Anthony Neilson

Der Zensor
(The Censor)
Deutsch von Roland Schimmelpfennig
2 D, 1 H, Verwandlungsdek
UA: 03.04.1997 · Finborough Theatre, London · Regie: Anthony Neilson
DSE: 24.11.1998 · Das Schauspielhaus, Wien · Regie: Gerald Singer
Schauplatz der Handlung ist das Büro des Zensors, tief unten in einem dunklen Kellerraum, von seinen Zensurkollegen bezeichnenderweise "das Arschloch" genannt. Hier verbringt er täglich acht Stunden damit, sich die Art pornografischer Filme anzusehen und zu begutachten, die im Zweifel vom British Board of Film Censors verboten werden. Was er in Wirklichkeit zensiert, wie bald klar wird, sind seine eigenen Wünsche, seine sexuellen Phantasien, derer er sich seiner Frau gegenüber schämt und die zu seiner Impotenz im Ehebett und seiner langen Laufbahn als bezahlter Voyeur geführt haben.

In diese hermetisch abgeschlossene Welt dringt eine Frau ein und stellt sie auf den Kopf. Miss Fontaine ist eine junge Regisseurin, die wild entschlossen ist, seine Entscheidung, ihren Pornofilm zu verbieten, umzustoßen. Ganz cool zieht sie gleich ihr Hemd aus, bereit alles zu tun, damit er ihren Film genehmigt und seine Bedeutung begreift: die augenscheinlich pornografische Handlung zeichnet nämlich den Verlauf einer Liebesgeschichte nach, wie sie sagt.
Im Laufe ihrer Zusammentreffen führt Miss Fontaine den Zensor durch eine Reihe erstaunlicher sexueller Akte. Ist sie die Femme fatale, die ihn auf die Probe stellen soll, oder ist sie ein Geist, der von ihm Besitz ergriffen hat und ihm seine schmutzigsten unterdrückten Begierden entlockt?

Letztlich ist Der Zensor auch eine Liebesgeschichte ... Statt der üblichen politischen Verurteilung der Zensur als Mittel totalitärer Machtausübung, ist Neilsons Stück eine traurige, einsame Geschichte, die die emotionalen, menschlichen Konsequenzen von Zensur ausleuchtet.