Ferdinand Schmalz

"Eine Sprache prall wie Würstl und wie Zuckerwatte bauschend zart" – Laudatio aus Anlass des Ludwig-Mülheims-Theaterpreises 2018

"Eine Sprache prall wie Würstl und wie Zuckerwatte bauschend zart" – Laudatio aus Anlass des Ludwig-Mülheims-Theaterpreises 2018©Regina Laschan

Der österreichische Dramatiker Ferdinand Schmalz hat den mit 25.000 Euro dotierten Ludwig-Mülheims-Theaterpreis 2018 in Köln überreicht bekommen. Seine Literatur lebe „von einer Sprachfindungsgabe, die mich sehr beeindruckt und auch das volkstheaterhafte Sprechen durchaus auf Kurs hält“, erklärte der Kuratoriumsvorsitzende des Preises, Prälat Josef Sauerborn, während der Verleihung am Montag, 5. November, in Kolumba, dem Kunstmuseum des Erzbistums Köln. Anlässlich der Verleihung hielt seine Lektorin Friederike Emmerling die Laudatio auf Ferdinand Schmalz. Die Rede können Sie hier nachlesen: 

 

„Der Glaube muss in der Kultur eine Rolle spielen,
damit die Welt nicht zugrunde geht.“
Dieses Zitat von Ludwig Mülheims
begegnete mir,
als ich versuchte, das Wesen dieses Preises zu verstehen,
um Karin Bergmann heute Abend würdig vertreten zu können.
„Der Glaube muss in der Kultur eine Rolle spielen,
damit die Welt nicht zugrunde geht.“
Aber an was muss ich denn glauben, damit die Welt nicht zugrunde geht?
An Gott?
Was mache ich denn,
wenn ich an Gott nicht mehr so recht glauben kann?
Vielleicht nur noch ein Schimmer für mich?
Finde ich ihn dann im Werk von Ferdinand Schmalz,
der heute mit dem Ludwig-Mülheims-Preis ausgezeichnet wird?
Seine Figuren versuchen sich zwar an den unterschiedlichsten
Formen des Glaubens -
Der Glaube an den Widerstand,
die Liebe,
den Kapitalismus,
den Fortschritt, 
die Unvollkommenheit,
ja, sogar an die Butter –
aber nicht an Gott, den Schöpfer.
Der Aufbruch zu diesem Glauben hin, ist sicher der beschwerlichste in seinem Werk.

 

 Doch beginnen wir von vorne.
Als Ferdinand Schmalz 2014
mit seinem ersten Stück
am beispiel der butter
in Erscheinung trat,
traute manch eine ihren Augen,
manch einer seinen Ohren nicht.
Welch beredter Name klang denn da
gemeinsam mit dem Titel an?
Ferdinand Schmalz / am beispiel der butter!
War das irre oder genial?
Oder konnte das ein Zufall sein?
Nein.
Denn in der Sorgfalt,
mit der dieser Autor Worte misst,
zeigt sich ein großer Sprachartist
mit Sinn fürs Ganze
und für den Humor
mit dem er Philosophisches hochkonzentriert anschaulich macht.

 

Bei Schmalz wird Sprache erst einmal
geschmeckt, gehört, gesprochen ganz zerlegt
und manchem Wort dann sanft der Sinn verdreht,
weil es im Schmalzschen Kosmos so viel mehr noch kann
als einfach nur zu sein, was wir schon immer dachten.
 

Da ist einer angetreten,
genau zu sein,
sprachlich und
rhythmisch

- wie beschrieb Peter Waterhouse, der österreichische Lyriker,
das schmalz'sche Reimen so schön:
broken jambic
und das passt
denn obwohl es oftmals dem jambischen Versmaß zu folgen scheint,
wird der halt immer auch gebrochen
keine Sicherheit bei Ferdinand Schmalz
„broken jambic“ passt!

Mit sprachlich wilden Kapriolen will er uns den Kopf verdrehn,
lockt uns hinein in diese schrägen, fremden Welten,
wo der Rhythmus eins mit Sprache wird.
Dort träumen die Figuren immerzu
vom Aufstieg und vom Ausstieg.
Vergeblich.
Es gibt bei Schmalz kein happy Ende,
weil das bei seinem Denken isoliert sich fände.
Er betrachtet zu genau, um einfach aufzulösen.
Stattdessen wartet immer irgendwo der Tod.
1 Leiche ist so etwas wie Schmalzstandard.
Da wird es nämlich immer irgendwann sehr ernst.
Kein Handeln ohne Konsequenzen.
Erbarmungslos.
Komisch. 

 

In am beispiel der butter
geht es um Adi,
der die Menschen um sich rum
mit seinem Joghurt füttert.
Man könnte geneigt sein,
in Adi jemanden zu sehen, der an die Nächstenliebe glaubt
und deshalb seinen Joghurt
nur zu gerne teilt.
das beobachtet auch die stielaugen jenny misstrauisch:

 

und sicher hast du auch den löffel, den er bei sich
trägt, gesehn. mit dem geht er im zug von einem end zum andern, und
wen er trifft, fragt er, ob der nicht bisschen von dem joghurt will. „magst
einen schnapper?“, fragt er, der adi, füttert dann von dem namenlosen
becher in die münder von den fremden hinein. schaufelt das weißeste der
milch in die gierigen gesichter.

 

Doch heilig ist der Adi nicht,
vielmehr politisch
ausgerichtet.
Agiert er doch
im Hinblick auf die Faust aus Butter,
die er plant,
und die das ganze Unrecht irgendwann
im Butterstrom
den Berg hinunterspülen soll.
Und dieser Glaube, der politisch
trotzdem zugewandt
dem Mensch und der Gerechtigkeit
ist schon ein richtiger, oder?
Ganz anders als der Hans,
der auch politisch glaubt,
statt an das Zugewandte aber an Gewalt,
am liebsten an die Staatsgewalt
im Dunkeln ausgeübt. 

 

in dosenfleisch
einem Stück über
das Leben nach dem Unfall
und die Freiheit der körperlichen Entstellung,
könnte vielleicht die grenzenlose Gerade,
die den Weg durchs
Chaos  ebnet,
stellvertretend für den Glauben stehen?
Für diesen Glauben an den Weg,
der eine Richtung weist?
Doch auch hier Ernüchterung.
Denn es geht in dosenfleisch nicht um Wege,
die mich richtig leiten,
sondern um Wege, die dem
Konsum und der Unterwerfung den Weg frei räumen.
Versinnbildlicht durch sie,
die Autobahn:

 

die autobahn bahnt sich den weg, bahnt sich den weg, bahnt sich den weg, weil wo ein wille
ist, ist auch ein weg. was wildnis ist, steht uns im weg, muss aus dem weg geschafft,
gesprengt gar werden. und ist sie noch so wild, fährt doch die autobahn dann drüber oder
drunter oder mittendurch. so macht die autobahn erfahrbar, was zuvor noch fremd gewesen ist.

 

Im herzerlfresser dann
geht es
um nicht weniger als die Liebe
und zwar im ausgesprochen körperlichen Sinn.
Denn das, was herzerlfresser Herbert
über Liebe denkt,
das lässt sich gar nicht mehr in Worte fassen.
Die Herbertliebe lässt sich nur zerstückelt denken,
weshalb der Herbert

- wie der Sau beim Schlachten -

all den Frauen halt ihr Herz entreißt,
weil nur die Hand,
die Sprache aber niemals seine Liebe greifen kann.
Und so beschreibt er sein Dilemma: 

 

in der enge unsrer herzen tragen wir die ganze liebe dieser welt, und könnten
glücklich sein. wir könnten glücklich sein, wenn wir nur eine sprache hätten. eine sprache,
diese liebe auch zu teilen. könnten wir die liebe nur in worte packen, pressen, stopfen, dann
könnten wir sie mitteilbar durch worte machen, diese liebe, die da drinnen in der enge wütet.
nur ist die sprache leider noch viel enger als die herzen. da passt buchstäblich nichts hinein.
mit worten lässt sich nichts über die liebe sagen.

 

Im thermalen widerstand will der Bademeister
das Thermalbad für alle öffnen,
gegen den massiven Widerstand
von Badeleitung und Kurgästen.
Ein Thermalbad als Diskurs
für Abschottung und Notwendigkeit der Öffnung.
Wie immer in seinen Stücken - auch hier  - ein verrutschter Mikrokosmos
rangezoomt und mikroskopisch genau betrachtet.
Aber die Hoffnung stirbt bei Schmalz zuletzt.
Oder wie heißt es bei ihm ja noch viel schöner:
auch wenn der bademeister stirbt, ist lange noch nicht badeschluss.

 

Auch bei Karin Bergmann,
für die ich heute Abend stellvertretend
von Ferdinand Schmalz schwärmen darf,
auch bei Karin Bergmann
hat der Glaube eine große Rolle gespielt.
Nämlich der Glaube daran,
dass ein junger österreichischer Dramatiker
namens Ferdinand Schmalz                             
in der Lage sein würde,
das Heiligtum von Salzburg,
den jedermann,
für das Burgtheater neu sprechen, klingen
und spielen zu lassen.
Andere könnte dieser Anspruch lähmen.
Doch diesen Autor nicht.
Ein in sich Ruhender ist er.
Als nutze er die eigne Leibesfülle
zum Ausgleich einer wackeligen Welt.
Als dramatisches Gegengewicht
für ein Neigen in die falsche Richtung.

 

Mit jedermann (stirbt)
endet schließlich auch Gottes Abwesenheit in seinem Werk.
Doch schwach und hilflos kommt das Göttliche daher:

 

- da steht er,
- er, der schöpfer
- ganz erschöpft steht er
- im garten drin
- nicht mehr im ersten
- eher im letzten garten steht er,
- der schöpfergott
- als hätte man vergessen ihm zu sagen,
- dass er schon tot
- hat ganz vergessen
- dass er für uns
- ja danke auch
- dass er für uns gestorben ist
- oh gott
- steht da, der schöpfergott
- der opfergott
- der sich doch selber gern
- als einen gärtner sehen würd
- doch diese schöpfung, seine, will nicht recht
- will wiedermal nicht recht
- nach seinem willen 

 

Ungewiss
ob dieser Gott die Wette mit dem Teufel
um einen letzten Funken „guter“ Mensch
im JEDERMANN
tatsächlich noch gewinnen kann.
Und falls nicht,
dann wäre das fatal,
es gälte für uns alle,
denn so Schmalz:
jedermann ist niemand, niemand anderes als wir. 

 

Der Teufel kommt
in Gestalt der guten Gesellschaft, UNS, daher
und die Buhlschaft ist zugleich der Tod.
Und vielleicht braucht's da eben einen
wie den Ferdinand Schmalz,
der furchtlos
den Tod zusammen mit der Lust sich denkt,
das Jenseits mit Begehren,
und den JEDERMANN
auf Leichenbergen tanzen lässt.
Den letzten Walzer -
flüsternd liebkosend
der Todesbotin in den Arm geschmiegt.
Das Publikum am Burgtheater außer sich.
Das Feuilleton im Freudentaumel.
Denn hier wurde etwas gewagt,
was diesem fast vergessnen Glimmen nahe kam.
Ein Moment geschaffen,
der verharrt zwischen Irdischem und Göttlichem -
der weiß,
dass manche Dinge unerklärlich sind und bleiben,
wenn es um den Glauben geht.
Vielleicht geht das der Schmalzsche Gott
gar nicht so falsch an,
wenn er den fast verschütteten Funken erneut zu schüren sucht.
Einen ganzen Glauben wird er immer schwerer finden
in dieser überschnellen, durchgedrehten Welt.
Und weil das Erkennen von was Höherem
aus Raum und Zeit nur fallen kann,
wird bei Schmalz zu Klang was vormals Sprache war.
Ein Flüsterfluss
lockend reingewispert
in das Ohr des JEDERMANN,
ein raunendes Hauchen,
um diesen kleinen Funken anzuglühn,
in diesem ach so widerständgen Geist von glatter, fugenloser Härte.
Mit - für uns unbekannten - Worten der Glätte einen Riss verpasst,
und durch den Riss hindurch
Erkenntnis wie ein Sauerstoff gehaucht,
um zu sehn, ob da nicht doch was glimmen will.
jedermanns frau beschreibt das folgendermaßen:

 

da lacht er nur, der jedermann, als könnte er verscheuchen, was ihm da grad entgegentritt,
entgegentanzt. und lacht drum nochmal lauter. als würde das noch etwas bringen. und sie,
sie tanzt noch einmal enger jetzt mit ihm. schmiegt ran sich an sein ohr. auf seinen wangen
kalter schweiß. und flüstert etwas rein, da in ihn hinein. wie eine mutter, die dem kind, wenn
es nicht schlafen will. da füstert sie, die mutter, etwas rein ins kinderohr, das fast schon keine
sprache mehr. an dieser schwelle da zum schlaf liegt zwischen ihren worten drin etwas, das
dann das loslassen ermöglicht erst. spricht rein in ihn, die worte jetzt, die eine göttlich gewalt
da in ihm drin entfalten.

 

Ferdinand Schmalz hat schon sehr genau beobachtet,
wie´s um den Glauben heut bestellt ist.
Und dass aber ein Glimmen
- sorgsam bewacht -
auch wieder brennen könnte.
Vielleicht müssen wir Glauben anders denken?
Beweglicher.
Elastischer.
Vor allem aber selbstbestimmter.
Vielleicht müssen wir - als viele -
uns erst einmal auf einen Umgang MITEINANDER einigen,
jenseits jeder Religion,
ein Grundgesetz der Nächstenliebe fordern, formulieren.
Und wenn wir aus uns selbst heraus, die Nächsten lieben lernen wollen,
könnte Gott im Humanismus, im gelebten, wieder sichtbar werden.
Der Glaube an Gott muss aus uns selbst heraus,
muss einen Riss in uns sich selber reißen.
Und das geht nur, wenn wir uns öffnen.
Für die Möglichkeiten.
Ferdinand Schmalz hat angefangen, diesen Riss zu denken.
Zuzulassen. Ausgang ungewiss.
Und doch
Gott kann sich nur zusammensetzen
aus dem, was der Glaube an ihn zulässt.
Und vielleicht ist der Glaube, von dem Ludwig Mülheims spricht,
auch der Glaube an Veränderung,
weil die Veränderung sich nicht zufrieden gibt,
weil sie sich unentwegt  bewegt
und ausprobiert, anpasst, aufpasst, reguliert.
Vielleicht ist es gar nicht der eine Glaube,
sondern vielleicht ist der eine Glaube
die Zusammensetzung vieler Glaubenssplitter,
die am Ende ein Bild ergeben.
Ein Bild mit vielen Rissen, Fugen,
die durchlässig,
stets bereit für Möglichkeiten
– völlig neue –
sind.

 

Zu dieser Suche, diesem Wollen, diesem Scheitern, Weitergehen,
zu diesem unermüdlichen Kampf
fordert uns Ferdinand Schmalz
in seinen so ganz andersartigen, wuchernden Parabeln auf.
Beherzt und furchtlos
schreibt er,
ohne Dogma,
ohne Scheu.
Niemals vorwurfsvoll.
Ganz im Gegenteil
LUSTVOLL
rückt er uns und sich gleich mit den Kopf zurecht.
Offeriert uns freudig klug die fettesten Metaphern
und theoriegetränkte Kalauer,
in einer Sprache prall wie Würstl und
wie Zuckerwatte bauschend zart,
so schön und herzhaft
und so abgrundtief.
Und dort
dort
unten
in den Abgründen, den liebevoll beschriebenen,
den menschlichen,
da lässt er uns den Funken finden,

– das Gute in uns drin –

das irgendwo noch glimmen muss.
Da bricht sein Schreiben etwas auf,
und zwar - weil er das Große denkt,
die Möglichkeit aus dem Theater raus,
das Denken
das Um-Denken in den Mensch hinein er säen will.
Den Glauben an Veränderung zum Guten hin.
Ferdinand Schmalz hat es sich zur Aufgabe gemacht,
uns über sein Schreiben zum Funken hinzuführn.
Nun ist es an uns, ihn nicht ausgehen zu lassen.

 

(Laudatio auf Ferdinand Schmalz aus Anlass des Ludwig-Mülheims-Theaterpreises 2018,
Laudatorin: Friederike Emmerling, Köln, 05.11.2018)


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