Theater

Ariel Dorfman, Rodrigo Dorfman

Mascara

Ein Märchen
(Mascara)

Durch seine Fotografien gelingt es Emme, das Innere der Abgelichteten nach außen zu kehren, sie umzukrempeln und zu offenbaren, was sich hinter den Fassaden der Schönen und Reichen, hinter den makellos und perfekt erscheinenden Menschen abspielt. Er rührt den Bodensatz auf und löst dadurch allerorts Angst und Schrecken aus. Die Gesichtsfläche ist die erste Angriffs- und Erinnerungsfläche. In der Klinik des Schönheitschirurgen Mavirelli werden die unterschiedlichsten Gesichtskorrekturen vorgenommen - ein Gesicht kann glaubhaft gemacht werden, in jeder Hinsicht manipuliert werden; daraus lässt sich viel Kapital schlagen.
Die geheimen Spielflächen sind zugängliche Bereiche für Emme, er verfügt über die Möglichkeit, sich bemerkbar zu machen, die anderen mit der Wahrheit zu konfrontieren und im Anschluss daran jede Erinnerung an seine Person aus dem Gedächtnis des Gegenübers zu löschen.
Sein Gesicht trägt das Merkmal der Merkmalslosigkeit.
Die Liebe zu und von der zwiegespaltenen Oriana macht ihn sichtbar, gibt ihm einen Körper und klare Umrisse, er wird aufspürbar und verwundbar. Nun ist er der Gejagte. Marivelli bietet ihm Hilfe an, um sich seines Gesichts zu bedienen: "I´m going to cultivate his face - like a garden. I´m going to clone it, market it, sell it to select clients."
Er verpasst ihm ein neues Gesicht - unter der neuen Maske kann Emme Oriana sein erstes und letztes Lächeln schenken.

Deutsch von Uwe B. Carstensen

4 D, 5 H, Verwandlungsdek

UA: 14.02.1998 · Schauspiel Bonn · Regie: Frank Hoffmann

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Theater
Ariel Dorfman, Rodrigo Dorfman

Who's Who

Deutsch von Uwe B. Carstensen
2 D, 3 H, Verwandlungsdek

Hollywood heute - immer noch Stadt der Träume und Mythen - wieder soll in der Traumfabrik ein großer Film gedreht werden. Nicht irgendeiner - der wichtigste, teuerste und wahnsinnigste Film aller Zeiten: "Nobody". Alle großen Stars sollen in diesem Film nur einen Satz haben.

Sam, die mächtigste Casting-Frau Hollywoods, ist für die Besetzung verantwortlich. Sie hat sie alle "gemacht": Marlon Brando, Clark Gable, Vivien Leigh, etc. Rachel, ihre Assistentin, sucht die 'Supporting Actors' und trifft auf Alex, einen jungen Gelegenheitsschauspieler. Vom Ehrgeiz zerfressen will er genau in diesem Film mitspielen, wer nicht? Der Produzent wird unruhig. Die japanischen Geldgeber ungeduldig. Sie warten auf Sam, die einfach nicht mit der endgültigen Besetzung 'rüberkommt'. In wenigen Wochen ist Drehbeginn. Sam hat zum ersten Mal in ihrem Leben Angst und bestellt ihren alten Freund, den ehemaligen Stummfilmstar Joey, zum Bodyguard. Es geht um alles - um Leben und Tod. Das Spiel heißt Illusion. Niemand ist gut oder schlecht in diesem Spiel - alle sind nur darauf aus, ihre eigenen Interessen zu verfolgen und durchzusetzen.
Ariel und Rodrigo Dorfmans Farce geht weit über das übliche Hollywoodklischee hinaus. Sie blickt über die Kulissen der Traumfabrik, die wesentlich zur Bildung des 'Mythos Amerika' beigetragen hat. Das Stück bringt uns mit großer psychologischer Einfühlsamkeit die Menschen und die Filme nahe. Ganz nebenbei analysieren die Autoren mit verblüffender Originalität die Helden und Heldinnen im Hintergrund: die 'Macher', die Idole, die Opfer und Helden Hollywoods. Eine bitterböse, fast tragische Farce, die Molière, würde er heute leben, sicher genauso empfunden und geschrieben hätte.

Theater
Ariel Dorfman

Der Tod und das Mädchen

Deutsch von Ulli Stephan, Uwe B. Carstensen
1 D, 2 H, 1 Dek

Der Tod und das Mädchen ist die Geschichte von Paulina Salas und ihrer unbewältigten Vergangenheit, die sie gern ans Licht bringen möchte. Vor Jahren wurde sie zerbrochen, als sie von Soldaten verschleppt, verhaftet und in der Haft gefoltert und vergewaltigt wurde. Obwohl sie ein normales bürgerliches Leben an der Seite ihres Ehemannes Roberto führt lässt ihr unbewältigtes Trauma ihr keine Ruhe.
Der Konflikt des Stückes entbrennt, als Roberto einen Gast mit nach Hause bringt, in dem sie glaubt, den Arzt zu erkennen, der in der Haft die Folterung überwacht und sie vergewaltigt hat. Obwohl sie ihren Peiniger niemals gesehen hat, weil während der Verhöre ihre Augen verbunden waren, lässt seine Stimme und sein Geruch bei ihr nicht den geringsten Zweifel offen.
Der Wunsch nach Rache für die frühere Erniedrigung wird in ihr so stark, dass sie alle gesellschaftlichen Normen vergisst, ihr Opfer fesselt und eine Gerichtsverhandlung inszeniert. Zum Richter setzt sie ihren Ehemann ein. Dieser versucht sie zu beschwichtigen, sieht sich aber letztlich gezwungen, ihrem Verlangen nach Genugtuung nachzugeben, und dem Gefangenen ein Geständnis abzutrotzen.
Er macht dem Gefangenen deutlich, dass er nur durch Hilfe eines Geständnisses unbeschadet der Situation entrinnen kann und diktiert ihm, was er zu schreiben hat. Ob es sich bei dem freundlichen Besucher tatsächlich um den Folterer von einst handelt, oder ob Paulina ihre unbewältigte Vergangenheit und ihr Verlangen nach Rache auf den nächstbesten Menschen projiziert, bleibt ungeklärt.

Theater
Ariel Dorfman

Der Leser

Deutsch von Uwe B. Carstensen
2 D, 4 H, Verwandlungsdek

Melodien erfüllen den Raum, alle umarmen sich sanft: Die "Minute des Lächelns" versetzt jeden in einen Zustand der Harmonie, ganz gleich, welch scharfe Konfrontation gerade läuft. Es ist eine aufoktroyierte Harmonie. Sie, wie alles andere im Leben, wird von der Moral Resource Company gesteuert. Ein Regime in der nahen Zukunft, errichtet auf strengen moralischen Prinzipien.

Daniel ist ihr Mitarbeiter. Als Zensor entscheidet er über das Wohl und Wehe von literarischen Werken. Sein derzeitiger Fall erzählt über eine ökofaschistische Diktatur, die unverkennbar mit dem moralischen Regime der Realität gleichgesetzt werden kann. Mehr noch: In der Figur »Don Alfonso' erkennt sich Daniel Lucas selbst wieder. Und auch andere Menschen aus seiner Umgebung tauchen auf: sein Sohn, seine Sekretärin und Geliebte, seine tote Frau. Der fiktive Sohn stellt Fragen, insbesondere über das Verschwinden seiner Mutter, die in einer Umerziehungsanstalt gestorben ist. Die Ebenen vermischen sich zusehends.
Daniel sucht den Autor des Werkes auf, um herauszufinden, woher dieser seine Informationen hat. Paralysiert von dem Ineinandergreifen von Literatur und Realität fälscht er schließlich die Unterschrift seines Sohnes, wie er meint: um ihn zu retten. Er begeht den gleichen Verrat an ihm wie zuvor an seiner Frau - nur, um dann feststellen zu müssen, dass das Werk eigens geschrieben wurde, um eine Probe für seine Loyalität zu erhalten.

Das Vexierspiel aus Realität und Fiktion wird von Ariel Dorfman konsequent durchgeführt: In Parallelszenen wird das, wofür die realen Figuren keine Worte haben, dokumentiert: Folter und Unterdrückung. Ein Psychogramm, ein Psychothriller über den autoritären Charakter.

Digitales Textbuch