Theater

Thomas Hürlimann

Das große Welttheater

Nach Calderón de la Barca Magdeburger Fassung

Magdeburger Fassung des EINSIEDLER WELTTHEATERS von Thomas Hürlimann nach Calderón de la Barca.

DSE: 29.08.2002 · Seebühne im Elbauenpark, Theater der Landeshauptstadt, Magdeburg

Aufführungsarchiv

29
August 2002
Thomas Hürlimann

Das große Welttheater

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Theater Theater Magdeburg, Magdeburg

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Thomas Hürlimann

Der letzte Gast

6 D, 8 H, 2 Dek

"Es war einmal die Familie Frunz, die mit Erfolg Schirme fabrizierte und sich eine herrschaftliche Villa an einem idyllischen See bauen konnte. Doch der Klimawandel lässt den Regen spärlicher fallen, die Fabrik geht bankrott, und die Wohnlage ist auch kein Privileg mehr: Der See ist gekippt und zur stinkenden Kloake geworden. Thomas Hürlimann zeichnet in seiner Komödie Der letzte Gast eine Welt (die Schweiz?), die am Rande und am Ende ist. Das Sich-Abschirmen ist sinnlos geworden, und gegen die wahre Bedrohung vor der Haustür tut man nichts: 'Man gewöhnt sich an alles' - und wenn es schon keine Fische mehr gibt, so soll immerhin der Sportfischerverein weiterleben. Doch auch hier ist der Wurm drin, der Obmann ist überraschend verstorben, die Suche nach einem neuen scheint aussichtslos - bis dem trink- und singfreudigen Vereinstrio der abgetakelte Schauspieler-Star Oskar Werner in die Fänge gerät. Er, der mit einem Rilke-Programm durch die Provinz tingeln muss, träumt sich jedoch zurück ans Burgtheater. Und - o Wunder des Theaters, Wunder der Verwandlung - selbst im Alkoholdelirium bringt er noch etwas Farbe und Phantasie in die erstarrte Welt der Vereinsmeier, Verklemmten und Neurotiker, in der die Frauen schluckend ihre Verlogenheit somatisieren und sich gegenseitig mit psychischen Leiden übertrumpfen und die Männer alles Sexuelle verdrängen und mit Trinkritualen wegsaufen." (Neue Zürcher Zeitung)

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Thomas Hürlimann

Der Gesandte

1 D, 3 H, Verwandlungsdek

«Es braucht auch Männer mit Phantasie in der grossen Politik. Nicht zu viele, Gott behüte, aber ein paar davon braucht es.»

Mag der Föhn stürmen wie er will, der blinde Vater will seinen Sohn Heinrich mit Girlanden, Lampions und Fahnen begrüssen. Denn dieser kehre schliesslich am Tag der deutschen Kapitulation, am 8. Mai 1945, von einer erfolgreichen Mission zurück. Er habe „in grosser, schwerer Zeit“ die Berliner Gesandtschaft geleitet und damit die Schweiz geschickt vor dem Krieg bewahrt. Doch das familiäre Willkommensfest nimmt in Thomas Hürlimanns Theaterstück Der Gesandte (Uraufführung: Schauspielhaus Zürich 1991) die schlimmstmögliche Wendung: Heinrich Zwygart wird vom Bundesrat fallen gelassen. Allein der „kompromisslose Widerstandswille des Generals“ habe die Schweiz gerettet, nicht die diplomatische Gratwanderung zwischen Anpassung und Neutralität im Umgang mit dem Dritten Reich. So wird nun Zwygart als „Landesverräter“ isoliert und dem allgemeinen Vergessen preisgegeben. Im immer dichter fallenden Schnee verliert sich denn seine Spur unter Klaviertönen Richard Wagners.

Das im 700. Jubiläumsjahr der Eidgenossenschaft uraufgeführte Stück Hürlimanns stellt provokativ eine Wendezeit in den Mittelpunkt, in der politisch clevere Opportunisten ihre Überzeugungen ebenso schnell wechseln wie sie ihr Geschichtsverständnis der Schweiz im Zweiten Weltkrieg neu definieren. Im Strudel solch kollektiver Lebenslügen geht unter, wer wie Zwygart weiterhin auf seiner historischen Bedeutung beharrt, ähnlich wie der seiner Figur real zugrundeliegende Hans Frölicher, der umstrittene, mondäne Schweizer Gesandte in Berlin von 1938 bis 1945. (Severin Perrig)

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Stichtag

3 D, 7 H, 1 Dek

Der krebskranke Hühnerzüchter Damunt - aus der Klinik entwichen - befindet sich auf dem Gelände seiner Geflügelfarm und erinnert sich an sein Lebenswerk. Seine Frau Sissi und die Ärztin Dr. Katzbach suchen ihn auf dem stillgelegten Areal. Nur der arbeitslose Erler streift über das Gelände und fängt Ratten. Vor dem Tor der Kühlhalle begegnet er Damunt. Das Tor geht auf.
Fassungslos steht Damunt vor der ausgeräumten Kühlhalle. Hier findet ihn Sissi und rechtfertigt die Demontage mit den Kosten seiner Spezialbehandlung in Amsterdam. Damunt gerät in Rage und beschließt, noch einmal von vorne anzufangen. Er beauftragt Erler, den alten Vorarbeiter Horat zu holen und die Neonreklame wieder aufleuchten zu lassen.
Vergeblich bemüht sich Dr. Katzbach, Damunt zur Rückkehr ins Spital zu bewegen. Erler bringt den völlig betrunkenen Horat mit seiner Frau Martha auf das Areal. Erinnerungen an die einstige Größe der Firma werden wach. In den Lettern der Reklame leuchtet Damunts Name. Mit letzter Kraft will der einstige Boss noch in der Nacht eine neue Aufzucht beginnen.
Nach Damunts Anweisungen treffen Erler und der alte Horat Vorbereitungen für die neue Mast. Selbst Sissi schließt sich dem Vorhaben an. In der absurden Geschäftigkeit sinkt Damunt erschöpft zusammen. Schwester Carmencita verabreicht ihm eine Spritze. Im Morphiumrausch werden Damunts Gedanken immer klarer, er erkennt die Vergeblichkeit seines Strebens.
Dr. Katzbach will alle fortschicken, damit Damunt im Stillen sterben kann. Erler fällt über die Ärztin her und wirft Horat, der ihr zu Hilfe kommt, in die Kotgrube. Damunt phantasiert und glaubt noch einmal die Mast zu sehen, bevor er stirbt.

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Grossvater und Halbbruder

2 D, 9 H, St, 1 Dek

Zu Grossvater und Halbbruder:
Mein Großvater hat mir die Geschichte vor vielen Jahren erzählt: Zu Anfang des Zweiten Weltkrieges taucht ein Emigrant in seiner Badeanstalt auf. Das siegende Deutschlang liegt nah, und das Dorf und die Familie des Großvaters wollen mit einem "Jud" nichts zu tun haben. Um den Fremden so fremd zu machen, wie er mir aus der Erzählung des Großvaters in Erinnerung ist, lasse ich ihn sagen, er sei kein Jude, sondern Alois, der Halbbruder von Hitler. Vielleicht tischt er eine Lüge auf, um in der nazifremdlichen Stimmung des Dorfes überleben zu können, und vielleicht sagt Alois die Wahrheit - mein Großvater beschließt, den Fremden "durchzufüttern", ihn über den Winter und den Krieg zu bringen. So geraten die beiden in einen privaten Winterkrieg, den sie gegeneinander führen und gemeinsam gegen das Dorf. Denn die Dörfler nehmen vom Großvater und "seinem Jud" deutlich Abstand, und als es sich endlich herumgesprochen hat, daß Alois Hitlers Halbbruder sei, hat sich das Kriegsgeschehen verändert: nun beginnt man, meinen Großvater als Hitlerfreund zu verfolgen.
Die Beziehung des Großvaters zu Alois ist eine Pechbindung - sie hält wie Pech und Schwefel und bringt kein Glück. Beide, so scheint es, sind Verlierer.
Als Gewinner dürfen sich jene fühlen, die sich auf den Fremden nicht eingelassen haben. An einem Frühlingsabend schauen die Leute des Dorfes und die Familie des Großvaters auf das brennende Friedrichshafen. Sie sprechen vom "Blick in das Historische". Sie merken nicht, dass der ferne Krieg auch im eigenen Dorf und in der eigenen Familie stattgefunden hat. (Thomas Hürlimann)

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Carleton

3 D, 5 H, St, 1 Dek.

In Kansas, dem Kornspeicher Amerikas, dem Land der unerschöpflichen Fruchtbarkeit, wächst nichts mehr: der Boden ist durch Raubbau ausgelaugt, vollständig verödet. [Dorthin] kommt Carleton, Agronom, Abgesandter der Regierung zu Washington, mit dem Auftrag, das Korn- und Dürreproblem zu lösen. Und Carleton löst es. Er durchquert die trockenen Steppen und die Eiswüsten Russlands auf der Suche nach dem widerstandsfähigsten Korn. Mit diesem russischen Wunderweizen wird in Amerika der Hunger besiegt, ein ungeahnter Reichtum schwappt über das Land. Doch der Überfluss selbst erzeugt eine neue Krise. Und wieder ist Carleton zur Stelle, nochmals begibt er sich auf eine halsbrecherische Fahrt, um Amerika zu erlösen.
Thomas Hürlimann erzählt diese Geschichte nicht als eine ungebrochene Fabel, er zeigt, in welchem Kopf sie entsteht und wuchert. Dr. Gottfried Benn gerät in den Sog des ruhelos wandernden Suchers Carleton. Carleton, schwankend zwischen Erlöserpose und Nichtigkeitsposse, fasziniert Benn: der kleine Beamte, der Amerika einen sagenhaften Reichtum brachte, hat selbst nicht die Gerissenheit, um an diesem Reichtum zu partizipieren.
Zugleich ist Dr. Benn in eine andere Geschichte verwickelt. Hürlimanns Stück spielt während einer einzigen Nacht, der geschichtsträchtigen Nacht des 30. Januar 1933 in Berlin. In dieser Nacht glaubt Benn Zeichen des Auf- und Umbruchs wahrzunehmen, glaubt ans Herannahen einer neuen Zeit. Doch während draußen die Nationalsozialisten paradieren, führt Benn seinen Carleton ins Delirium, in die Regionen des Wahns. ... Indem der Schweizer Dramatiker Carleton durch die Welt hetzt und Benn in seinem Arbeitszimmer brüten läßt, treten sie aus dem Dunkel: die Mythen des 20. Jahrhunderts, die Träume von Größe und selbstgemachter Erlösung. ... (Bruno Hitz)

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