Theater

Andres Veiel, Jutta Doberstein

Ökozid

Bisher galt der Klimawandel als eine Katastrophe in Zeitlupe. Ein Verbrechen an der Zukunft, das seine Beweise in der Gegenwart geschickt vertuscht. Der Ökonom Herbert Stein sagte 1986: „Wenn etwas nicht ewig so weitergehen kann, wird es irgendwann aufhören.“
Die entscheidende Frage lautet: Wann ist „irgendwann“?! - und was kommt danach? Heute, 2020, hat sich die Katastrophe in Zeitlupe zu einem Wettlauf gegen die Zeit verwandelt. Die Wissenschaft ist sich einig, dass die Klimageschichte der nächsten Jahrhunderte in den nächsten
10 - 15 Jahren geschrieben wird. Das ist der Zeitraum, der zum Handeln bleibt. Über 1000 Gerichtsverfahren werden gerade weltweit geführt, um Politiker, Verwaltungen und Industrie zum Handeln zu zwingen. Die meisten Klagen werden abgewiesen oder versanden. Was, wenn in einer nicht allzu fernen Zukunft ein Verfahren den Weg durch die Instanzen schafft? Wenn Richter über die Versäumnisse der Vergangenheit urteilen? Wenn sie beschließen, dass sich die Völkergemeinschaft von nun an dem Grundrecht der Natur auf Unversehrtheit unterordnen muss?
Während Holland überflutet, Deutschland austrocknet und Millionen von Menschen auf der Flucht sind, wird im Saal verhandelt, wer für die Krise verantwortlich ist und wer mit der Lösung beauftragt werden soll.
Ökozid ist Traktat, Drama und forensische Untersuchung - ein Gerichtsprotokoll aus der Zukunft.

4 D, 15 H, Doppelbes. möglich

UA: 30.09.2021 · Staatstheater Stuttgart · Regie: Burkhard C. Kosminski

Kritiken

nachtkritik

„Stark ist er, wo er auf den Punkt bringt, wie systematisch die politische Klasse ihre Aussagen durch ihre Taten unterminiert. Noch stärker ist er als philosophisches Gedankenexperiment, das beweist, dass nichts außer ein Paradigmenwechsel uns retten kann.“

taz

„Veiel inszeniert kein Tribunal „Gut gegen Böse“, sondern ein rhetorisches Ringen zwischen dem soliden, interessegeleiteten bundesdeutschen Pragmatismus und globaler Moral.“

nachtkritik

„Stark ist er, wo er auf den Punkt bringt, wie systematisch die politische Klasse ihre Aussagen durch ihre Taten unterminiert. Noch stärker ist er als philosophisches Gedankenexperiment, das beweist, dass nichts außer ein Paradigmenwechsel uns retten kann.“

taz

„Veiel inszeniert kein Tribunal „Gut gegen Böse“, sondern ein rhetorisches Ringen zwischen dem soliden, interessegeleiteten bundesdeutschen Pragmatismus und globaler Moral.“

Aufführungsarchiv

24
September 2021
Andres Veiel, Jutta Doberstein

Ökozid

Theater

UA

Regie Burkhard C. Kosminski

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Theater

Andres Veiel

Die letzte Probe

9 D, Verwandlungsdek

Wilma Abendstern ist in die Jahre gekommen: Die altgewordene Schauspielerin, die es in ihrer Jugend bis zu einer kleinen Bühne nach Wien brachte, ihre restlichen Jahre aber in Memmingen und ähnlichen Städten spielte, kommt in ein Altersheim.
Wilma, die sich nicht in die rigide Ordnung des Heimes einfügen will, soll die dortige Theatergruppe übernehmen und aus Anlass das Heimjubiläums ein Theaterstück herausbringen. Aber sie wählt das falsche Stück: Peter Weiss' Marat/Sade! Andres Veiels Theaterstück zeigt die täglichen Proben und die während dieser Zusammenkünfte aufbrechenden Träume und Hoffnungen der alten Damen, die sich mit ihrem Schicksal im Heim resigniert abgefunden hatten und auf Neues nicht mehr neugierig zu sein schienen. Doch wie vital sie in Wirklichkeit sind, zeigt die Beharrlichkeit, mit der sie die Proben gegen alle damit verbundenen Widrigkeiten verteidigen und durchstehen.
Die Premiere endet mit einem Eklat, der Stiftungsrat des Heimes ist empört, empfindet den Marat/Sade als Aufruf zur Gewalt. Wilma allerdings hatte mit der Aufführung ein anderes Ziel im Auge; sie wollte noch einmal ihren langjährigen Freund und Bühnenpartner von Böck für sich gewinnen, der seinerseits verheiratet, ihr lange Hoffnungen auf eine Bindung machte: Wenn Böck nur zur Premiere kommen würde! Aber Böck erscheint nicht. Wilma bleibt allein. Andres Veiel hat mit atmosphärischen Details den Alltag eines Altersheimes sorgfältig aufgemalt. Sein Stück beeindruckt durch die Genauigkeit der Sprache, die plastische Figurenzeichnung, durch seinen Verzicht auf spektakuläre Wirkungen und durch die Geduld des Autors, sich auf die Widersprüche seiner Figuren einzulassen.

Theater

Andres Veiel

Hier drin kannst du alles haben

1 D, 9 H, Verwandlungsdek

Hauptfigur des Stückes ist Sven Koratsch: Er kommt - knastunerfahren- auf die Station.
Sven Koratsch wird, wie alle Neuen, von speziellen Händlerringen zunächst auf seine Verwertbarkeit abgetastet. Aufgrund seiner Heroinabhängigkeit gerät er dabei sehr schnell in ein komplexes Abhängigkeitsverhältnis. Solange er die Regeln noch nicht kennt, wird er - der alles tut, um an Stoff wieder heranzukommen - zwangsläufig ausgebeutet. Erst als er auch seine Freundin an den Boss eines Händlerrings zu verlieren scheint, beginnt er, die gleichen Regeln nun auch gegen seine Mitgefangenen anzuwenden. Ein gnadenloser Kampf beginnt: Die Fronten verlaufen quer durch alle Linien; auch ein Vollzugsbeamter ist darin verwickelt. Koratsch sieht sich plötzlich in der Rolle des Bosses - er kopiert seine eigene Repression und wird dabei sein eigenes Opfer...
In Hier drin kannst du alles haben sind Stoff und formale Umsetzung kongruent. Ganz mühelos und beiläufig erscheint das und trifft doch gerade deshalb so genau. So grobkörnig die Handlung, so lakonisch knapp die Figuren auch sind, das Wesentliche in dieser Geschichte geschieht in leisen Momenten, in unterschwelligen Zeichen. Andres Veiel ist es gelungen, sich in den engen, vielfach vorgeprägten sozialen Rastern des Stoffes zu bewegen und doch den Klischees zu entkommen. Das gibt dem Text seine Kraft, seine Eindringlichkeit und seinen authentischen Charakter.

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