im Wind. Doch die Menschen hören es nicht.

In blind gang boom, once we were golden wandelt Eleonore Khuen-Belasi mit leichtfüßiger Poesie durch das Minenfeld der vergrabenen Erinnerungen unserer Vorfahren. Die Bomben, über die wir spazieren, sie vergessen, vergraben zusammen mit all ihren Geschichten. Ihre Warnungen hören wir nicht und so macht diese Generation die gleichen Fehler, blind (gang boom) wie unsere Vorgänger:innen.

Auftragsarbeit für das Theater Phönix in Linz

4 Darsteller:innen

UA: 16.02.2023 · Theater Phönix, Linz · Regie: Eleonore Khuen-Belasi

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UA Frei
Theater
Eleonore Belasi

Himmel und Hirn

4 D, 2 H

Die Welt hat kein Recht, die Nymphe Kallisto so zu langweilen. Immer muss sie alles mit den anderen machen. Immer schmücken. Immer im Chor. Immer einheitlich. Und immer gemeinsam auf Artemis warten. Da wartet sie lieber allein im Wald auf ihre jagende Göttin. Und freut sich, wenn sie kommt und sie liebkost. Doch heute fühlt Artemis sich ganz anders an. Die Hände nicht so kühl und glatt, stattdessen heiß und schwitzig. Kein Wunder, gehören sie doch Zeus, der sich im Körper von Artemis mit Kallisto lustvoll auszutoben dachte. Die schöne Nymphe schreckt das nicht. Denn sie will auch etwas, und zwar Abwechslung. Da kommt Zeus ihr grade recht. So nimmt sie selbstbewusst von ihm, was sie gern haben will: Sex. Doch der ewigen Verwandlung in einen Bär kann sie durch ihre Selbstbestimmtheit trotzdem nicht entgehen. Wenngleich der Grund jetzt nicht mehr Rache, sondern weit banaler ist. Artemis gibt Kallisto beim Versteckspiel eine andere Gestalt und vergisst dann schlicht, in was sie sie verwandelte. Und schließlich noch, nach wem sie eigentlich grad sucht.

Eleonore Khuen-Belasi hat den Mythos um Kallisto und Zeus mit ihrer Komödie Himmel und Hirn einmal übermütig auf den Kopf gedreht. Bei ihr sind Frauen keine Opfer mehr, Zeus entmannt, die Gemeinschaft der Nymphen ein durchgeknallter Teatime-Mob und Artemis äußerst unzuverlässig. Das Tragische ist nicht mehr tragisch, sondern einfach nur egal. Es gibt keinen Kontext mehr, der über das Individuum hinausweist. Bei aller Emanzipation wird das große Ganze ganz vergessen. Und die Götter sitzen in Erdlöchern und warten.

Theater
Eleonore Belasi

ruhig blut

3 D, 1 H

Auf dem Gehweg sitzen drei Frauen. Vielleicht betagt. In Plastikstühlen. Doch die Straße zeigt Risse. Ist das als Zustand aushaltbar? Fragen sich die Frauen, deren Welt nur Gehweg ist. Und ob der Gehweg ohne Straße überhaupt noch Gehweg ist? Also füllen sie die Risse auf mit dem, was zur Verfügung steht: Worte, Spucke, Blut und bloße Hände. Klug und komisch kreisen diese Frauen emsig redend um sich selbst, derweil der Text schon selbst die ersten Risse zeigt: Fußnoten. Mit ihnen dringt sie ein, die Welt, die nicht der Gehweg ist. Und spätestens als der Asphalt das Wort ergreift, muss das Verhältnis Gehweg/Straße völlig neu geordnet werden.

"Wann betrifft uns ein Problem? Wann engagieren wir uns? Und was ist es (uns) wert, gerettet zu werden? Drei Frauen sitzen in weißen Plastikstühlen auf dem Bürgersteig und entdecken Risse im Asphalt. Mit ihren bloßen Händen, mit Spucke und Blut versuchen sie, diese zu kitten, um ihre Welt zusammenzuhalten. Während des so emsigen wie erfolglosen Scharrens entspinnen sich witzige, kluge Dialoge, in die sich per Fußnoten andere Stimmen einschalten, die vom Mikro- auf den Makrokosmos zoomen: Sie berichten von ökonomischen und sozialen Schieflagen, von Missständen und Aufständen. Und auch der aufrührerische Asphalt mit seinen Rissen und Verwerfungen mischt sich ein in den Disput um Identität und Engagement, um Macht und Ohnmacht. In einem sehr eigenen, poetischen Sound entwirft Eleonore Khuen-Belasis ruhig Blut ein absurdes Szenario, das gleichwohl über zahlreiche Ankerpunkte in der Gegenwart verfügt und eine reizvolle Einladung zum Spiel ausspricht." (Begründung der Auswahljury für die Autorentheatertage am Deutschen Theater Berlin 2019)

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