Theater

Eleonore Belasi

ruhig blut

Auf dem Gehweg sitzen drei Frauen. Vielleicht betagt. In Plastikstühlen. Doch die Straße zeigt Risse. Ist das als Zustand aushaltbar? Fragen sich die Frauen, deren Welt nur Gehweg ist. Und ob der Gehweg ohne Straße überhaupt noch Gehweg ist? Also füllen sie die Risse auf mit dem, was zur Verfügung steht: Worte, Spucke, Blut und bloße Hände. Klug und komisch kreisen diese Frauen emsig redend um sich selbst, derweil der Text schon selbst die ersten Risse zeigt: Fußnoten. Mit ihnen dringt sie ein, die Welt, die nicht der Gehweg ist. Und spätestens als der Asphalt das Wort ergreift, muss das Verhältnis Gehweg/Straße völlig neu geordnet werden.

"Wann betrifft uns ein Problem? Wann engagieren wir uns? Und was ist es (uns) wert, gerettet zu werden? Drei Frauen sitzen in weißen Plastikstühlen auf dem Bürgersteig und entdecken Risse im Asphalt. Mit ihren bloßen Händen, mit Spucke und Blut versuchen sie, diese zu kitten, um ihre Welt zusammenzuhalten. Während des so emsigen wie erfolglosen Scharrens entspinnen sich witzige, kluge Dialoge, in die sich per Fußnoten andere Stimmen einschalten, die vom Mikro- auf den Makrokosmos zoomen: Sie berichten von ökonomischen und sozialen Schieflagen, von Missständen und Aufständen. Und auch der aufrührerische Asphalt mit seinen Rissen und Verwerfungen mischt sich ein in den Disput um Identität und Engagement, um Macht und Ohnmacht. In einem sehr eigenen, poetischen Sound entwirft Eleonore Khuen-Belasis ruhig Blut ein absurdes Szenario, das gleichwohl über zahlreiche Ankerpunkte in der Gegenwart verfügt und eine reizvolle Einladung zum Spiel ausspricht." (Begründung der Auswahljury für die Autorentheatertage am Deutschen Theater Berlin 2019)

3 D, 1 H

UA: 8. Juni 2019 · Deutsches Theater Berlin mit einer Produktion des Schauspielhaus Graz · Regie: Clara Weyde

Aufführungsarchiv

04
Oktober 2019
Eleonore Belasi

ruhig blut

Theater
UA
Regie Clara Weyde

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UA Frei
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Eleonore Belasi

Himmel und Hirn

4 D, 2 H

Die Welt hat kein Recht, die Nymphe Kallisto so zu langweilen. Immer muss sie alles mit den anderen machen. Immer schmücken. Immer im Chor. Immer einheitlich. Und immer gemeinsam auf Artemis warten. Da wartet sie lieber allein im Wald auf ihre jagende Göttin. Und freut sich, wenn sie kommt und sie liebkost. Doch heute fühlt Artemis sich ganz anders an. Die Hände nicht so kühl und glatt, stattdessen heiß und schwitzig. Kein Wunder, gehören sie doch Zeus, der sich im Körper von Artemis mit Kallisto lustvoll auszutoben dachte. Die schöne Nymphe schreckt das nicht. Denn sie will auch etwas, und zwar Abwechslung. Da kommt Zeus ihr grade recht. So nimmt sie selbstbewusst von ihm, was sie gern haben will: Sex. Doch der ewigen Verwandlung in einen Bär kann sie durch ihre Selbstbestimmtheit trotzdem nicht entgehen. Wenngleich der Grund jetzt nicht mehr Rache, sondern weit banaler ist. Artemis gibt Kallisto beim Versteckspiel eine andere Gestalt und vergisst dann schlicht, in was sie sie verwandelte. Und schließlich noch, nach wem sie eigentlich grad sucht.

Eleonore Khuen-Belasi hat den Mythos um Kallisto und Zeus mit ihrer Komödie Himmel und Hirn einmal übermütig auf den Kopf gedreht. Bei ihr sind Frauen keine Opfer mehr, Zeus entmannt, die Gemeinschaft der Nymphen ein durchgeknallter Teatime-Mob und Artemis äußerst unzuverlässig. Das Tragische ist nicht mehr tragisch, sondern einfach nur egal. Es gibt keinen Kontext mehr, der über das Individuum hinausweist. Bei aller Emanzipation wird das große Ganze ganz vergessen. Und die Götter sitzen in Erdlöchern und warten.

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