Fernando Pessoa

Der Seemann
Statisches Drama in einem Bild
(O Marinheiro)
Deutsch von Inés Koebel
3 D
Das statische Theater
Ein statisches Theater ist für mich ein Theater, dessen dramatische Handlung keine Aktion darstellt… sondern auf umfassendere Art die Enthüllung der Seelen durch den Austausch von Worten… Momenten der Seele ohne Fenster oder Türen zur Wirklichkeit. (Fernando Pessoa)

In einer alten Burg halten drei junge Frauen nachts Totenwacht am Sarg einer vierten jungen Frau und sprechen miteinander.

ZWEITE – Mir träumte von einem Seemann, den es auf eine ferne Insel verschlagen hatte. Auf dieser Insel standen reglos einige wenige Palmen, und Vögel schwirrten schemenhaft zwischen ihnen umher … Ob sie sich je auf ihnen niederließen, habe ich nicht gesehen … Dort lebte der Seemann seit seinem Schiffbruch … Da es ihm versagt war, in sein Land zurückzukehren, und er stets litt, wenn er an es dachte, begann er, sich ein Land zu erträumen, das er nie gehabt hatte; begann, ein anderes Land zu dem seinen zu machen, eine andere Art Land, mit anderen Landschaften und anderen Menschen, die anders durch die Straßen gingen und sich anders aus den Fenstern lehnten … Unaufhörlich schuf er sich träumend dieses falsche Vaterland, hörte nicht auf zu träumen, tags im kurzen Schatten der hohen Palmen, dessen gezackter Rand sich auf dem heißen, sandigen Boden abzeichnete; nachts, auf dem Rücken liegend am Strand und ohne einen Blick für die Sterne.

„’Am Meer sind wir traurig, wenn wir träumen.’ Die Worte des portugiesischen Dichters Fernando Antonio Nogueira Pessoa sind wie die Fado-Musik seines Heimatlandes: schwermütig, symbolgeladen, sehnsüchtig.“ (Kölner Stadtanzeiger)