Maria Milisavljevic & Anne Carson

Neu im Programm: Die große kanadische Dichterin Anne Carson in einer Übersetzung von Maria Milisavljevic

Neu im Programm: Die große kanadische Dichterin Anne Carson in einer Übersetzung von Maria Milisavljevic©Peter Smith

Die kanadische Dichterin und Essayistin Anne Carson ist neu bei S. Fischer Theater & Medien. Ihr Stück BAKKHAI nach Euripides wird unter dem Titel BITCH, I’M A GODDESS am Staatstheater Hannover zur deutschsprachigen Erstaufführung kommen. Bettina Walther stellt Anne Carson und ihre Version von Euripides’ dunkelster Tragödie vor. Ursprünglich haben wir uns auf eine Premiere im März gefreut, aber da die Theater pandemiebedingt weiterhin geschlossen bleiben, wurde die Produktion auf kommende Spielzeit verschoben.#NeuImProgramm #Dionysisch

 

Mit BAKKHAI (1 D, 7 H) hat die ausgewiesene Kennerin antiker Tragödien Anne Carson eine ‘neue Version’ von Euripides’ dunkelster Tragödie gedichtet und sich dabei virtuos der Mythen des dionysischen Kultes bedient. Carson blickt tief in die Abgründe sexueller Unterdrückung und familiärer Gewalt, erforscht dabei Gender-Zwänge ebenso wie die Schrecken despotischer Herrschaft und erzählt sehr zeitgemäß von einer Welt, die an der Radikalisierung ihrer Gegensätze zerbricht. Mit der deutschen Übersetzung dieser atemberaubenden neuen Version, die 2015 am Londoner Almeida Theatre uraufgeführt wurde, hat das Staatstheater Hannover die Dramatikerin Maria Milisavljevic beauftragt. Maria Milisavljevic hat selbst lange in Carsons Geburtsstadt Toronto gelebt und dort am Tarragon Theater gearbeitet - unter anderem als International Playwright-in-Residence.

 

Pentheus, Herrscher über Theben, will einen Staat nach seinen Vorstellungen: Ordnung soll herrschen und Vernunft. Der anarchische Hype um den dahergelaufenen Dionysos, der behauptet Zeus‘ Sohn zu sein, und dessen wilde rituelle Anbetung passen ihm nicht. Ausschweifungen, Sex, Alkohol gefährden die öffentliche Moral. Aber vor allem die “Frauen, die von zuhause wegrennen. Bakkhische Möchtegernrituale oben in den Bergen. Weiber die vollkommen durchdrehen, wegen jemandem, den sie Dionysos nennen” sind ihm ein Dorn im Auge. Diesem Wahnsinn, bei dem sogar seine Mutter Agave mitmacht, muss ein Ende gesetzt werden, ins Gefängnis gehören sie, die entfesselten Verehrerinnen des Dionysos.

 

Doch Pentheus unterschätzt die Bakkhai - überhaupt unterschätzt er die Sehnsucht der Menschen nach einer Existenz jenseits der Normen, nach Gefühlen und nach Befreiung von Zwängen. Und vielleicht unterschätzt er auch seine eigene Sehnsucht nach einem anderen Dasein. Eines, das Dionysos verheißt. Ein Leben “Tag wie Nacht frei von Kummer und Trauer” - während Pentheus “gegen die Freude” ist, “gegen das Lachen, gegen den Klang der Flöte - ganz zu schweigen vom erhabenen und erhebenden Frohsinn der Trauben und des Weins so wohltuend für Körper, Seele und der Psyche in tiefinnerster Gestalt.”
Ein Kampf um die Gunst des Volkes entbrennt – Pentheus‘ kühler Verstand gegen das anarchische Lustprinzip des Dionysos und seine Versuchungen, Nüchternheit gegen Rausch, Ekstase gegen Disziplin.
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Vernunft gegen Gefühl - nicht erst seit Pandemiezeiten stehen sich gegensätzliche Positionen innerhalb der Gesellschaft immer unversöhnlicher gegenüber. Wie gehen wir damit um? Wie kann Spaltung und Populismus überwunden werden und was passiert, wenn das nicht gelingt. Mit diesen elementaren Fragen wird sich der israelische Regisseur und Choreograf Guy Weizman in seiner Inszenierung von BITCH, I’M A GODDESS auseinandersetzen.

 

Dionysos:

Ich bin der Gott, der triumphiert.
Ihr habt Eure Chancen mir zu huldigen vertan.
Das war nicht sehr schlau.
Nun müsst Ihr die Stadt verlassen und unter Fremden wandern.
Ihr seid entehrt.
Und Ihr habt mich beleidigt—
weil Ihr behauptet habt ich sei ein Sterblicher.


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