Theater

Roland Schimmelpfennig

Odyssee

Homers ODYSSEE ist das früheste große europäische Epos über eine Kolonialisierung und ihre Folgen (…).Die zehnjähre Irrfahrt des mythischen Helden Odysseus, der durch seine List den Krieg gegen Troja entschieden hatte und danach über das Mittelmeer trieb, um seine Heimatstadt Ithaka zu erreichen, zeigt, wie der Krieg in der Fremde die Kolonisatoren selbst zu Nomaden und Migranten macht. Odysseus ist sich selbst, seiner Heimat und seiner Frau Penelope fremd geworden, und als Fremder kehrt er zurück – aber wohin? (…) Penelope liebt einen Lehrer in dessen Kleinwagen, der Lehrer erzählt immer neue Geschichte von Odysseus, bis dieser schließlich heimkehrt nach Ithaka. Auf dem Weg dorthin fragen sich Odysseus und seine Begleiter, was das eigentlich ist, Heimat, und ob es ein Grundrecht darauf gibt. Sie begegnen dem Zyklopen, der die Eindringlinge vernichten will, andere nehmen sie auf und feiern mit ihnen, aber der kurze Willkommensrausch ist schnell vorbei.
(Ankündigung Staatsschaupiel Dresden)

Auftragsarbeit für das Staatsschauspiel Dresden

frei zu besetzen

UA: 15.09.2018 · Staatstheater Dresden · Regie: Tilmann Köhler

Übersetzt in English, Slovak, Spanish

Kritiken

nachtkritik

16.09.2018

„Schimmelpfennig spielt mit dem Stoff, und wie! Sein achtköpfiges Personarium ist unterwegs zu einem Sehnsuchtsort, auf dem Rückweg in die Heimat, wo das "Grundrecht auf Land unter den Füßen" verwirklicht ist...Für dieses kluge und fantasiereiche Erzähltheaterstück hat Regisseur Tilmann Köhler auch die passenden Inszenierungsideen."

Sächsische Zeitung online

17.09.2018

„Von Beginn an entmythologisiert Schimmelpfennig herzerfrischend... Sprachwitz und Tragik geben sich die Hand, Brüche und Widersprüche füttern fortwährend neue Assoziationen."

Die Deutsche Bühne

17.09.2018

„Versöhnungslos endet Roland Schimmelpfennigs „Odyssee“, deren Uraufführung Tilmann Köhler am Staatsschauspiel Dresden besorgte. Dabei trifft ein kluger Text auf eine ebenso kundige Regie und starke Besetzung."

nachtkritik

16.09.2018

„Schimmelpfennig spielt mit dem Stoff, und wie! Sein achtköpfiges Personarium ist unterwegs zu einem Sehnsuchtsort, auf dem Rückweg in die Heimat, wo das "Grundrecht auf Land unter den Füßen" verwirklicht ist...Für dieses kluge und fantasiereiche Erzähltheaterstück hat Regisseur Tilmann Köhler auch die passenden Inszenierungsideen."

Sächsische Zeitung online

17.09.2018

„Von Beginn an entmythologisiert Schimmelpfennig herzerfrischend... Sprachwitz und Tragik geben sich die Hand, Brüche und Widersprüche füttern fortwährend neue Assoziationen."

Die Deutsche Bühne

17.09.2018

„Versöhnungslos endet Roland Schimmelpfennigs „Odyssee“, deren Uraufführung Tilmann Köhler am Staatsschauspiel Dresden besorgte. Dabei trifft ein kluger Text auf eine ebenso kundige Regie und starke Besetzung."

Aufführungsarchiv

15
September 2018
Roland Schimmelpfennig

Odyssee

Theater
UA
Regie Tilmann Köhler
16
Oktober 2020
Roland Schimmelpfennig

Odyssee

Theater
Regie Jan Langenheim
Theater Pfalztheater Kaiserslautern, Kaiserslautern
08
April 2022
Roland Schimmelpfennig

Odyssee

Theater
Regie Daniel Daeyung
Theater Kellertheater Hamburg e.V., Hamburg
17
September 2022
Roland Schimmelpfennig

Odyssee

Theater
Regie Judith Kuckart
Theater Theater Paderborn -, Paderborn

Weitere Stücke

Alle Stücke
Theater
Roland Schimmelpfennig

Keine Arbeit für die junge Frau im Frühlingskleid

2 D, 3 H

"Fünf arbeitslose Schauspieler stehen nach der Schließung ihres Theaters vor dem alten roten Hauptvorhang." "Das bedarf keiner weiteren Beschreibung. Wichtig ist es nicht, aber schmerzhaft." - So eröffnet Roland Schimmelpfennig sein Stück KEINE ARBEIT FÜR DIE JUNGE FRAU IM FRÜHLINGSKLEID. Es geht darin um die fragmentarisch ineinandergefügten, um die eingebildeten oder wirklichen Geschichten von fünf Schauspielern. Um Theater und Theatermenschen. Um vielleicht "geliehene Lebensläufe", wie es einmal heißt. Oder um Leben, Erinnerungen, Sehnsüchte vor allem, die sich in Schimmelpfennigs Schreibe darstellen wie kunstvolle Rollen-Dialoge. In Eric Rohmers Filmen oder in Botho Strauß` früher Prosa gibt es ähnlich verwehte Gespräche, Rätsel, logische Löcher, Absurditäten. Und eine sachliche Poesie der Sprache.
Paarweise tauchen die Spieler in diese seltsamen Geschichten. Sie reden, sie spielen wie in Wachträumen. (...) Immer gibt es Haken im Konkreten, Abflüge in die Phantasie - Endzeitliches, Hoffnungen, irrwitziges aneinander Vorbeireden. Zum Schluss wird die ältere Schauspielerin sich mit einem Engagement für Eliza Doolittle nach New York verabschieden. Ausgerechnet sie, die zu alt ist eigentlich? "Wir sind doch nicht beim Film. So gedacht ist Theater gänzlich unmöglich!"
(Ingrid Seidenfaden, Der Tagesspiegel über die Uraufführung am 4.4.1996 an den Münchner Kammerspielen)

Theater
Roland Schimmelpfennig

Die Zwiefachen

6 D, 6 H

Ein Mittsommernachtstraum am Stadtrand. Geheimnisvoll und gefährlich. Niemand tanzt wie Turan. Doch alle begehren sie durch ihren Tanz, wollen sie erobern, um sie zu besitzen. Oder ihr mit aller Macht den Tanz stehlen - denn es steht wieder der Samstagabend vor der Tür, an dem doch jeder tanzen gehen will. Paare finden und verlieren sich:

"Ich fand die Turan mit dem Gigi am See, wo sie gerade tanzen übten - ich stach sie, wie Ihr sagtet in ihr Ohr und sog ihren Tanz in mich hinein. Dabei wäre ich um ein Haar erschlagen worden, weil der Gigi mich entdeckte. Binnen weniger Augenblicke war alles vorbei, sie konnte nicht einen Schritt, nicht einen Fuß noch vor den anderen setzen. Der Gigi verließ die Leidende augenblicklich und auch der Gregor, der bisher die Turan liebte, ließ die Ohnmächtige am Rande des Sees liegen, um der Magda hinterherzulaufen, die wiederum heute Abend mit dem Gigi tanzen gehen wird, obwohl sie bisher Gregor liebte und ihn verfolgte wie ein Muttermal."
berichtet die Haushälterin, die für eine Nacht zur Mücke wurde, aber das ist wieder eine andere Geschichte...

Das Stück grenzt scheinbar an ein Land zwischen gestern und morgen: unwirklich, entwirklicht, wie in einer "sternenfernen Welt" (Roland Barthes). Und doch erzählt es zwischen Schwimmbad und Supermarkt von dem verzweifelten Wunsch, einmal im Leben - und sei es nur für einen Abend - geliebt zu werden und etwas Besonderes zu sein.

Theater
Roland Schimmelpfennig

Die ewige Maria

3 D, 5 H, 1 K

Maria und Karl wollen heiraten. Aber der Junge von nebenan ist weg und ohne den Jungen kann das Paar nicht heiraten. Karl geht den Jungen suchen und bringt ihn her. Der Junge hat ein ausgestoßenes Auge.

Karl und Maria feiern Hochzeit. Maria will mit Karl fortgehen, um gemeinsam eine neue Existenz aufzubauen, - einen Bäckersladen oder einen billigen Friseursalon.

In der Hochzeitsnacht kommt Karls Bruder Fritz. Karl soll mitkommen, Fritz weiß
jemanden, der für seinen Friseursalon ein Paar sucht. Es eilt. Karl geht ohne seine Frau. Er steckt der schlafenden Maria noch den Ehering an den Finger.

Maria wartet schon ein Jahr auf Karl. Franz, Karls Vater, überredet Maria, ihn zu heiraten. Sie bringt aber Karls Ring nicht mehr vom Finger. Maria schickt den Jungen, um Karl zu suchen, bevor sie heiratet. Sie gibt ihm ein großes Messer mit.

Karl kommt nachts zu Maria und will sie mitnehmen. Er ist jetzt Inhaber des Friseursalons. Den Jungen hat er umgebracht. Karl beteuert, ihr geschrieben zu haben. Maria hat seine Briefe nie bekommen.

Die Figuren von Roland Schimmelpfennig irritieren und ihre Geschichte bleibt rätselhaft...
"Die Dinge sind nicht einfach. Sie erscheinen vielleicht einfach, weil sie scheinbar einer Form folgen. Jede Figur sieht die Geschichte von einer anderen Seite. Welche soll ich aussuchen und erzählen? Am Ende ist noch jemand im Recht oder jemand im Unrecht - aber wer soll das mit Bestimmtheit sein? Franz? Maria? Karl? (Nicht, dass ich es nicht wüsste) - Oder niemand hat recht, und niemand hat unrecht: das sind die allerschrecklichsten Theaterstücke - Ich habe versucht zu erzählen, warum das Leben für Maria, Karl, Franz und die anderen schwierig ist. Es ist schwierig."
(Roland Schimmelpfennig)

Junges Theater
Roland Schimmelpfennig

Alice im Wunderland

5 D, 6 H, St

Wer bröselt so spät durch die Nacht und hat Durst?
Es ist das Brötchen mit seiner Wurst,
die Wurst hält das Brötchen zärtlich im Arm,
das jammert und greint, dass sich Gott erbarm,

"Mein Brötchen, mein Brötchen, was jammerst du so?"
"Ich bin gleich vertrocknet!" "Zeig doch mal, wo?"
"Hier, in der Rillle, siehst du das nicht?"
"Ich dachte, mein Brötchen, das sei dein Gesicht!" (...)

Ich sage dir, Brötchen, das Wasser, das schadet,
auch mich hat man einstmals zu heiß gebadet!"
Das Brötchen fragt zärtlich, "wie war das, mein Schatz?"
Das Würstchen sagt: "Brötchen, da bin ich geplatzt!" (...)

"Oh Würstchen, oh Würstchen, oh hätt' ich nur Butter,
ich bliebe so feucht wie einst meine Mutter!"
"Mein Brötchen, mein Brötchen, nun gib endlich Ruh,
ich geb dir ja schon meinen Senf dazu!"

Darauf das Brötchen entschieden und knapp:
"Danke, mein Würstchen, das lehne ich ab!
ein Würstchen mit Senf, das mag es ja geben,
ein Brötchen mit Senf ist völlig daneben.

Was glaubst du, du Würstchen, wer ich wohl bin,
schmier deinen Senf dir doch sonst wohin!
Daß immer nur mir sowas Blödes passiert!
Ach wär ich noch mit der Bullette liiert!"

"Oh Brötchen, oh Brötchen, ich könnte dich hassen,
wegen dir hab ich damals die Stulle verlassen,
die wurde nicht trocken, die war dick beschmiert,
und nicht so wie du komplett ramponiert."

Der Abend, er endet, wie es kommen mußte:
dem Brötchen zerkrümelt allmählich die Kruste.
Das Würstchen vergnügt sich mit Pommes weiß rot,
das Brötchen zerbröselt und findet den Tod.

Roland Schimmelpfennig schrieb ein phantasievolles und poetisches Libretto für das Musical Alice im Wunderland. Die Musik der Uraufführung in Hannover komponierte Mousse T.

Theater
Roland Schimmelpfennig

Aus den Städten in die Wälder, aus den Wäldern in die Städte

3 D, 5 H, 2 Geister

"Die Bretter, die die Welt bedeuten, stehen im Zentrum von Roland Schimmelpfennigs Stück. Aber schon Pierre Boulez, der große Komponist und Dirigent, hatte vor Jahrzehnten Bretter vor dem Kopf, als er empfahl, alle Opernhäuser in die Luft zu sprengen. Freilich, Boulez wollte das eigentlich gar nicht - und Schimmelpfennig erst recht nicht, nicht einmal die Schauspielhäuser. Sonst hätte er nicht so ein Stück geschrieben. Sonst hätte er nicht aus dem Schatz seiner Bildung geschöpft, aus allen "Bäumchen, wechsle dich"-Spielen von Shakespeares Sommernachtstraum über Woody Allens Eine Mittsommernachts-Sex-Komödie bis zum Park von Botho Strauß. "Trefft mich in dem Schloßwalde, eine Meile von der Stadt, da wollen wir probieren.", heißt es im Sommernachtstraum. Was probiert Schimmelpfennig?
Händereibend beschreibt er einen Theaterintendanten, der sein Theater abfackelt. Der Intendant erlöst sich von der verpflichtenden Kunst und geht in den Wald. Was aber geschieht dort? Ein Theaterstück. Liebesgewirr. Das Holz, aus dem die Bretter, die die Welt und das Theater bedeuten, wird nicht gefunden. Dafür findet er die Architektin, die die Bretter fürs Theater bauen soll. Aber die beiden und ihre liebesverwirrten Wald-Partner werden zu Bäumen, zu Holz, zu potentiellen Brettern. Das Theater kann nicht sterben, wenn man Bretter-gewordene Menschen fürs Theater nicht zersägen will. Die Bäume, die Bretter wollen Menschen werden und - auf dem Theater auftreten. Aber - siehe oben - das Theater ist abgebrannt, die Menschen, die Theater wollen, sind Wald, Holz, Bretter geworden. Es geht sich nix aus. Schimmelpfennigs Stück lässt das Theater aus Liebe zum Theater sterben. Ein junger Autor greift an, was er liebt. Das ist wie in der richtigen Liebe. Das ist oftmals nur verbrettert. Und ein Ausflug in die Wälder führt zurück in die Städte, in denen die Theater zur Not auch ohne Bretter auskommen." (Gerd Jäger)

Theater
Roland Schimmelpfennig

Die Frau von früher

3 D, 2 H

Es ist gepackt. Eine Familie zieht um. In Übersee wird Frank, der Vater, arbeiten und Claudia, seine Frau, wird selbstverständlich mit ihm gehen. Auch ihr fast volljähriger Sohn Andreas wird mit übersiedeln und lässt, wie sie, sein bisheriges Leben in der alten Welt zurück. Von Tina, seiner ersten großen Liebe, muss er sich jetzt verabschieden.
Hoffnung liegt in der Luft und über Bergen aus Kisten und Gepäck. Und auch ein Hauch von Abschied durchweht die leergeräumte Wohnung und umstreicht bedeutungslos gewordene, aussortierte Erinnerungen.
Tina, bald verlassen, sieht die Sache realistisch. Andreas ist im Kopf schon vielmehr dort als hier. Claudia duscht, Frank sinnt. Alles scheint bereit und abgeschlossen; das Leben hält für einen Augenblick lang inne, da klopft es...
Vor der Tür steht Romy. Romy ist Franks Vergangenheit, längst passé. Romy Vogtländer war Vaters erste große Liebe. Lange bevor sich Claudia und Frank kennen lernten, heirateten, eine Familie gründeten und Andreas geboren wurde.
Romy weiß, was war und was ihr wichtig ist. Sie liebt Frank. Sie kehrt zurück und fordert Frank auf, sich seines Schwurs zu erinnern: Ich werde dich immer lieben! Romy kennt keine Gnade! Frank beginnt zu lügen, stottert: Könnte, dürfte man es tatsächlich wagen... zu denken -? Alles ist verpackt und vieles wäre möglich! (Ankündigung des Burgtheaters, in dessen Auftrag Die Frau von früher entstanden ist.)


Theater
Roland Schimmelpfennig

Start Up

2 D, 3 H

Junge Deutsche kommen in die Staaten und versuchen auf dem Weg nach Westen ihr Glück zu machen. Sie haben eine Geschäftsidee: Kulturimport aus dem Alten Europa. Echtes Theater. Ein Konzept, das in der harten Realität des Westens den amerikanischen Partnern recht diffus erscheint. Auf der Suche nach dem „Amerikanischen Traum“ kommen sie in eine amerikanische Kleinstadt. Hier
wollen sie ankommen, ein Gebäude mieten, eine Existenz gründen. Aber das größte Problem ist ihr möglicher Vermieter, Ike, der ihr Anliegen einfach nicht begreift.
(Ankündigung des GermanTheaterAbroad)

„Was als Road Movie und intelligente Komödie daherkommt, ist eigentlich ein erfrischend unkonventioneller Blick auf Amerika und das Amerikabild in unseren Köpfen. Die drei deutschen Idealisten erscheinen mit ihren Cowboy- und Indianer-Spielen wie von einem anderen Stern. Ihr Glaube, Amerika mit einem umgekehrten Marshallplan vor dem kulturellen Untergang zu retten, mit einem Prater in der Prärie, scheitert an ihrem hehren Anspruch und Ikes sympathischen Pragmatismus. Schimmelpfennig entgeht der stereotypen Amerikaschelte, indem er die Gegensätze zwischen Alter und Neuer Welt nebeneinander stehen lässt und mit immer waghalsigeren ironischen Wendungen überrascht.“ (Ingoh Brux, Theater heute Jahresheft 2007)

Mit der Uraufführungsinszenierung von Start Up, einer Auftragsarbeit für das GermanTheaterAbroad, wurde eine siebenwöchige Reise durch 14 Staaten der USA gestartet. 6000 Meilen wurden zurückgelegt und 16 Orte bespielt – darunter vergessene Dörfer wie Gadsden, Alabama, Glamourstädte wie Las Vegas oder Meltingpots wie El Paso an der mexikanischen Grenze – bis schließlich Los Angeles am Pazifischen Ozean erreicht wurde.

Theater
Euripides, Roland Schimmelpfennig

Prolog/Dionysos

1 D, 6 H, Chor der Mänaden

Prolog
Die Geschichte der Stadt Theben beginnt mit einem zweifachen Mord. Nachdem Kadmos vergeblich seine von Zeus entführte Schwester Europa auf dem Kontinent gesucht hat, wendet er sich an das Orakel von Delphi. „Vergiss die Schwester“, lautet die Antwort, „treibe eine Kuh vor dir her und dort, wo sie sich niederlässt, gründe eine Stadt.“ Kadmos hetzt die Kuh so lange vor sich her, bis sie tot zusammenbricht in der Nähe einer Quelle, die wiederum von einem Drachen bewacht wird. Den erschlägt Kadmos, bricht ihm die Zähne aus und sät sie in die Erde. Sofort wachsen aus den Zähnen bewaffnete Drachenmänner, Krieger, die sich gegenseitig niedermetzeln – nur fünf überleben das Massaker. Mit ihnen gründet Kadmos die Stadt Kadmeia, später das siebentorige Theben genannt. Von Anfang an ist die Gewalt der Zivilisationsgeschichte eingeschrieben. Schon die ersten zivilisatorischen Maßnahmen zur Gründung dieser Urstadt der westlichen Welt zeigen sich als Tötungsdelikte. Die Vernichtung des Tieres und des Tierwesens ist quasi die Voraussetzung, um überhaupt als Gesellschaft im urbanen Raum existieren zu können. Wie aber lassen sich die Gewaltakte stoppen, die die Grundfeste der Menschenstadt von Generation zu Generation aufs Neue erschüttern?

Dionysos
Die Geschichte von der Geburt des Dionysos aus dem Schenkel des Zeus klingt mehr als bizarr. Kein Wunder, dass sie niemand glauben will in Theben, nachdem Dionysos’ irdische Mutter Semele, eine Tochter des Kadmos, so schändlich verbrennen musste. Angeblich hat der Erzeuger Zeus den Fötus aus dem Feuer geholt und in seinem Bein ausgetragen. Inzwischen ist Theben zu einer reichen Stadt angewachsen, und Kadmos hat den Thron an seinen Enkel Pentheus abgetreten. Da taucht Dionysos auf und behauptet, ihm stünde religiöser Kultstatus zu. Doch der auf Maß und Regeln getrimmte Pentheus verweigert ihm den Glauben. Dionysos stürzt daraufhin das Ordnungssystem des Patriarchen in eine tiefe politische und moralische Krise. Er schickt die Frauen auf einen Trip und verbreitet unter ihnen Wahnsinn und Raserei. Der Rausch endet grausam und blutig. Dionysos triumphiert über die Ungläubigen der Stadt. Er scheint eine kollektive Lust am gewaltsamen Untergang freigelegt zu haben, die dem Konstrukt „Stadt“ in seinen verdrängten Positionen innewohnt.

Mit den Bakchen hat Euripides seine letzte und radikalste Tragödie geschrieben. Die Übertragung und Bearbeitung der Bakchen unter dem neuen Titel Dionysos verschärft die Konflikte zwischen Untergangsphantasien und Vernunftdenken, Ordnungswahn und Lust am Chaos zu heutigen Fragestellungen einer Stadtgesellschaft. Wieviel Spannungszustände sind wir noch bereit auszuhalten? (Ankündigung Schauspielhaus Hamburg)

Theater
Roland Schimmelpfennig

Fisch um Fisch

1 D, 3 H

In dem ersten Theatertext von Roland Schimmelpfennig wird hart gekämpft um geheimnisvolle Objekte, um den Fisch, um die Existenz. Ohne Umwege beginnt die Handlung: "Gib mir die Schuhe" fordert der junge Mann vom alten und bricht ein in seine Hütte, unversehens. Fische will er fangen, mitten im Winter, die blauen Heringe unter dem Eis. Dazu braucht er Dinge, die das junge Mädchen auf seinen unsichtbaren Wegen findet. Sie sind greifbar, sichtbar, nützlich und festumrissen. Dennoch verwandeln sie sich unter dem Blick der Menschen wie im Märchen. Aus einem Löffel wird ein Ruder, ein Schlüssel aus Gold und Silber. Das junge Mädchen klettert aus dem Küchenfenster hinaus, springt auf steilen Wegen über hohe Felsen. Der junge Mann kommt und verschwindet durch Wände oder unsichtbare Türen. Der alte Mann sitzt in der Hütte und sieht nichts. Ein Fremder erscheint in der Ödnis und begegnet dem jungen Mädchen. Mit ihm möchte es tanzen, aber er geht fort. "Das kann doch nicht sein, daß jemand einfach verschwindet." Der Fremde ist der "Mann draußen". Er kommt und geht. "Der Mann draußen" bleibt draußen. "Es ist niemand draußen," sagte der alte Mann und teilt den wundersam sprechenden Fisch für die drei.
Roland Schimmelpfennig erzählt eine Geschichte voller Rätsel, legt Spuren, die zu keinem Ziel führen und denen man dennoch mit Spannung folgt, erfindet Figuren, die real erscheinen und sich geheimnisvoll jedem Zugriff entziehen. Eine Sprache ohne Schnörkel, verständlich und sinnvoll, dennoch hermetisch verschlossen gegenüber jedem offenbaren Sinn.
Fisch um Fisch (1997 ausgezeichnet mit dem Else-Lasker-Schüler-Förderpreis) ist spannend wie ein Krimi, fern wie ein Mythos, verschlüsselt wie ein Zauberspruch und unschuldig wie eine Kindergeschichte.

Theater
Audio
Roland Schimmelpfennig

Der goldene Drache

2 D, 3 H

Im Mittelpunkt steht das China-Vietnam-Thai-Schnellrestaurant „Der goldene Drache“. Hier wird in der winzigen Küche zwischen zischenden Gaskochern einem jungen Chinesen ohne Aufenthaltsgenehmigung ein furchtbar schmerzender Schneidezahn mit einer Rohrzange gezogen. Und dieser Zahn gelangt auf dem Weg der Thai-Suppe, in der er aus Versehen landete, in den Mund einer Stewardess, Stammkundin im Schnellrestaurant, welches die Anwohner der Umgebung mit seinen asiatischen Schnellgerichten auch als Take-Away zu versorgen weiß.
Und dann erzählt jemand von der hungrigen Grille, die im Winter zum Opfer der geschäftstüchtigen Ameise wird. Die den ganzen dunklen Winter von den anderen Ameisen missbraucht wird, ohne zu merken, dass längst Frühling ist. Und schmerzhaft vertraut erscheint das Schicksal der kleinen Asiatin, die beim Verlassen ihres dunklen Zimmerchens dem betrunkenen Kumpel des Lebensmittelhändlers in die Arme läuft. Der doch nur mal ein bisschen von ihrer Fremdheit kosten wollte. Leider etwas unachtsam. So was Zartes geht halt schnell kaputt. Und als der junge Chinese nach der Rohrzangenoperation verblutet, wickelt man ihn in einen großen Drachenteppich und wirft ihn in den Fluss. Von dort schwimmt er endlich wieder nach Hause, nach China, leider tot und leider ohne die Schwester, die zu finden das erklärte Ziel seiner Reise war.

Roland Schimmelpfennig betrachtet die Verhältnisse im und um den Goldenen Drachen aus den verschiedensten Perspektiven. Jedes Verhaltensmuster bekommt durch einen Kunstgriff andere Färbungen, denn die Männer sollen hier von den Frauen, die Frauen von den Männern, die Jungen von den Alten und die Alten von den Jungen gespielt werden. Das Ergebnis ist poetisch, brutal, rätselhaft und berührend.

Theater
Roland Schimmelpfennig

Das fliegende Kind

3 D, 3 H

Richtig dunkel muss es sein, wenn die Kinder und die Eltern mit den Laternen durch die Nacht. Und wie jedes Jahr laufen viele doppelte Kinder und viele halbe Elternpaare. Schleppen die Kleinen, schieben die Großen, folgen dem Licht. Und wie jedes Jahr verplaudern sich die Halben mit den Halben. Da fällt es leider gar nicht auf, wenn der Kleine noch mal schnell zurück, weil er sein Auto irgendwo verloren. Raus aus dem Licht ins Dunkel. Über die Straße. Gefährlich. Zumal der Vater doch nach dem Gottesdienst viel zu spät zum Auto. Viel zu spät, um pünktlich zum Nächsten. Viel zu spät, um sich in Ruhe zu gewöhnen. Es ist doch neu, das schwarze große Auto. Viel zu spät und das Auto noch bockig und die Musik zu laut und die Nerven gereizt und die Gedanken weit weg. Und das schwarze Ungetüm spürt nur einen leichten Widerstand. Unter den Rädern. Auf der Straße. Kaum wahrnehmbar. War da was? Ein fliegendes Kind?

Roland Schimmelpfennig treibt den tragischen Tod des Kindes wie einen Stachel in unser Fleisch. Schon von Beginn an lässt er keinen Zweifel am schlimmen Ausgang des Lichterumzugs. Drei Frauen sprechen düstere Prophezeiungen aus. Die Kanalarbeiter unter der Straße sind beunruhigt. Wie Störfeuer flackern die moralischen Verfehlungen der Eltern durch das Todeslied. Denn als ob nicht der Verlust des Kindes schlimm genug wäre, so hielt ein befreundeter Vater während des Umzugs die Aufmerksamkeit der Mutter und ihre Hand zärtlich verstohlen gefangen. Und als ob nicht die Schuld am Tod des Kindes schlimm genug wäre, so lenkte den Vater nicht nur das unbekannte Auto, sondern auch die eilige Vorfreude auf das verheißungsvolle Zusammentreffen mit einer schönen Unbekannten. So fliegt die Schuld mit dem toten Kind umher. Und setzt sich auf die Schultern derer, die verloren. Ohne Wenn und Aber. Denn Wenn und Aber existieren nicht mehr.

Theater
Roland Schimmelpfennig

Iokaste

1 D, 4 H, Chor: Bürgerinnen und Bprger der Stadt, Boten, Kundschafter, Berichterstatter, Ödipus, Kreon, Antigone, Ismene, Ein Sch

Von den Grenzen der Diplomatie handelt der Konflikt zwischen den Brüdern Eteokles und Polyneikes. Nach der Selbstblendung ihres Vaters Ödipus werden sie mit der Macht beauftragt. Polyneikes beschuldigt seinen Bruder, sich nicht an die Verabredung des jährlichen Regierungswechsels gehalten zu haben und droht, die Stadt Theben mithilfe von Verbündeten in einem Angriffskrieg einzunehmen. Die Mutter Iokaste zwingt die beiden an den Verhandlungstisch: Rede vor Rache. Sie appelliert an die menschliche Autonomie und die Freiheit der Wahl. Was aber, wenn subjektives Gerechtigkeitsempfinden und Recht nicht deckungsgleich sind wie im Falle von Polyneikes, der sich um den Thron geprellt sieht? Diplomatie erfordert die Fähigkeit zum Verzicht. Doch klebt das „Nicht Weichen Wollen“ geradezu symptomatisch an der Familie des Ödipus. Weder er noch sein Vater Laios haben sich den Vortritt gelassen, als sie einander an der Wegkreuzung gegenüberstanden. Eteokles rückt vom Machtanspruch ebenso wenig ab wie Polyneikes. Und die kleine Antigone wird später selbst unter Todesandrohung auf einem ordentlichen Premieren Begräbnis ihres Bruders bestehen.

Inspiriert ist Iokaste von der Mythenbearbeitung des Euripides unter dem Titel Die Phoenissen und der ungefähr 60 Jahre älteren Tragödie Sieben gegen Theben von Aischylos. Der Text Iokaste dreht die Schraube weiter ins Hier und Jetzt. Moderne Krisenherde lassen sich nicht durch militärische Interventionen löschen. Seit dem Ausbruch des Russland-Ukraine-Krieges im Februar 2022 ist dieser Stoff des mörderischen Bruderkonfliktes und des Scheiterns der Diplomatie von erschreckender Aktualität.
(Ankündigung Schauspielhaus Hamburg)

Theater
Roland Schimmelpfennig

Auf der Greifswalder Straße

15 D, 19 H, (Doppelbesetzungen möglich), St

Der Mann ohne Hund, ein Rocker, Kassiererinnen, Bauarbeiter, drei Rumänen, die Frau mit dem Fotoladen, ein Kneipenwirt, Straßenbahnpassagiere ...
Sie begegnen sich zufällig, gehen aneinander vorbei oder berühren sich flüchtig, sind miteinander verwoben, meist ohne, dass sie es wissen: Menschen in einer Großstadt. Sie sind in ihrem eigenen Dasein eingekapselt, sprechen für und von sich und manchmal nur miteinander. In schlaglichtartigen Szenen entsteht aus der Mixtur von Menschen ein ganzes Panorama.
Auf der Greifswalder Straße laufen ihre Fäden zusammen, Fäden, die zum Zerreißen gespannt sind. Gleich am Anfang die Prophezeiung: "Ich bin hier um dich zu warnen, Rudolf. Nimm dich in acht vor dem langen Mädchen. Nimm dich in acht vor der Giraffe." 24 Stunden bleiben ihm. Und Rudolf rennt durch die Straße und Kneipen auf der Suche nach einer Antwort: Was soll er mit der Zeit tun, die er noch hat?
24 Stunden. Die Sonne scheint am Himmel still zu stehen, für alle. Der Motor läuft, gerät ins Stottern und setzt mitunter aus. Die Alltäglichkeit hat einen Riss.

"Es kommt mir vor, als ob die ganze Stadt auf etwas wartet.
Es kommt mir vor, als ob ich selber warte."

Wie Robert Altmann in Short Cuts bündelt Schimmelpfennig in der Konzentration auf einen Ort ein Stück Gegenwart. Eine Gegenwart mit doppeltem Boden allerdings, die in ihren zufälligen Momenten ein Geheimnis birgt, etwas Undurchschaubares, das die Menschen aus dem Konzept bringt.

Theater
Roland Schimmelpfennig, Justine del Corte

Canto minor

1 D, 1 H, oder auch mehr

Auf der Isla Negra in Chile steht das kleine Haus, in dem Pablo Neruda lebte. Heute ist es ein Ort des Andenkens. Und in diesem Museumshaus wachen zwei Menschen, Arturo und Malva. Sie sitzen, sie stehen, sie geben Acht, sie erklären, sie träumen. Tagein, tagaus. Es kommen die merkwürdigsten Besucher, es geschehen die seltsamsten Dinge. Durchflochten wird die Mystik derer, die sich in Betten von großen Künstlern lieben, die Seifen aus erotischen Bädern klauen, die umgeben sind von Zikadenhaus und Narwallhorn, mit Briefen von Nerudas Mutter an ihren geliebten Sohn. Voll Sorgfalt und Liebe begleitet die früh Verstorbene den Lebensweg ihres Pablo und spricht ihm in einer poetisch berührenden Sprache Mut zu. Die Geliebte bedauert, dass sie Neruda nicht getötet und somit für immer zu dem ihren gemacht hat. Und als dann Malva auf der gestohlenen Seife ausrutscht, das Zikadenhaus zu Fall kommt, Arturo Malvas lange Beine streichelt und erkennt, dass der größte aller Käfer entflohen ist, erfüllen sich ihre Sehnsüchte im Traum. Arturo geht mit dem Boss auf Welttournee und nimmt all die Menschen mit, die jemals in seinem Bus gefahren sind. Malva aber wohnt nun in Nerudas Haus, bis eines Tages die Tränen der kleinen Holzfigur das Häuschen überschwemmen und es wie von Zauberhand kreiselnd in der Ferne des Meeres verschwindet.

Roland Schimmelpfennig schrieb gemeinsam mit Justine del Corte im Auftrag des Nationaltheaters Santiago de Chile Canto minor, ein Stück über den chilenischen Literatur-Nobelpreisträger Pablo Neruda zu dessen 100. Geburtstag.

Theater
Roland Schimmelpfennig

Besuch bei dem Vater

6 D, 2 H, 1 Dek

„Ein Landhaus im tiefen Winter. Eine junge Frau meint, in dem Logo ihres Mobiltelephons den Wachturm eines Konzentrationslagers zu erkennen. Ein junger Mann steht vor der Haustür und möchte seinen Vater Heinrich aufsuchen – den er in seinem Leben noch nie gesehen hat. Heinrich, ein alternder Intellektueller, der seit Jahren Paradise lost neu übersetzt, verliebt sich in seine junge Nichte,
Sonja, mit der er soeben eine Ente geschossen hat – aber niemand weiß, wie man mit dem Tier umgehen muß. Muß man es erst ausnehmen oder erst rupfen? Edith, Heinrichs Frau, verliebt sich in den gerade angekommenen Sohn ihres Ehemanns, aber der schläft noch am Tag seiner Ankunft mit Sonja – und mit Marietta, die ebenfalls zu Besuch gekommen ist.
Isabel, die junge Frau mit dem Telephon, hat ein Engagement am Theater bekommen, aber sie bekommt dort nichts zu spielen. Die Professorin, eine alte Weggefährtin Heinrichs noch aus Studientagen, bringt ihm ein altes Photo mit, auf dem er sich für jemand anderen hält. Und Nadja, ihre Tochter, Studentin, verwüstet die russische Privatbibliothek, die dem Hausherren nichts bedeutet.
Am Ende: Gewalt. Nachts im Schlafzimmer, Vater und Sohn, die drohen, sich gegenseitig zu erschießen.“ (Roland Schimmelpfennig)

Ganz still und ruhig nimmt diese Familienzusammenführung ihren Lauf. Kleine Irritationen werden von einer scheinbaren Alltäglichkeit ebenso verdeckt wie das Grün des Gartens vom Schnee. Und so treiben der Tag und die Nacht trügerisch träge vor sich hin, während die von Gelüsten Getriebenen sich immer mehr verstricken. Roland Schimmelpfennig erzählt von diesen Menschen komisch und tragisch zugleich.

Besuch bei dem Vater ist der erste Teil der Trilogie der Tiere, die um Peter, den jungen Mann und Verführer, kreist.

Theater
Roland Schimmelpfennig

Idomeneus

Eine Gruppe von etwa zehn bis vierzehn Männern und Frauen. Es können auch mehr sein.

Idomeneus kehrt mit seiner Flotte erfolgreich aus dem trojanischen Krieg zurück. Doch kurz vor Kreta versinken neunundsiebzig seiner achtzig Schiffe. Verzweifelt beschwört Idomeneus das Meer. Für sein Überleben verspricht er, das erste Lebewesen zu opfern, welches in Kreta seinen Weg kreuzt. Noch ahnt er nicht, dass es sich dabei um seinen Sohn Idamantes handeln wird. In Mozarts Oper Idomeneo ist es Idamantes möglich, um sein Leben zu kämpfen und damit das Orakel zu besänftigen. Auf Grundlage des gleichen Opferversprechens spielt Roland Schimmelpfennig nun die Varianten der Idomeneusüberlieferungen durch, die vom blutigen Drama bis zum scheinbar friedlichen Ende reichen. In chorisch wechselnden Zusammensetzungen berichten Männer und Frauen von der königlichen Heimkehr, von der Illusion des gekauften Glücks und der Unausweichlichkeit des Tragischen. Mit ausgewählter Schlichtheit und präziser Schönheit erzählt sich so ein Mythos der Möglichkeiten. Eine Reflektion über die rettende Versuchung des Augenblicks, die den Blick für das Folgende zu trüben vermag. Und es bleibt ein Hoffen auf die Wendung zum Guten, auf den verzeihenden Gott aus Mozarts Oper. Zart und gleichzeitig dem unerbittlichen Gesetz der Götter folgend, nimmt Roland Schimmelpfennig sich dieses Königs an und entscheidet nach einigem Für und Wider, ihm seinen letzten Willen zu lassen. Wenngleich auch nur noch im übertragenen Sinne.

Theater
Sophokles, Roland Schimmelpfennig

Ödipus

1 D, 7 H, Chorführer und Chor; Mehrere Kinder, Zwei Mädchen

Das bekannteste Rätsel aller Zeiten wird von Ödipus gelöst. Auf die Frage der Sphinx, welches Wesen nur eine Stimme hat und manchmal zwei Beine, bisweilen drei, manchmal vier und umso schwächer ist, je mehr Beine es hat, antwortet Ödipus: „der Mensch“. Das Zeitalter des Anthropozän hat auf mythischer Ebene angefangen. Die Sphinx ist tot. Doch jetzt, da die Rätsel gelöst sind, beginnen die Probleme. Ödipus, dem gerade prophezeit worden ist, dass er seinen Vater töten und seine Mutter heiraten würde, erhält zum Dank für seinen Triumph die Herrschaft in Theben. Eine beispiellose Entscheidung der Stadt, einem Fremden die Macht zu überlassen. Zunächst scheint seine „vernünftige“ Regentschaft dem Bürgerbegehren recht zu geben. Unter seiner Regierung prosperiert die Stadt. Doch unwissend schlittert er immer tiefer in sein Schicksal hinein. Mit seiner Mutter Iokaste zeugt er vier Kinder: die Söhne Eteokles und Polyneikes und die Töchter Antigone und Ismene. Dann bricht eine Pestepidemie in Theben aus. Das ist die Stunde der Rückkehr der Religion. Apollon, die Priesterin und der Seher Teiresias holen zum Gegen schlag aus. Der Aufklärer Ödipus führt den ersten Indizienprozess der Weltliteratur gegen sich selbst. Doch wehrt er sich in einem letzten Akt der Selbstermächtigung gegen das Vermächtnis einer absoluten Wahrheit. Vergeblich?

Mit Ödipus hat Sophokles ein Meisterwerk der Literaturgeschichte geschrieben. Bis heute inspiriert die Tragödie zu zahlreichen Neudeutungen des Macht- und Wahrheitskomplexes, dem eine Gesellschaft unterliegt.
(Ankündigung Schauspielhaus Hamburg)

Theater
Roland Schimmelpfennig

Der elfte Gesang

Ein Mann betritt ein Zimmer, einen Saal, eine Halle, einen Hangar. Oder so etwas wie ein unterirdisches Feld, einen Acker unter Tag. Der Mann ist hier, um einen Toten nach der Zukunft zu befragen: Teiresias. Wer will das nicht: in die Zukunft sehen können. Und wer würde nicht gerne einmal, nur ein einziges Mal mit den Toten sprechen können: Erzähl mir, wie es war, wie war es wirklich, damals. Eine Begegnung mit Menschen, deren Zeit vorbei ist.
Aber wer sagt, ob hier nicht alles vollkommen durcheinander gerät: Vielleicht ist der Blick eines Toten in die Zukunft nichts als die verzweifelte Rekonstruktion einer verlorenen Vergangenheit. Um ihren Tod zu begreifen, feiern die Toten das Leben. Jeder wiedergefundene Moment ist kostbar. Schön war die Zeit, sagt einer. Wann waren wir wirklich lebendig, wirklich wirklich lebendig.
Als ich mit dir die Straße lang gelaufen bin, Hand in Hand, hoffnungslos verliebt.
Lass uns tanzen.
Die Schatten der Unterwelt durchleben immer wieder die wichtigsten Momente ihres Lebens – aber welche Momente sind wichtig, welche unwichtig. Wer soll das am Ende eines Lebens entscheiden? Odysseus braucht den toten Seher Teiresias, um in die Zukunft zu blicken, aber die Toten brauchen Odysseus, um ihre Vergangenheit zu deuten. Sie versuchen verzweifelt, ihrer Vergangenheit einen Sinn zu geben.
Odysseus selbst kann keine Antworten geben, denn ihm selbst geht, zurückblickend auf die verlorene Zeit im Krieg und ausblickend auf die vor ihm liegenden Gefahren, der Sinn verloren. Er schnappt nach Luft. Wohin von hier noch aufbrechen? Aber es sammelten sich unzählige Scharen von Geistern mit grauenvollem Geschrei, und bleiches Entsetzen ergriff mich. (Roland Schimmelpfennig)

Junges Theater
Roland Schimmelpfennig

Der Zinnsoldat und die Papiertänzerin

1 D, 1 H, 1 Darsteller:innen

Halb verbrannt sind sie. Verdreckt und erschöpft. Der einbeinige Soldat und die Tänzerin. Aber sie leben noch! Und das ist wirklich ein Wunder. Nach all den Gefahren. Dabei fing alles so schön an. Damals. Als sie sich im Kinderzimmer des Jungen begegneten. Auf einem Fensterbrett. Und sich verliebten. Doch dann wirbelte ein Windstoß die papierne Tänzerin in den Himmel und stürzte den Zinnsoldat in die Tiefe. Und sie konnten nichts dagegen tun, weil sie ja nur Spielzeuge waren. Hilflos. Auf zwei Reisen ins Ungewisse. Hoffnungslos ausgeliefert - einer gemeinen, ichbezogenen Welt. Bis sie sich inmitten all der feindseligen Begegnungen auf einmal wieder gegenüber standen.
Nicht nur der Zinnsoldat, sondern auch die Papiertänzerin hat von Roland Schimmelpfennig eine eigene, gleichberechtigte Stimme bekommen. In Zeiten des zunehmenden Hasses und der Abgrenzung Andersgesinnter fordert dieser poetische Reisebericht zweier Spielzeuge berührend eindrücklich dazu auf, einander offen, hoffnungsvoll und hilfsbereit zu begegnen. Weil alles andere sich am Ende nicht auszahlen wird.

Für sein erstes Kindertheaterstück DIE BIENE IM KOPF wurde Roland Schimmelpfennig für den KinderStückePreis der Mülheimer Theatertage und dem Deutschen Kindertheaterpreis nominiert. Mit seiner Andersen-Überschreibung eröffnet er in poetischer und erzählender Sprache einen magischen Bilderreigen, der nur darauf wartet, Zuschauer*innen jeden Alters zu verzaubern.

Theater
Roland Schimmelpfennig

Siebzehn Skizzen aus der Dunkelheit

5 D, 5 H, Doppelbes. mögl. (mind. 1 D, 1 H)

Schnitzlers Reigen bildet die verlogene Sexualmoral eines ausgehenden Jahrhunderts ab, zeigt, was nicht gezeigt werden sollte. Um dann für lange Zeit nicht auf den Bühnen gezeigt werden zu dürfen. Aber das ist längst Vergangenheit, wir leben in einer liberalen und toleranten Gesellschaft. “Anything goes” hat den Menschen des 21. Jahrhunderts aus allen Zwängen befreit.
Oder etwa nicht? Werden wir noch immer angetrieben von einer Macht, die kein äußeres, dafür ein inneres Diktat ist? Was führt uns zusammen, treibt zwei Menschen für einen kurzen Augenblick, eine Szene lang, in die Arme des anderen? Um dort was zu finden? Trost, Zuversicht, Macht, Freiheit? Ist da am Ende gar Liebe, wenn Liebe gemacht wird? In Roland Schimmelpfennigs Bearbeitung des Reigen verstricken sich die Figuren ineinander und geben sich die Hand, und sie alle kommen uns gefährlich vertraut vor. Mal spenden sie Trost, sie geben sich hin, sind Zyniker, machtgeil und verletzlich. Opfer und Täter - und manchmal beides zugleich. Es ist ein ewiger Tanz. Nur die Musik ist eine andere.

"Es ist auffällig, wie häufig Schimmelpfennig Kriegsmetaphern zitiert, wie er verstörende Bilder zeichnet, in denen er die sexuelle Konnotation von Gewalt und Zerstörung offenlegt und dabei mit der verführerischen Faszination von Grenzüberschreitungen spielt. (...) Schimmelpfennig entlarvt männliche Sexualfantasien und erzählt von der Angst der Männer vor dem Kontrollverlust. Er beschreibt eindeutige Situationen von Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt gegen Frauen. Aber er zeigt auch die ethischen Graubereiche und ihre emotionalen Ambivalenzen." (Ingoh Brux über SIEBZEHN SZENEN AUS DER DUNKELHEIT im Theater heute Jahrbuch 2020)

Theater
Roland Schimmelpfennig

Push Up 1-3

3 D, 3 H

"EDGAR: Ich werde immer dünner. Ich nehme ständig ab. Ich bin jetzt Anfang 60. Noch vor ein paar Jahren war ich richtig dick. Viel zu fett auf den Hüften. Hab keinen Sport gemacht - ich habe mein Gewicht nie in den Griff gekriegt. Ich habe einfach zu viel gefressen - immer, morgens früh, dann noch mal Frühstücken in der Kantine. Zwei warme Mahlzeiten am Tag, mittags und abends. Und dazwischen bei der Arbeit: Schokolade. Nüsse. Chips. Abends Bier und Wein, später Schnaps.
Alle zehn Jahre war ich zehn Kilo schwerer. Mit 30 habe ich noch 70 Kilo gewogen, mit 60 waren es 100. Der Hometrainer steht im Wohnzimmer, ungefähr da, wo früher der Dreisitzer stand. Wenn ich trainiere, blicke ich entweder durch die großen Fenster in den Garten oder auf den Fernseher. Um den Garten hat sich früher meine Frau gekümmert, jetzt verkommt er langsam. Wächst langsam zu. Stört die Nachbarn - na und wenn schon. Ich komme nach Hause und ziehe mich um. Und dann fange ich an zu trainieren. Inzwischen dauert mein tägliches Training unter der Woche zwischen vier und fünf Stunden. ... Neben dem Hometrainer liegt eine Straßenkarte mit Entfernungsangaben. ... Ich bin auf dem Trainer schon ganze Etappen mitgefahren - ... Der Arzt ist zufrieden mit mir. Ich bin jetzt Anfang 60 - kann gut sein, daß ich noch 20 oder 30 Jahre vor mir habe. Zwanzig oder dreißig Jahre: eine Menge Zeit. Jede Menge Zeit.
Fragt sich nur, was da noch kommt.
Wofür ich trainiere. Wofür ich das eigentlich mache."

Sie sind auf dem Sprung in die Chefetagen, in die Vorstandssitzungen, in die Auslandsvertretungen, oder sie stehen kurz vor dem beruflichen Aus: Sie werden gefeuert, kaltgestellt oder in den Vorruhestand geschickt. Die Frauen und Männer in Push-Up 1-3 arbeiten in den Büroetagen eines großen Konzerns.

Push-Up 1-3 wurde im Jahr 2002 als bestes Stück mit dem Wiener Nestroypreis ausgezeichnet.

Theater
Roland Schimmelpfennig

Ambrosia

3 D, 7 H

Eine Kneipe kurz vor der Sperrstunde. Zehn Menschen, die sitzen, trinken und reden. Es ist keine Vereinssitzung, keine Geburtstagsfeier und kein Firmenjubiläum. Trotzdem bleiben sie bis in den Morgen, auch wenn sie einander eigentlich nicht leiden können. Sie sind nicht die Ausgegrenzten, nicht die ökonomisch Gescheiterten. Sie sind verheiratet, haben Arbeit, eine Alterversorgung und einige von ihnen sogar Kinder. Sie trinken - nicht um zu vergessen, sondern weil sie es sich leisten können. Sie sind die Stützen der Gesellschaft, die Wirtschaftswundergeneration oder zumindest deren geistige Erben, die die Republik kennen und sich sicher darin bewegen, auch wenn sonst alles still steht.
"Was gilt es zu beklagen im Aufschwung", sagt einer von ihnen und will damit eigentlich sagen: "Es geht uns gar nicht so schlecht". Dass sich das rächen könnte, ahnt diffus ein anderer, aber der Gedanke ist so schnell hinuntergespült, wie er in den Kopf kam. So sitzen sie also, einem Rat der Götter gleich, und machen die Kneipe zum Olymp, bis sie fliegen können wie Ikarus.
Wer redet, hat Recht, als reden sie, komisch und vulgär, sie schreien, rülpsen, kreischen, und manchmal singen sie herzzerreißend. Ganz am Ende, wenn auch das letzte Glas geleert ist, blitzt sogar so etwas wie Liebe auf. Doch zu spät: Längst sind auch Amor und Eros im Alkohol ertrunken. Denn, so weiß die Kellnerin, die engelsgleich und sehend die Trinkenden doch nicht zu retten vermag: "Das ist ja das Schlimme an dem Gewerbe der Gastronomie: dass wir davon leben müssen, die zu vergiften, die uns so am Herzen liegen!" (Ankündigung Schauspiel Essen)

Theater
Roland Schimmelpfennig

Calypso

3 D, 4 H

Ein Sommerabend. In einem Haus an einem See. Der Salon. Auf der Bühne eine Gruppe von Menschen in tropfnassen Sommerkleidern und Schuhen. MARION, eine wohlhabende Frau Ende fünfzig, ihr etwas jüngerer Lebensgefährte GUNTER, Marions Sohn CHRISTIAN aus erster Ehe, Anfang bis Mitte zwanzig, sowie ihre Gäste, das Ärztepaar ERICH und SUSANNE, beide um die Fünfzig oder etwas jünger, und ihre Tochter, TANJA, vom Alter ähnlich wie CHRISTIAN.

MARION Naß – vollkommen naß. Was für eine Scheiße.

Kurze Pause.
Was für eine Scheiße!
GUNTER Ich kann nichts –
MARION Doch, doch! Ausziehen, wir müssen das ausziehen!
Widerlich!

Von Anfang an spielten bei den Überlegungen zu dem Stück Themen wie Schuld, Versäumnisse, das Bedauern wie das Nichtzugebenkönnen eine Rolle. Große, ebenso tragische wie komische Themen für die große Bühne. Das Stück, soweit ich es zu diesem frühen Zeitpunkt bereits zu sagen wagen kann, ist die Skizze bürgerlichen Lebens und bürgerlicher Entgleisungen. Heute. Ein Haus am See. Ein Sommerabend. ... Ein nächtlicher Bootsausflug war geplant, aber mit dem Boot ist was nicht in Ordnung, es wird später sinken oder zumindest voll Wasser laufen. Kann sein, daß das der Anfang des Stücks wird: Alle sind klatschnaß ...
Kein Jammern, kein Klagen, wenig Rückschau, kein Ibsen. Keine Wohnzimmerschlacht. Eher ein schnelles, komplexes, manchmal ,gut gebautes’, manchmal auf das absolut wesentliche konzentriertes, fragmentarisiertes Stück, das dennoch von den Figuren und deren Situationen lebt. Eine nervöse Grundatmosphäre. Hohes Tempo. Massive Beschädigungen. Möglicher Arbeitstitel: Das Leck. (Roland Schimmelpfennig, 8. Dezember 2006)

Theater
Roland Schimmelpfennig, Euripides

Bacchen

1 D, 6 H, Chor

Die Bacchen des Euripides, 406 vor Christus im Exil verfasst, zählt zu den grössten und zugleich auch rätselhaftesten antiken Tragödien. Dionysos, Gott des Rausches, der Ekstase und der Fruchtbarkeit, sucht die griechische Stadt Theben heim. Doch Pentheus, König von Theben, weigert sich, Dionysos als Sohn des Zeus und somit als Gott anzuerkennen. In einem schier aussichtslosen Kampf lehnt sich Pentheus gegen den Kult um Dionysos auf und wird dafür auf das Entsetzlichste bestraft, denn Götter sind nicht gnädig. Zwei unversöhnliche Prinzipien stossen aufeinander: rationales, kühles, in Frage stellendes Denken und kalkulierende Staatsraison einerseits, und die Forderung nach bedingungslosem Glauben andererseits. Zwei Extrempositionen ringen um gesellschaftliche Vormachtstellung. Schliesslich lässt Dionysos, der keine Widerrede duldet, seine Anhängerinnen, die Bacchen, am König Rache nehmen. Denn die Allmacht der Götter darf nicht angezweifelt werden. An den Konsequenzen leidet der Mensch–Opfer, jedoch auch Täter, wenn deren Rausch verflogen ist. Die antizivilisatorische Barbarei der Bacchen scheint heute aktueller denn je, denn ungewiss bleibt, ob das traurig an die Prinzipien der Aufklärung gemahnende Europa den ideologischen Kampf gegen die selbsternannten Rächer Gottes gewinnen wird.

Mit Roland Schimmelpfennig hat sich einer der relevantesten Gegenwartsdramatiker jener so grausamen Tragödie angenommen und eine präzise, schnörkellose und umso mitleidlosere Neuübersetzung verfasst, die von Robert Borgmann, der 2015 bereits das zweite Mal in Folge zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde, uraufgeführt wird. (Ankündigung Theater Basel)

Junges Theater
Roland Schimmelpfennig

Das Märchen von der kleinen Meerjungfrau

1 D, 2 H

Drei Freund:innen stehen an einer vom Rest der Welt vergessenen Küste. Es ist heiß und staubig. Die Sonne schreit fast da oben am Himmel. Die drei träumen sich aus ihrem tristen Alltag heraus. Wer weiß schon, was sich alles unter den sich wogenden Wellen verbirgt? Ruinen untergegangener Zivilisationen, mythische Meereswesen, die vom Land träumen, und unzählige Namenlose.

Schnell beschließen sie, von ihrem sonnenverbrannten Dorf abzuhauen. Das weite Meer lockt, und der Horizont verspricht Freiheit und Abenteuer. Sie stellen sich vor, irgendwo weit da draußen - tief unter dem Meer - sei eine leuchtende Stadt. Ein Ziel, das sie nur mithilfe der Meereshexe aus der alten Fabrik erreichen können. Mit ihr gehen sie einen schicksalhaften Pakt ein: Sie geben ihre Namen auf und stoßen mit ihrem kleinen Boot in unbekannte Gefilde vor. Auf ihrer Reise zur leuchtenden Stadt begegnen sie nicht nur Meeresprinzen und -prinzessinnen, sondern auch dem Meereskönig höchstselbst. Ein Königreich voller Wunder und Phantasie entfaltet sich vor ihren Augen.
Doch die Realität bricht erbarmungslos über die drei ein. Bald schon kämpfen sie gegen das eigene Auflösen an und drohen dabei, sich zu Schaum und Gischt aufzulösen.

Roland Schimmelpfennig hat ein zart-berührendes Kinderstück über das Thema Flucht geschrieben. Eine Erinnerung an die Stimmen, die tagtäglich im Ozean verstummen, und ein hoffnungsvolles Aufbäumen - eine Verbeugung vor dem Leben.

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Junges Theater
Roland Schimmelpfennig

Aschenputtel

2 D, 2 H

Eine junge Frau, die in der Küche arbeiten muss, ein Mann, der auch eine rundliche Maus ist, eine Frau, die sowohl eine Taube als auch eine böse Stiefmutter sein könnte, und ein Mann, der ein dünner Besen ist, vielleicht aber auch ein Prinz.
Über der leeren Bühne des Theaters brennt eine einzelne weiße Leuchtstoffröhre.
Zwei Frauen und zwei Männer in grau-blauer Arbeitskleidung lehnen im Halbdunkel an der hohen Rückwand des Bühnenhauses. Sie scheinen gerade Pause bei der Arbeit zu haben. Vielleicht stehen sie auch vor dem Liefereingang eines großen Supermarkts, heute bis dreiundzwanzig Uhr
geöffnet, vielleicht haben sie gerade Pause während der Nachtschicht in einer Fabrik. Vielleicht sind sie auch der nächtliche Reinigungstrupp in einer großen Firmenzentrale, wer weiß.
Jemand isst ein Sandwich.
Jemand tippt eine Nachricht in ein Telefon.
Jemand trinkt Wasser aus einer Plastikflasche.
Die vier reden leise miteinander, jemand erzählt vielleicht eine Geschichte vom letzten Wochenende, die man im Publikum aber nicht genau versteht, man hört nur, wie die vier dann etwas erschöpft lachen.
Schließlich sieht einer der vier auf die Uhr und deutet zum Publikum.
Eine der Frauen dehnt sich, einer der Männer schraubt den Deckel seiner Thermoskanne zu und stellt sie ab, löst sich von der Wand, blickt kurz noch einmal seine drei Kollegen an, und dann schlägt er eine ziemlich große Glocke.
Pause. Alle sind wie erstarrt.
Zweiter Glockenschlag.
Nichts geschieht.
Dritter Glockenschlag.
Die Scheinwerfer gehen an, das Spiel hat begonnen.
Aufregung, Panik.
Eine junge Frau stürzt entsetzt nach vorne an die Kante der Bühne....

DIE FRAU
Zwölf!
Zwölf Uhr!
Die Glocke schlägt zwölf Uhr!!
Und die Fee hatte doch gesagt, dass – dass –

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