Theater

Björn SC Deigner

tiefer Grund

Mutter und Vater treffen sich im Friedwald. Am Baum ihres Sohnes Erik. Heute wäre sein 23. Geburtstag gewesen. Acht Jahre nach den schrecklichen Ereignissen an der Schule und seinem Suizid. Die Eltern sind mittlerweile getrennt. Langsam tasten sie sich durch mit Bedacht gewählten Worten an ihre gemeinsamen Erinnerungen heran. Die anfängliche Distanz schwindet. Sie versuchen zu verarbeiten und einander anzuvertrauen, wofür es keine Worte gibt. In Rückblenden erfahren wir von der Familie, als Erik noch lebte. Als er sich schon von ihnen entfernt hatte, während sie versuchten, ihre Beziehung zueinander zu beleben. Wie konnten sie die Verbindung zu ihrem Sohn verlieren, ohne es zu bemerken? Wie war er dazu fähig zu töten? Was macht es mit Eltern, wenn das eigene Kind zum Amokläufer wird? Wie lebt man weiter? Vorwürfe kommen auf, Rechtfertigungen werden versucht, aber alles scheint nichtig in Relation zu dem Einschnitt, der ihr Leben geprägt hat.

In diesem Dialog, der so fragil ist wie der zu verhandelnde Inhalt, beschreibt Björn SC Deigner die vorsichtige Annäherung der Eltern zueinander und an die Vergangenheit. In kurzen, teilweise abgebrochenen Sätzen schwingt die Umsicht mit, das Offensichtliche, Verletzende nicht zu benennen. Beziehungsebene und Atmosphäre werden zwischen den Zeilen erfahrbar, wenn die Eltern rückblickend versuchen zu verstehen, einzuordnen, zu verarbeiten.

Auftragsarbeit für das ETA Hoffmann Theater, Bamberg

1 D, 1 H

UA: 12.11.2022 · ETA Hoffmann Theater, Bamberg · Regie: Sibylle Broll-Pape

Kritiken

Süddeutsche Zeitung

"[...] eine bedrückende, beeindruckende Inszenierung."

Die Deutsche Bühne

"Deigner hat ein hochverdichtetes Kammerstück geschrieben, das die richtigen Fragen stellt und auf einfache Antworten verzichtet."

Süddeutsche Zeitung

"[...] eine bedrückende, beeindruckende Inszenierung."

Die Deutsche Bühne

"Deigner hat ein hochverdichtetes Kammerstück geschrieben, das die richtigen Fragen stellt und auf einfache Antworten verzichtet."

Aufführungsarchiv

12
November 2022
Björn SC Deigner

tiefer Grund

Theater
UA
Regie Sibylle Broll-Pape
Theater E.T.A. Hoffmann-Theater, Bamberg

Weitere Stücke

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Theater
Audio
Björn SC Deigner

Die Polizey

2 D, 2 H, oder viel mehr oder weniger

"Die Bosheit kann sie zum Werkzeug brauchen, der Unschuldige kann durch sie leiden, sie ist oft genötigt, schlimme Werkzeuge zu gebrauchen."

Verbrechen, Verschwörung, die Nacht: Dies sind die Zutaten für Schillers Fragment Die Polizey, das kurz vor seinem Tod entsteht. Die Französische Revolution im Rücken, zeichnet er ein Bild von Paris als Welt mit zwei Gesichtern, die auch die Polizei als Maske zu tragen weiß. Bereits zur Geburtsstunde der modernen Polizei sucht er hellsichtig nach der Verflechtung von kriminellem Geschehen und polizeilicher Arbeit, er ahnt den Graubereich, in dem die Polizei tätig ist. In der Gegenwart schreiben sich diese Verbindungen aufs Schärfste fort, wenn V­Leute Verhaftungen vereiteln und Rechtsextremisten im Sicherheitsapparat keine Seltenheit zu sein scheinen. Hat sich die Polizei zum Freund und Helfer der Falschen gemacht?

In Die Polizey wird der Chor der Polizei zum Ausgangspunkt und Ort der Befragung. Als Brennglas gesellschaftlicher Entwicklungen lassen sich an der Polizei Polarisierungen ablesen wie an kaum einer anderen Stelle unseres Zusammenlebens. Sie ist ein soziales Phänomen, das als Exekutivorgan des Staates die Demokratie zu sichern und zu wahren hat. Wie legitimiert der Staat das Gewaltmonopol der Polizei, wenn Polizist*innen diese Gewalt auch gegen die Gemeinschaft einsetzen könnten? (ETA Hoffmann Theater Bamberg)

"Natürlich ist es DAS Stück zum richtigen Zeitpunkt" (Die deutsche Bühne über die Urauführungsinszenierung am ETA-Hoffmann-Theater Bamberg)


Theater
Björn SC Deigner

Kleists „Kohlhaas“ dargestellt durch das Liebhabertheater „Die freche Distel“

2 D, 2 H

Die Frage nach widerfahrenem Unrecht und der entsprechenden Wiedergutmachung durchzieht Kleists "Michael Kohlhaas". 1810 erschienen, wurde dieser Aspekt des Textes zum Steigbügelhalter unterschiedlichster Bewegungen, die sich den Kohlhaas zu eigen machten: seien es die Nationalsozialisten, die Arbeiterbewegung oder gar die 68er. Wie und mit welchen Mitteln reagiert man auf Unrecht? Wo beginnt Gerechtigkeit und ab wann wird sie zur Selbstjustiz? Die Kleist’schen Fragen scheinen aktueller denn je, denkt man nur an die gesellschaftlichen Verwerfungen während des pandemischen Geschehens, das von vielen Menschen als unrecht erlebt wurde und wiederholt die Frage aufwarf, ob der Staat im Recht ist. Die Skepsis unserer Demokratie gegenüber durchzieht viele Bevölkerungsschichten, und ein Riss geht durch Familien und Häuser und lässt auch das Theater nicht aus.

Für seine neue Auftragsarbeit verlegt Björn SC Deigner den Text Kleists in das Theater selbst: Auf der Probe eines Liebhabertheaters wird aus der harmlosen Erörterung der Textfassung des "Kohlhaas" eine unversöhnliche Diskussion. Die Frage, wo Zensur beginnt, wo Diskurs aufhört und wie man sich sprachlich überhaupt noch begegnen kann, wenn man unterschiedlicher Auffassung ist, bringt die Kleist’sche Frage nach Recht und Unrecht von der Bühne ins Ensemble. (Ankündigung des Staatstheaters Meiningen)

Theater
Audio
Björn SC Deigner

Der endlos tippende Affe

2 D, 1 H

Setzte man einen Affen vor eine Schreibmaschine und ließe ihn bis in alle Ewigkeit tippen, würde er an einem bestimmten Punkt die gesamte französische Nationalbibliothek - in der korrekten Reihenfolge der katalogisierten Bestände mitsamt Druck- und Rechtschreibfehlern - abgetippt haben. Aber was hat das alles damit zu tun?, ruft Kurt Schwepper und schaut auf seine Finger, durch die der Sinn des Ganzen gerade gerieselt zu sein scheint. Das klingt mir sehr nach Theater, sagt der Roman, der peinlich berührt nach seiner Brille tastet. Kurt Schwepper steht dem Weinen nahe, der Roman schaut durch seine Brille, die er immer noch nicht gefunden hat, und erklärt: Auch ich bin nur ein Affe, umringt von Maschinen.

Ausgehend vom mathematischen Theorem des unendlich tippenden Affen begibt sich Björn SC Deigner in das Dickicht absurder Vorkommnisse und Sprachverwirrungen, um der Frage nachzugehen, wo der Sinn beginnt und wie er endet. Was als mathematische Anschauung für die Unendlichkeit dient, wirft die Frage nach Sinnproduktion auf: Sind wir am Ende alle tippende Affen, die versuchen, unserem eigenen Kauderwelsch Bedeutung abzuleiten? Galt die Börse einst als "Rein- bzw. Schönschrift der Welt", erscheint sie uns heute immer mehr als willkürlicher Zahlenindex. Mit dem Klimawandel haben Beschreibungen und Kartierungen von Welt ihre einstige Logik verloren. Der Kapitalismus erscheint uns immer mehr als paradoxe Lebensform, der wir unterliegen. Gehen unsere ideologischen Rahmungen fehl, so lauert auch für uns überall der Fehler, die Willkür - das Kauderwelsch. (Theater Bamberg)

Theater
Björn SC Deigner

die Eingeborenen von Trizonesien

4 H

Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien!
Heidi-tschimmela-tschimmela-tschimmela-tschimmela-bumm!

Mit Gesetzgebung verbindet man gemeinhin trockene Paragrafen und verklausulierte Klarheit. Doch schon im Ursprungsmoment des deutschen Grundgesetzes lauern das Paradox und die Doppelbödigkeit von Sprache: Denn welchen Grund soll dieses Gesetz beschreiben? Und was ist nun richtig: das menschliche Wesen, das geschützt werden soll, oder der Mensch selbst? Und wäre die Würde des Menschen unantastbar,
dann müsste der Staat sie doch nicht schützen …

Als Eingeborene von Trizonesien beschreibt ein Karnevalslied im Jahr 1948 (kurz vor Verabschiedung des Grundgesetzes also) das deutsche Völkchen. Nicht nur ein Mal wurde dieser Gassenhauer von den Alliierten irrtümlicherweise als deutsche Nationalhymne angestimmt, sodass der Song zumindest inoffizielle Nationalhymne blieb. Karl Berbuer besingt in dem Lied die drei westlichen Sektoren, die zu einem einheitlichen Wirtschaftsraum gefasst wurden: Der deutschen Nachkriegs-Einigung geht also erstmal die Wirtschaft voraus.

Was ist das für ein seltsames Volk von Eingeborenen, das bei der Verabschiedung des deutschen Grundgesetzes dem Vorhaben noch mehr als skeptisch gegenübersteht? Noch in den 50er Jahren votierte die deutsche Bevölkerung mehrheitlich, dass sie das größte Wohl im Kaiserreich und im NS-Regime erfahren hatte. Selbst der Abschaffung der Todesstrafe war das deutsche Volk nur mit Argwohn begegnet. Oh, ihr seltsamen Eingeborenen!

„Aufgabe von Kunst heute ist es, Chaos in die Ordnung zu bringen“, so Theodor W. Adorno. In diesem Sinne möchte Björn SC Deigners neue Auftragsarbeit eine deutsche Geschichte erzählen, die mit den Mitteln des Sprachspielerischen und des Absurden ein wildes Schlaglicht auf uns wirft. Doch Moment! Wir sind doch keine Menschenfresser! Selbst Goethe stammt aus Trizonesien! Heidi-tschimmela- tschimmela-tschimmela-tschimmela-bumm! (Theater Bamberg)

Björn SC Deigner hat mit dieser Hanswurstiade einen bitterbösen Schenkelklopfer geschrieben, der bis tief auf den Grund der in der Wirtschaft zahlreich geleerten Biergläser taucht, um dort eine Ahnung dessen zu finden, was im Nachkriegsdeutschland als Basis für das deutsche Grundgesetz herhalten konnte.

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