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S. Fischer Theaterverlag

GEGEN DAS DRAMATISCHE VERSCHWINDEN – Vorwort der Herausgeber.innen

Wir freuen uns sehr, unsere Publikation Dramatische Rundschau 02 präsentieren zu können. Darin versammeln sich acht zeitgenössische Theaterstücke, sprachgewaltige und komische, philosophische, poetische, erschütternde, aufmunternde. Ihre Formen sind so vielfältig wie ihre Themen. Das Buch ist so etwas wie ein dramatischer Reiseführer durch das Gespräch der Gegenwart. Hier finden Sie exklusiv das Vorwort der Herausgeber.innen in leicht veränderter und deutlich gekürzter Form.

Buchcover der Dramatischen Rundschau 02

GEGEN DAS DRAMATISCHE VERSCHWINDEN

Es gibt eine Sehnsucht nach Körperlichkeit, die mit jedem Tag der Distanzierung wächst. Ausgerechnet in Zeiten größter Unsicherheit darf Begegnung nicht mehr stattfinden. Und damit auch Austausch. Die Theater sind mal wieder geschlossen. Und das scheint irgendwie folgerichtig. Denn die Idee von Theater ist das Gegenteil von Isolation. Theater denkt Kunst ausschließlich gemeinsam − als Zusammenspiel. Was für eine wunderbare Anmaßung. Gleichzeitig auch eine schwere Bürde. Denn das bedeutet nichts anderes, als unaufhörlich miteinander im Gespräch sein zu müssen. Vor, hinter und auf der Bühne. Nicht ohne Grund hat das Theater den Dialog zum Kern seiner literarischen Identität gemacht. Mit Hilfe der Dramatik öffnet sich das Gespräch formvollendet zum Publikum. Denn auch das Publikum gehört zum Zusammenspiel. Ohne Zuschauende wäre Theater nicht existent. Jede Inszenierung findet erst im Erlebtwerden ihre eigentliche Bestimmung. Momentan ist es still im Zuschauerraum. Die dramatischen Gespräche sind verstummt. Damit sie wieder aufgenommen werden können, müssen wir uns klar machen, wie fragil dieses Gefüge ist. Dramatikerinnen werden durch Auftragswerke und eine Beteiligung am Verkauf der Eintrittskarten bezahlt. Das rechnet sich vor allem, wenn ein Theaterstück auf der großen Bühne gezeigt und vor großem Publikum gespielt wird. Die jetzige Situation ist für alle Dramatiker katastrophal. Theaterschließungen und reduzierte Zuschauerzahlen führen − wenn überhaupt − nur zu einem Bruchteil der geplanten Einnahmen. Die Zukunft zeitgenössischer Dramatik liegt in der Hand der Theater. Und gerade die Theater werden versucht sein, kommende Spielpläne mit Klassikern zu bestücken, für die es keine Tantiemen zu zahlen gibt. Das ist nachvollziehbar. Denn die Theater stehen unter großem Druck. Schon jetzt verkünden erste Städte empfindliche Subventionskürzungen für das kommende Jahr. Diese Entwicklung ist beunruhigend für neue Dramatik. Weil wir uns nicht leisten können, auf sie zu verzichten. Es wäre so, als ob wir ein Angebot zum Gespräch ausschlagen. Wenn das Gespräch das eigentliche Herz des Theaters ist, dann ist die zeitgenössische Dramatik sein Blutkreislauf. Sie pumpt die Sprache der Gegenwart in unser Köpfe und lässt den Austausch nie ruhen. Theaterstücke sind die literarische Basis unserer noch zu führenden Gespräche. Wir können es uns nicht leisten, darauf zu verzichten. Die kommenden Monate werden für das Theater anstrengend und mühsam. Gleichzeitig lohnt sich das Festhalten. Denn wir werden das Theater und seine Dramatik dringend brauchen, um nach diesen düsteren Monaten wieder miteinander ins Gespräch kommen zu können.

Leicht veränderte und deutlich gekürzte Version des Vorworts der HerausgeberInnen unserer Dramatischen Rundschau 02 mit Stückabdrucken von Ebru Nihan Celkan, Eleonore Khuen-Belasi, Annalena Küspert, Svealena Kutschke, Jakob Nolte, Ewald Palmetshofer, Thomas Perle und Nele Stuhler. Johanna Benz hat zu allen Theaterstücken wunderbare Illustrationen gezeichnet, die das Buch zu einem kleinen Gesamtkunstwerk machen.

© Dorothea Tuch

Svealena Kutschke

Svealena Kutschke, geboren in Lübeck, studierte Kulturwissenschaften und lebt heute in Berlin. Sie ist Schriftstellerin und Dramatikerin. Sie hat bisher fünf Romane veröffentlicht, zuletzt Gespensterfische im Frühjahr 2025 im Schöffling Verlag.
Ihr erstes Theaterstück zu unseren füßen, das gold, aus dem boden verschwunden zählt zu den drei Gewinnertexten der Autor*innentheatertage 2019.
Svealena Kutschke wurde mit dem Förderpreis zum Schiller-Gedächtnispreis 2019 und mit dem Hebbel-Preis 2022 ausgezeichnet. No Shame in Hope (eine Jogginghose ist ja kein Schicksal) war für den Autor*innenpreis des Heidelberger Stückemarkts 2023
nominiert und wird vielfach nachgespielt. 2023 war sie Stipendiatin in der Kulturakademie Tarabya in Istanbul und des Goethe-Instituts Bejing in Nanjing. Die Arbeit an Gespensterfische wurde gefördert durch das Arbeitsstipendium 2024 des Literaturfonds Darmstadt, das Arbeitsstipendium 2023 des Berliner Senats und mit einem Aufenthaltsstipendium der Stiftung Döblin Preis 2022.
Ihr neues Stück Fußnoten aus dem späten 21. Jahrhundert war zum Heidelberger Stückemarkt 2025 eingeladen und wurde mit dem FIDENA Stückepreis ausgezeichnet.




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Jakob Nolte

Jakob Nolte, geboren 1988, ist ein deutscher Theater- und Romanautor. Seine Texte wurden mehrfach gekürt und übersetzt. 2021 erschien sein dritter Roman Kurzes Buch über Tobias beim Suhrkamp Verlag. 2022 kam am Deutschen Theater Berlin seine Übersetzung von Shakespeares Der Sturm zur Uraufführung. Gemeinsam mit Leif Randt kuratiert er das Content Label Tegel Media. Er kommt aus Barsinghausen und lebt in Berlin.

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© Magnus Lechner

Ewald Palmetshofer

Ewald Palmetshofer, geboren 1978 in Linz, studierte in Wien Theologie und Lehramt Philosophie / Psychologie. Der Autor und Dramaturg wurde 2008 zum Nachwuchsdramatiker des Jahres ernannt. Mit hamlet ist tot. keine schwerkraft wurde er 2008 für den Mülheimer Dramatikerpreis nominiert, 2010 mit dem Stück faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete. Mit seinem Stück die unverheiratete gewann Ewald Palmetshofer 2015 den Mühlheimer Dramatikerpreis. Die Uraufführungsinszenierung von Robert Borgmann am Wiener Akademietheater wurde außerdem 2015 zum Berliner Theatertreffen 2015. Dem folgten weitere Einladungen nach Mülheim. 2018 wurde Vor Sonnenaufgang am Theater Basel uraufgeführt und seitdem an mehr als zwanzig Häusern nachgespielt. Mit der Uraufführung von die verlorenen in der Regie von Nora Schlocker eröffnete Andreas Beck 2019 seine Intendanz am Residenztheater in München, wo Ewald Palmetshofer seit der Spielzeit 2019/20 auch als Dramaturg arbeitet.

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Ebru Nihan Celkan

Ebru Nihan Celkan, geboren 1979 in Adana in der Türkei, ist Autorin und Dramatikerin, unterrichtet dramatisches und performatives Schreiben an verschiedenen Universitäten und leitet Workshops. Daneben schreibt sie seit 2014 für die türkische Tageszeitung Evrensel und berät NGOs. 2019 war sie außerdem Stipendiatin des Jean-Jacques Rousseau-Programms der Akademie Schloß Solitude in Stuttgart.
In ihren - insbesondere in der Türkei viel gespielten - Stücken setzt sie sich mit der türkischen Gesellschaft, deren Tabus und Missständen auseinander, ihren Fokus richtet sie dabei auf Machtmissbrauch, Militarismus und Genderthemen. Last Park Standing entstand im Rahmen des Projekts “Krieg im Frieden” am Maxim Gorki Theater in Berlin.

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© William Minke 2019

Nele Stuhler

Nele Stuhler wurde 1989 in Osterburg (Altmark) geboren und wuchs in Berlin auf. Sie studierte Philosophie und Volksbühne in Berlin, Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen, Regie in Zürich und absolvierte den Lehrgang FORUM TEXT von uniT Graz. Sie arbeitet als Autorin, Regisseurin und Performerin und schreibt alleine und mit anderen. Ihre Arbeit Mauerschau entstand 2017 an den Sophiensaelen in Berlin und wurden unter anderem zum DramatikerInnen Festival Graz, dem Out-Now Festival Bremen und zum Jubiläum 30 Jahre Mauerfall der Stadt Berlin eingeladen und von Deutschlandfunk Kultur als Hörspiel realisiert. Für ihr Theaterstück Fische erhielt sie 2016 den Münchner Förderpreis für deutschsprachige Dramatik und 2018 den Else-Lasker-Schüler Stückepreis. Mit ihrer Theatergruppe FUX realisiert sie seit 2011 eigene Arbeiten unter anderem beim Treibstoff-Festival Basel, am Stadttheater Gießen, am Schauspielhaus Wien, an den Münchner Kammerspielen, am Mousonturm Frankfurt und am HAU Berlin. Eine enge Zusammenarbeit verbindet sie zudem mit Jan Koslowski, mit dem sie Arbeiten unter anderem am Ballhaus Ost Berlin, der Kunsthalle Rostock, der Ruhrtriennale Master Class und dem Schauspiel Frankfurt entwickelte.

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© Julia Grevenkamp

Thomas Perle

Thomas Perle, geboren 1987 im sozialistischen Rumänien, wuchs dreisprachig in Nürnberg auf, studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien mit Diplomabschluss. Neben dem Studium war er am Volkstheater Wien und als Regieassistent am Schauspielhaus Wien tätig. Im Rahmen der Wiener Wortstaetten entstanden mehrere Projekte.
Er lebt und arbeitet als freier Autor und Dramatiker in Wien. Für seine Prosa und Dramatik wurde er mehrfach ausgezeichnet, u.a. Retzhofer Dramapreis 2019. 2018 erschien sein Prosaband wir gingen weil alle gingen. im Verlag edition exil.

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© privat

Annalena Küspert

Annalena Küspert, geboren in der Schweiz und aufgewachsen am Bodensee, studierte deutsche und englische Literaturwissenschaft in Berlin, Würzburg und Cambridge, UK. Sie arbeitete zunächst während ihres Studiums als Dramaturgieassistentin, nach ihrem Examen als Dramaturgin, derzeit am Jungen Nationaltheater Mannheim und seit 2017 als Autorin; auch gemeinsam mit ihrem Mann Konstantin Küspert. Texte von ihr wurden u.a. an den Theatern Osnabrück, Münster, Konstanz und Chemnitz uraufgeführt und vielfach nachgespielt. Ihr Jugendstück am wasser war 2020 auf der Longlist für den deutschen Jugendtheaterpreis. Ihr Stück die bremer stadtmusikanten nach den Gebrüdern Grimm (Regie: Manuel Moser) ist 2021 für den Kölner Kinder- und Jugendtheaterpreis nominiert. Für ihren Stückentwurf "Popp! Stolizei!“ oder „Gibt’s ein Wachtmeister, Herr Problem?“ erhielt sie das Nah dran!-Stipendium 2022. Das Stück wird am Theater Aalen produziert.

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