Werner Schwab

Werner Schwab wurde 1958 in Graz geboren und studierte an der Akademie der Bildenden Künste in Wien; mit seinen ersten Stücken, den Fäkaliendramen, wurde er 1991 der gefragteste Bühnenautor im deutschsprachigen Raum. Nach wenigen, sehr produktiven Jahren starb er in den frühen Morgenstunden des Neujahrstages 1994

Werner Schwab wurde 1958 in Graz geboren und studierte an der Akademie der Bildenden Künste in Wien; mit seinen ersten Stücken, den Fäkaliendramen, wurde er 1991 der gefragteste Bühnenautor im deutschsprachigen Raum. Nach wenigen, sehr produktiven Jahren starb er in den frühen Morgenstunden des Neujahrstages 1994

Theater

Audio

Werner Schwab

Die Präsidentinnen

3 D, 1 Dek

Ernas Wohnküche. Gegenwart. Nachdem sich Erna, Grete und Mariedl im Fernsehen die Übertragung einer Papstmesse angesehen haben, unterhalten sie sich über Gott und die Welt. Die bigotte und geizige Erna sorgt sich um ihren Sohn Hermann, der lieber säuft als ihr ein Enkelkind zu schenken. Die immer lüsterne Grete erzählt von ihrer psychisch verwirrten, in Australien lebenden Tochter Hannelore und schwärmt von ihrem Dackel Lydi. Mariedls große Leidenschaft ist es, verstopfte Klos mit bloßen Händen auszuräumen, wobei sie es zu einer wahren Meisterschaft gebracht hat. Wegen des Fleisches Wottila geraten Erna und Grete in einen Streit, der in eine richtige Rauferei ausartet. Mariedl kann die beiden schließlich wieder aussöhnen. Die drei Frauen träumen von einem Fest, auf dem Grete einem Musikanten den Kopf verdreht und Wottila um Ernas Hand anhält, während Mariedl unter dem Jubel der Menge die verstopften Klomuscheln reinigt. Mariedl lässt auch Hermann das Fest besuchen. Er schlägt die Köpfe von Wottila und Erna so lange zusammen, bis "die Seelen auswandern". Erna und Grete rächen sich für diese Phantasien, indem sie Mariedl mit einem Küchenmesser "sorgfältig ... den ganzen Hals" durchschneiden. Danach spielen drei hübsche Frauen auf der Bühne "bösartig, übertrieben und kreischend" das Stück Die Präsidentinnen, während Erna, Grete und Mariedl entsetzt das Weite suchen.

Die Präsidentinnen ist das erste von Schwabs Fäkaliendramen. Zu dessen Titel vermerkt der Autor: "Das sind Leute, die glauben, alles zu wissen, über alle zu bestimmen. Eine Form von Größenwahn. Ich stamme aus einer Präsidentinnen-Familie."
Harenberg Schauspielführer

Theater

Werner Schwab

Endlich tot endlich keine Luft mehr

6 D, 6 H, 1 Dek

„Ich hasse das Publikum. Das Publikum ist der Tod des Theaters.“ Der übergewichtige Dichter im Stück sagt das. Genauso gut könnte es heißen „Der Dichter ist der Tod des Theaters.“, „Der Bühnenbildner ist der Tod des Theaters.“ oder „Der Regisseur ist der Tod des Theaters.“ Oder gar: „Das Theater ist der Tod des Theaters.“ In Werner Schwabs letztem Stück bekommen alle Theatermacher ihr Fett weg. Eine veritable Abrechnung ist das, im bös-bissigem Schwabisch so stark evaluiert, dass man fast gewillt ist, die Überspitzung als reales Abbild eines sich selbst vernichtenden Gegenwartstheaters zu akzeptieren. Die Figuren heißen so, wie es die Abrechnung verlangt: Der sich unverstanden fühlende Dichter Mühlstein hängt wie ein solcher am Hals des Theaters; der Regisseur Saftmann meint, dem Stück mit seiner Todesphilosophie mehr Substanz zu verleihen und inszeniert am Thema vorbei; der Bühnenbildner Rubens schwelgt in seinen eigenen Bildern. Die Putzfrau heißt Frau Haider, ist so unangenehm wie ihr Namensvetter und gilt als die Stimme des Volkes wenig. Die Proben verlaufen katastrophal. Nach einem ebenso destruktivem Besuch der Familienministerin verlassen die Schauspieler das Theater. Die Realität hält Einzug: Saftmann rekrutiert Bewohner eines Altenheimes, um das Theater auf dem Theater fortführen zu können. Frau Haider wiederum probt den Aufstand und ergreift die Macht. Die von der Gesellschaft aussortierten Alten erheben sich gegen das Theater respektive gegen seinen Vollstrecker: Sie erschlagen Saftmann. Und atmen auf.


Theater

Werner Schwab

Eskalation ordinär

2 D, 4 H, St

„Noch mehr Senf. Noch mehr scharfen Senf auf mich hinauf.“ Der Arbeitslose Helmut Brennwert stärkt sich an einer Imbissbude für sein Bewerbungsgespräch in einer Sparkasse. Seine Verlobte droht damit, ihn zu verlassen, wenn es mit dem Job nichts wird. Ausgerechnet der Mann, bei dem er sich vorstellen soll, beschmiert Brennwerts einzigen guten Anzug mit scharfem Senf. Sein Abstieg, der längst begann, nimmt damit rasante Fahrt auf. Eine Demütigung folgt auf die nächste. Brennwert wird beschimpft, getreten, erniedrigt, vergewaltigt und zum Hund degradiert. Er wird das „Dreckschwein“ und der Fußabtreter, den die versammelte Gesellschaft offenbar braucht, um sich so richtig gut zu fühlen. Nur einmal gelingt es ihm noch, so etwas wie Achtung zu erringen. Er wütet für die Reaktivierung des deutschen Eichenwaldes und punktet bei allen, auch bei dem alten Ehepaar, das alle Episoden seiner Talfahrt mehr oder minder genüßlich verfolgt. Sein Ruhm ist von kurzer Dauer: „Jetzt bin ich wieder arbeitslos und allein.“ Und: „Hoffentlich gibt es kein ewiges Leben. Hoffentlich gibt es keine ewige Arbeitslosigkeit.“ Helmut Brennwert versucht ein letztes Mal, seinen Wert zu beweisen: Er zündet sich an.

Die ureigene Sprache des Autors, sein „Schwabisch“, kommt in „ESKALATION ordinär“ vergleichsweise milde daher. Was das Stück diagnostiziert, ist das Gegenteil von milde: Arbeitslosigkeit als der größte anzunehmende Unfall in einer auf Vorteilssuche bedachten Welt.

Theater

Werner Schwab

Faust :: Mein Brustkorb : Mein Helm

2 D, 5 H, 1 Dek

Den Anfang macht ein altbekanntes Bild: Auch Werner Schwabs Faust sinniert in seiner Studierstube. Aber er formt dabei eine neue Deutung des „zwei Seelen, ach in meiner Brust“: Man braucht zwei Seelen, damit die Selbstliebe sowohl Absender wie Adressat hat.
Schwabs Variante ist eine Version des wuchtigen Stoffes nach Nietzsche. Gott hat sich erschossen, dessen ist sich Mephisto sicher. Die gesammelten Kenntnisse der Wissenschaft bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, Defätismus und Nihilismus inklusive, schwingen mit. Ebenso wie Modernismen: Margarethe steht in einer Telefonzelle. Schwab spielt mit Motiven aus Goethes „Faust“ und er tränkt sie mit all dem, was man bei Schwab erwarten darf: Schimpfwortkanonaden, brutale Sexualität, Fäkalien, und den fatalen Opportunismus der Figuren. Seine Version ist dabei nicht minder ein Fest der Sprache, wenn auch selbstverständlich einer überbordenden Sprache. Die sie benutzen, deformieren sie, nicht zuletzt als Replik auf eine Welt, die selbst deformiert ist. Philosophie erscheint wie Morast, durch den man watet und in den man versinkt.
Das Altern, schon bei Goethe Thema, trifft hier nicht nur Faust. Mephisto und Margarethe geben das neue mörderische Traumpaar. Margarethe ist erwachsen und dem sanften Bild von Gretchen entwachsen. Die Geriatrie ist Ausgangs- und Endpunkt von diesem Faust.
„Ach ja, die alten Fragen des Lebensjoghurts, woher die Existenzmilch kommen mag.“ (Wagner)

Theater

Audio

Werner Schwab

Mein Hundemund

1 D, 2 H, 1 Dek

Der Hundemaulsepp nennt sich selbst Drecksepp. Und er sitzt im Dreck: zwischen einer verkommenen Bauernwirtschaft, einem Schrotthaufen und einer Wanne mit Blut und Innereien. Er sitzt im Dreck seiner Ohnmachts- und Allmachtsfantasien. Hass und Selbstvernichtung durchtränken seine alkoholgetränkten Tiraden. Kriegsversehrt greift er mit seinen „Weltkriegshänden“ nach Schnapsflaschen, Schlachtermessern und Sensen. Die Menschen haben ihn von vornherein nicht haben wollen, dessen ist er sich gewiss.
Der Sohn will ihn auch nicht haben. Er will Boden zwischen sich und seinem Vater gewinnen und täte es vielleicht, wäre sein Auto nicht kaputt, wäre er selbst nicht schon dem Defätismus verfallen. Also muss er weiterträumen: vom Ableben des Vaters, davon, dass er das Haus umbauen kann, davon, dass eine Raupe den Vater, den ganzen Dreck wegschieben wird.
Die Frau ist sauber und streng. Sie stellt dem Drecksepp das Bett vor die Tür und kommandiert und klagt vor sich hin.
Der Drecksepp trägt das große Wort „Welt“ mit sich herum. Nichts geringeres als die Welt mit ihren fordernden Kriegen und ihrer quälenden Mißachtung und nichts größeres als die einengende Familie treiben ihn um und an und in den Wahnsinn. Er legt sich vor seinen Hund, den er dazu abgerichtet hat, ihn zu töten.

„Die Sprache zerrt die Personen hinter sich her: wie Blechbüchsen, die man an einem Hundeschwanz angebunden hat. Man kann eben nichts als die Sprache.“ (Werner Schwab)

Mein Hundemund ist nach Die Präsidentinnen, Übergewicht, unwichtig: Unform und Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos der letzte Teil der Tetralogie der Fäkaliendramen.

Theater

Audio

Werner Schwab

Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos

5 D, 2 H, 3 Dek

In der kleinen Wohnküche der Frau Wurm arbeitet ihr verkrüppelter Sohn Herrmann, der hofft, ein großer "Grazkünstler" zu werden, an seinen Bildern. Dabei eskaliert ein gehässiger Streit mit seiner Mutter, die ihn am liebsten "abmurksen" möchte. Hermann wiederum, der schon als Kleinkind sexuell missbraucht wurde, schwelgt in sadistischen Vergewaltigungs- und Ermordungsfantasien. Nur das Erscheinen der anderen Hausbewohner kann verhindern, dass er seiner Mutter einen Korkenzieher in den Kopf stößt. In der Wohnung der Familie Kovacic geht es ebenso alptraumhaft brutal zu. Herr Kovacic zerquetscht den Goldhamster, zieht lüstern eine seiner Töchter auf seinen Schoß und pinkelt sich vor lauter Erregung selbst an. Frau Grollfeuer hat die Familien Wurm und Kovacic zu ihrer Geburtstagsfeier eingeladen. Dabei eskalieren die Verachtung und der Hass der Hausbewohner aufeinander in ein mörderisches "Jeder gegen jeden". Das grausige Treiben findet erst ein Ende, als alle an dem vergifteten Kuchen zugrunde gehen, den ihnen Frau Grollfeuer vorgesetzt hat. Die vollzogene "Volksvernichtung" ist die Konsequenz aus Frau Grollfeuers Erkenntnis, dass ihr Versuch, sich "in ein Verständnis hineinzutrinken", gescheitert ist: "Meine Leber war umsonst. Meine Leber ist sinnlos." Im letzten Akt sind alle wieder lebendig und sitzen einträchtig bei Frau Grollfeuers Geburtstagsfeier beieinander und singen Happy Birthday.


Aufführungsarchiv

Digitales Textbuch