Theater

Herbert Achternbusch

Pallas Athene

Pallas Athene schrieb Herbert Achternbusch an vier Tagen im März.

"Verstehe ich dich richtig? Pallas Athene, nicht von einer Frau Geborene, dem Zeus entsprungen, dem göttlichen Mann ohne Hader der Welt gegeben ohne Hades, meine ich, unsterblich, allein dem Wissen verpflichtet. Allein dem Wissen in Trauer ergeben. Nicht der Trauer über die Vergänglichkeit und der Vergeblichkeit nachgebend. Pallas Athene der weibliche Mozart und weit darüber hinaus, weil nicht leiblich, bildlich allein, wissend. Alter Mann, davon hast du geträumt - dich beneide ich." (Alois in Pallas Athene)

In einem bayerischen Biergarten:
Der pensionierte Altphilologe Alois ist gut verheiratet, der unterbeschäftigte Schauspieler Adolf träumt von Pallas Athene. Neben ihren philosophischen Disputen über Denken und Gedanken oder Mythen und Missordnungen stehen obligate politische Spitzen und etliche absurde Ausschweifungen...

4 D, 7 H, 1 Dek

UA: 16.09.2001 · Schauspiel Hannover · Regie: Anselm Weber

Aufführungsarchiv

16
September 2001
Herbert Achternbusch

Pallas Athene

Theater
UA
Regie Anselm Weber

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Theater
Herbert Achternbusch

Dulce est

2 D, 10 H, 1 Engel, 1 Pferd, 7 Berge

Ein junges Paar findet im Nebel seinen Weg durch Industrieschnee zur Steinernen Brücke von Regensburg. Es ist vereinbart: das Leben wird hier an einen Wendepunkt gestellt. Die beiden nehmen sich Zeit, die Gesprächsthemen kreisen um den Kauf eines Wintermantels und um liegengebliebene Schamhaare am Badewannenrand. Unsentimental und profan wird über das Lebens-Ende sinniert: "Blöd nur, daß wir morgen in den deutschen Zeitungen stehen."
Nach dem Sprung hat sich das Dasein verkehrt: "Nahezu jegliches Verhalten galt als nicht richtig. (...) Ich meine, daß jedes Verhalten auf der Erde oben nahezu falsch war." Wie ein Negativ von seinem Abzug steht das Leben und das Leben nach dem Leben zueinander in Verbindung. Der Sprung in die Donau stülpte von innen nach außen: Nicht-Können verkehrt sich in Können, Wissen in Nicht-Wissen, Nicht-Erzähltes wird ausgeschmückt vorgetragen, vormals Existente bleiben aus und Verstorbene begegnen sich, gehen ihren Wegen nach. "In der Finsternis kommt alles ans Tageslicht."
Ein Engel erlöst die beiden in die nächste Seins-Stufe: sie sitzen nackt unter sieben blauen Bergen, auf deren Gipfeln sich je eine Vase befindet und plaudern ("Ich weiß gar nicht, wovon ihr sprecht" / "Ist auch nicht die Rede wert"). Dann überschlagen sich die Ereignisse, bis ER mit den Worten "Laß dir gesagt sein: Mögen andere ihre Phantasie an die Wirklichkeit hängen ... Ich hänge die Wirklichkeit an meine Phantasie" endgültig mit der Lanze unter dem Arm von dannen reitet. Das verleitet auch SIE zum Outing: "Nun kann ich euch ja sagen, wer ich bin. Ich bin ein Baum".

Theater
Herbert Achternbusch

Daphne von Andechs

4 D, 4 H

"So nicht-existent wie München ist, so existent kann München niemals sein, außer mit Bier." Hartnäckig klug halten Hick von Bouillon und Michael von Fraaß, die beiden merkwürdigen Realitätsforscher in Herbert Achternbuschs neuem Stück, an dieser These fest: daß die Stadt München eine Stätte des Scheins, der Illusion, der bloßen Einbildung und der abervielen Täuschungen sei, eine Rauschgeburt. Bloß ein einziges Mal nicht ins Gasthaus gegangen und nicht in den Bierrausch hineingestürzt, der München eben erst existent macht - ist es nie wieder gutzumachen? Auf der Reise ihres langen Tages wohl einmaliger Nüchternheit werden die Wirklichkeitssucher zu Traumreisenden, denn wenn die Schein - Existenz Münchens schwindet, wird plötzlich eine ganz andere Landschaft gewahr, in die man sich verirrt: "Wir ziehen nur um die Insel der Seligen herum. Oberbayern, La Mancha, Peleponnes, wir ziehen herum. Machtlfing, Erling, wir ziehen herum. Und wenn wir vor dem Moorteich sitzen, ziehen wir um die Insel der Seligen."
Die dabei gesuchte und erhoffte Glückseligkeit käme nach Hicks Ansicht wohl nur von einer griechischen Göttin. Jedenfalls nicht von seiner eigenen Frau Marjy, die IM dienst ihres Mannes einen erbitterten streit mit dem Münchner Kommunalreferat über die schändlichen Mietwohnbedingungen führt. Aber auch die Aufopferung Marjas kann Hick nicht halten, der auf der Suche nach seiner Göttin Daphne bleibt. "Wo du etwas Neues wahrnimmst, nimm es hin, verschließe es in deiner Seele, es wird zum Andechs deines Herzens, und die blaue Göttin kann entstehen." (Münchner Kammerspiele)

UA Frei
Theater
Herbert Achternbusch

Alkibiades am Ende

5 D, 10 H, 1 Dek

"Am besten ist es, nicht geboren zu werden. Und wenn, möglichst schnell zu verschwinden. Scheiße. Tragödie."

Alkibiades aus Athen, Schüler des Sokrates, galt als umschwärmtester Junge seiner Zeit. Doch zu oft wechselte er die Fronten; Verrat, der zu seinem Tod führte. In Achternbuschs Stück befindet sich der sokratische Jünger bereits auf der Flucht vor den Spartanern. Gepeinigt von den feindlichen Soldaten, sucht er erst Zuflucht bei seinem Lehrer, dann bei der Mätresse Timandra. Seinem Tod kann er dadurch nicht entgehen.

"Du vielfacher Olympiasieger, mit Rossen aufsteigend wie Kastanienbäume, bist hingesunken auf mein Bett und hast bis zuletzt den mürrischen Athenern ein Licht aufgedrückt, den verlausten Spartanern einen Stock in den Arsch gesteckt und den läppischen Persern eine Kandare ins Gebiss gelegt. Alles hast du beherrscht, alles hast du gekonnt, alles hast du dir einfallen lassen, Liebling des Sokrates, der nicht wählerisch war bei den Leuten, die kamen, aber bei denen, die blieben, sein Stern warst du und der Liebling Perikles´, deines Onkels, den du nicht überholen konntest, weil die Zeit die Rennbahn zerstört hatte. Der Wettlauf der Dinge überstürzte sich, und das Geringere setzte sich durch, das Nette und Peinliche, der kleine Vorteil zerschlug den großen Traum Athens. Als Gespenster müssen wir weiterwandern, vielen Krämern ihr Kleinhirn aufdonnern, die ohne Verzweiflung, Vorteilsdoktoren werden, in ihren Flachhirnen Käfige aufstellen und meinen, wir seien darin. Wie sie unsere Sprache studierten und der Artefakte vielflächige, doch der Geist entwischte ihnen, der Geist des Einmaligen, die sie aus Jahrhunderte langer Nachbeterei kommen. Laßt nun ab, Männer! Legt die Schaufeln aus dem Gesichtskreis, versteckt die Haken hinter den Grabmälern. Mädchen, tretet hervor mit den Blumen und zerstreut sie weit, auf daß die Enge des Grabes nicht einleuchte!"

Theater
Herbert Achternbusch

Tukulti

1 D, 9 H, St, 1 Dek

1. Der Stuhl, der keiner mehr ist
Tukulti: "Da bin ich. Doch wo bist du?".
Tukulti in retrospektiver Ansprache an Ztsrupsi, den Zungenbrecher, das Du, Gott, der zur Orientierung und als Maßstab diente: "Du bist fort, Ztsrupsi. Ich bin allein."
2. Der Stuhl ist ein Thron
Ztsrupsi aus dem fernen Ur sendet seine Losungen über Boten an Tukulti.
"Ob Ztsrupsi noch Ztsrupsi ist, wenn er aus einem anderen spricht?" Tukultis Enttäuschung formiert sich in Zweifel, daraus erwächst eine neue offensive Erkenntnis: "Wir haben uns täuschen lassen. Ein Gott, der uns verläßt, war nie bei uns." Tukulti erhebt sich selbst zum Gott "Du sagst es. Wo Gott einst saß, da sitze ich."
3. Der Mensch ist Gott (Der leere Thron)
Tukulti führt Krieg.
Zur Besänftigung schickt der Pharao seine schönste Tochter zu Tukulti. Tukulti erklärt sich einverstanden: "Da bin ich dankbar und nehme einen neuen Titel an: Obersuppenaffendepp." Die Hochzeit von Tukulti und Senfmut wird gefeiert.
4. Der Gott ist nichts ( Vier Soldaten tragen den Thron aus Stein, singen dabei und stellen ihn ab. Mit Sohn Üsmi.)
"Mein Vater Tukulti, ich habe den Verdacht, daß du den Feind besser kennst als dich. Doch mußt du dich besser kennen, um den Feind zu sehen, erkennst du dich im Feind?"
Tukulti wird von einem Barbaren aus den Bergen angefallen und totgebissen.

Achternbusch ist es gelungen, ein Konzentrat zu destillieren, ein Fallbeispiel für die uns umgebenden und von uns entworfenen Machtstrukturen zu schreiben. Während sich die Figuren sicher in ihrem Denkgehege bewegen, entsteht aus der Beobachtung dieser Handlungsmechanismen der Wunsch nach einem Gegenentwurf. In der veränderbaren Konstellation Mensch und Stuhl bildet sich im Verlauf des Stückes sowohl makrokosmisch die Entwicklungsgeschichte der Menschheit als auch mikrokosmisch die eines Volkes, eines einzelnen Menschen ab.

UA Frei
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Herbert Achternbusch

Die Vorgänger

4 D, 15 H, Verwandlungsdek

Der Junge gräbt Fragen aus, die unbeantwortet bleiben werden. Doch bei der Erkundung seiner Herkunft gibt der Alte sein Modell preis, sein Konstrukt, das Vorher und Nachher zu umfassen versucht.
Die Männer - mit Gestalten in der Brust - sind "Überlebende", im Gegensatz zu den Frauen, die "Nurlebende" sind, deren Bestehen sich auf eine limitierte Zeit bezieht. Das Mädchen mit dem unstillbaren Freiheitsdrange sucht die vertikale Verbindung zu ihren Vorgängern, entwirft eine eigene Sprache, die sie im Reich der Frauen ausgrenzt ...
Das, was sein wird, wird aus dem, was war, erfaßt. Es wird ein, einer eigenen Logik gehorchendes, Bild von dem Zukünftigen entworfen. An dem Versuch festgehalten, die eigene (zeitliche) Limitierung zu überwinden, sich dem schlagartigen Ende zu widersetzen, sich aber auch um die Aufhebung der eigenen Abgrenzung zu den anderen, zur Natur bemüht.
Die Bewegung dieser Erörterung zielt wiederum in zwei Richtungen, sie ist ein Vorstoß nach vorne, in das Zukünftige, sowie das beharrliche Vordringen in Zurückliegendes. Dies sorgt für die Frage, inwieweit ein Vorgänger in der Zeit zurückliegt oder einen unaufholbaren Vorsprung hat, ob er Ahne oder Pionier für den Folgenden ist ... "Das letzte was ich hörte war: Baut die Stadt / Baut die Stadt"
"Das ist eine Landschaft, die wie jede andere Landschaft entstanden ist, indem sie die vorherige Landschaft zerstört hat. Machen wir uns einen schönen Tag." (Herbert Achternbusch)

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