Theater

Henning Mankell

Lampedusa

(Lampedusa)

Anna, junge Fernsehmoderatorin einer Talk-Show, hat die fünfunddreißigjährige Titania zu Gast. Kurz vor der Live-Sendung sprechen sie noch einmal durch, was Thema sein soll. Titania ist eine aus Sambia gebürtige Muslimin. Obwohl sie erst fünf Jahre alt war, als die Familie zunächst nach London und dann nach Schweden zog, weiß sie zu berichten, wie ihre Familie in Sambia die schwarzen Angestellten ausgebeutet und schlecht behandelt hat. Der Beweggrund für die Flucht von dort war die Angst, die entstand, als Idi Amin im benachbarten Uganda begann, die nicht-schwarze Bevölkerung zu verfolgen.

Wie schon diese Geschichte der Familie die Grenze zwischen Opfern und Tätern schwer ausmachen lässt, erweist sich Titania insgesamt als schwierige Kandidatin für Anna, die hofft, durch die Schilderung der Unterdrückung muslimischer Frauen Quote zu machen.

Aber Titania ist selbstbewusst und gebildet. Sie hat als Wissenschaftlerin eine gute Arbeit und ein Einkommen, das ihr den Kauf einer Eigentumswohnung ermöglichte. Sie ist westlich gekleidet und äußerlich integriert. Gleichzeitig hält sie aber fest an ihrer Religion, auf ihre Weise. "Ja. Ich bete. Fünfmal pro Tag. Ich befolge alle Rituale. Selbst wenn ich spät ins Bett gehe, stehe ich punkt fünf Uhr in der Früh auf, wasche mich und bete. Aber ich gehe in keine Moschee. Ich bete zu Hause."
Titania ihrerseits hat einen anderen Beweggrund, sich in Annas Sendung zu präsentieren. Sie liebt eine Frau, die auch Muslimin ist; bislang führen sie ihre Beziehung in großer Heimlichkeit, aber Titania will sie öffentlich machen. Ihre Angst ist groß, sie weiß, dass sie riskiert, angefeindet, ja mit dem Tod bedroht zu werden ...

Deutsch von Hansjörg Betschart

2 D, 1 H

UA: Februar 2006 · Dramaten, Stockholm

DSE: 27.10.07 · Deutsches Schauspielhaus, Hamburg (in Kopr. mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen) · Regie: Dominique Schnizer

Aufführungsarchiv

12
September 2007
Henning Mankell

Lampedusa

Theater
Regie Claire Lütcke
27
Oktober 2007
Henning Mankell

Lampedusa

Theater
DSE
Regie Dominique Schnizer
10
Januar 2009
Henning Mankell

Lampedusa

Theater
SEA
Regie Albert Bosshard
Theater Kellertheater Winterthur, Winterthur
24
April 2014
Henning Mankell

Lampedusa

Theater
Regie Regina Busch
Theater Daedalus Company, Frankfurt/Main
05
Mai 2015
Henning Mankell

Lampedusa

Theater
Regie Wolfgang Hagemann
Theater Kasemattentheater, Luxembourg
18
September 2015
Henning Mankell

Lampedusa

Theater
Regie Gerald Gluth-Goldmann
Theater Societaetstheater gGMBH, Dresden
17
September 2016
Henning Mankell

Lampedusa

Theater
Regie Dieter Desgranges
Theater Theater im Viertel, Saarbrücken

Weitere Stücke

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Theater
Henning Mankell

Der Bagger

Deutsch von Hansjörg Betschart
1 H

Der Baggerführer Rune sitzt in einem Pub und wartet auf seine Verabredung. Um das Warten zu überbrücken, plaudert er, erzählt von seinem Leben, von seinen Sorgen und von seinem Bagger. Verächtlich erhebt er sich über die einsamen Männer seines Alters und gibt fortwährend gutgemeinte Ratschläge. Einen gestandenen Eindruck macht er, solide und zuverlässig. Irgendwann einmal wäre er fast Fußballprofi geworden. Aber nur fast. 49 % eines Baggers kauft er nach der Hochzeit. Die ernähren ihn und seine Familie. Das Leben war leicht und bequem. Bis ihn Frau und Kinder verließen. Sextourismus in Thailand, Kontaktanzeigen. Er scheitert. Mit Glatze bist du nichts bei den Frauen. Und jetzt erwartet er ´ne heiße Lady. Scheinbar. Letztendlich kommt sie nicht. Wird sie nie kommen. "Die kommt nicht. Ich weiß nicht einmal ihren beschissenen Namen. Man braucht jemanden, auf den man warten kann. Auch wenn es nur ein Zeitungsausschnitt ist. Wie soll man sonst leben. (Er zückt einige Geldnoten und legt sie auf die Theke.) Stimmt so. Aber du solltest neu streichen. (Die Cellistin intoniert "Blueberry Hill". Das Licht verändert die Stimmung. Alles hält still. Rune F. Lindgren singt mit Inbrunst "Blueberry Hill.) Man braucht jemanden, auf den man warten kann. Sonst geht es nicht ... Echt nicht."

Bagger ist ein Monolog über Schein und Sein, über Hoffen und Scheitern, Wollen und Nichtkönnen. Über die Erkenntnis des eigenen Versagens und die Unfähigkeit es zu ändern. Rune ist einsam und traurig. Doch nach außen stark. Unbeugsam. Seine Großspurigkeit entschleiert den stillen Wunsch, einfach glücklich zu sein. Ohne Illusion.

UA Frei
Theater
Henning Mankell

Tage und Nächte in Chartres

Deutsch von Hansjörg Betschart
3 D, 4 H

Dieses Stück bezieht seine Inspiration aus dem Schnappschuss einer jungen Frau mit kahlgeschorenem Kopf, den Robert Capa für die Magnum Group im Frühjahr 1945, unmittelbar nach dem Ende der deutschen Okkupation, machte.
Es ist nicht der dokumentarische Inhalt des Bildes als Tatsachen-Hintergrund dient. Im Gegenteil: Ohne Zweifel hatte
Claudine, die junge Frau, die Robert Capa fotografierte, während der deutschen Okkupation mit Verfehlungen ihr Gewissen belastet. Die Hauptperson meines Stückes ist jemand anderer, ein Individuum, das auch zu dieser Zeit lebte: Claudine ist ein Mädchen, das sich ohne Arg eine Verliebtheit mit einem deutschen Soldaten gestattete. Ich gebe mit meiner Geschichte Robert Capas Bild einen anderen Gehalt, man könnte sogar sagen, ich montiere ein Bild, das er nie fotografiert hatte, obwohl er es sehr wohl hätte tun können. Das Stück ist, so gesehen, reine Fiktion, wenn ihm auch eine Reihe von Fakten zugrunde liegen. Ich schreibe nicht über die Geschehnisse, sondern über ihre Möglichkeiten. Das Stück handelt möglicherweise von einer Claudine, oder von mir, oder all jenen Menschen, die sich die Zeit nehmen, über jene Frauen nachzudenken, die mit dem Feind fraternisieren, und sich mit kahlgeschorenem Kopf, auf der Straße nach Golgatha wiederfinden. Kurz, das Stück handelt von einer grausamen Welt, dem entsetzlichen Zeitalter, in dem wir leben.
(Henning Mankell)

DSE Frei
Theater
Henning Mankell

Ein Herbstabend vor der Stille

Deutsch von Hansjörg Betschart
5 D, 2 H, 1 Dek

1978. Ein einsames Haus auf den Klippen einer kleinen Insel in Schweden. Tone möchte das Haus ihrer Kindheit verkaufen. Zu diesem Zweck findet sich an diesem Nachmittag eine Gruppe potentieller Käufer zur Hausbesichtigung ein. Schnell wird klar, dass es sich um eine dubiose Mischung von Menschen handelt. Tom, ein Nachtclubbesitzer, vermag kaum eine Minute zu verbringen, ohne seine mitgebrachte Freundin Lisa in einem der zahllosen Zimmer zu begatten. Dazwischen putscht er sich mit Pillen auf. Rolf und Hanna, ein älteres Ehepaar um die sechzig, überprüfen das Haus als möglichen Wohnsitz für ihre Tochter Hanna, eine Künstlerin mit äußerst aggressiven Wesenszügen. Außerdem interessiert sich das ehemalige Topmodel Lena für dieses Haus, welches allerdings schon beim Hinweg dermaßen unglücklich über die Felsen stolperte, dass es sehr verspätet und heftig blutend eintrifft. Die Stimmung ist angespannt, die Menschen umlauern sich misstrauisch, sie sind sich fremd. Als Tone dann vom Fährmann die Nachricht erhält, dass aufgrund der schlechten Wetterlage an eine baldige Rückfahrt nicht zu denken ist, müssen sie notgedrungen eine Nacht miteinander in dem Haus verbringen.

Henning Mankell hat mit Ein Herbstabend vor der Stille ein höchst spannendes psychologisches Kammerspiel geschrieben. Die Abgeschlossenheit der sieben Figuren führt zu drastischen Auseinandersetzungen, die abweisende Atmosphäre des Hauses lässt die Nerven blank liegen. Nach und nach offenbaren sich die Abgründe der Einzelnen, die Situationen drohen immer mehr zu eskalieren. Kurz vor der Abfahrt im Morgengrauen spitzen sich die Dinge unerträglich zu und fordern in allerletzter Konsequenz einen Toten.

DSE Frei
Theater
Henning Mankell

Der Welpe

Deutsch von Hansjörg Betschart
3 D, 1 H

August Strindberg in seinen jungen Jahren, finanziell am Rande des Ruins und frustriert von ausbleibendem Erfolg, versucht sich als Statist am Theater. Umgeben von Frauen aller Couleur, rettet er sich mehr schlecht als recht durchs Leben. Allerorts wird er für sein Schreiben angegriffen, man wehrt sich gegen seinen Realismus, gegen seine Alltagsbeobachtungen. Immerzu kritisiert er die vorherrschende Künstlich- und Belanglosigkeit. Am Theater lernt er Emma Andersson kennen, eine junge Näherin, die gleichfalls Schauspielambitionen in sich trägt. Fasziniert von ihrem Wesen lässt er sich durch ihre Lebensgeschichte inspirieren, die sich aber schnell als gelogen darstellt. Selbst die garstige Vermieterin seiner kärglichen Behausung verfällt seinem ruppigen Charme. Irgendwann bietet sie ihm gar, quasi geschieden, ihre Obhut an. Strindbergs Herz gehört in diesen Zeiten nur einer: Siri von Essen. Kurz vor ihrer Scheidung steht Strindbergs Geliebte schlimme Zweifel aus, ob der Autor die Schauspielerin tatsächlich zu der Berühmtheit bringen kann, die er verspricht. Zerrissen zwischen Ehrbarkeit und Lust tritt sie Strindberg misstrauisch gegenüber, da sie der von ihm versprochenen Freiheit noch nicht wirklich glauben kann.

Mit Der Welpe hat Henning Mankell ein Stück geschrieben, das sich mit dem Leben und Treiben des jungen Strindberg auseinandersetzt. Strindbergs Begegnungen mit den drei Damen beinhalten oftmals äußerst komische Sequenzen. Nichtsdestotrotz zeigt sich, in welcher Armut dieser große Dramatiker Jahre seines Lebens verbrachte, wie ein jeder in seiner Umgebung Quelle der Inspiration für ihn war und mit welch starkem Glauben an sich selbst er diese Kargheit durchgehalten hat.

Digitales Textbuch