Maria Milisavljevic

„Wir sehen uns als Theatermacher*innen. Nicht nur am Schreibtisch.“ – Maria Milisavljevic im Gespräch mit Friederike Emmerling

„Wir sehen uns als Theatermacher*innen. Nicht nur am Schreibtisch.“ – Maria Milisavljevic im Gespräch mit Friederike Emmerling(c) Linda Rosa Saal

Liebe Maria, du schreibst viele deiner Theaterstücke auf Deutsch und überträgst sie dann ins Englische. Sie unterscheiden sich aber nicht nur in der Sprache, sondern auch in der Form. Warum?

 

Das stimmt. Sie unterscheiden sich auch im Bezug auf den kulturellen Kontext, Referenzen und in der Gestaltung der Figuren. Manchmal, wie im Fall von geteilt / about a woman auch sehr stark in der Form. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber immer darauf gerichtet, dass der Text im jeweiligen Theaterkontext mit seiner Aussage die größtmögliche Wirkung erzielt. Vlado, als Beispiel, redet in Brandung eher wenig, zitiert ein oder zweimal ein Gedicht. In Abyss erklärt er sich viel mehr, das Gedicht wird zu einem wiederkehrenden Thema, das seinen Gefühlszustand spiegelt. Das liegt zum einen daran, dass im kanadischen sozialen Kontext - in dem Abyss zwei Jahre entwickelt wurde - zu viel Schweigen unhöflich und komisch wirkt. Die Schauspieler brauchten mehr Text,um die gleiche Figur, mit den gleichen Gefühlen, Gedanken und Intentionen spielen und durchdringen zu können. Bei Beben / Noise sind es die Popkultur und politischen Referenzen, die, dem Verständnis und der Komik halber, lokal angepasst werden mussten. Bei geteilt / about a woman waren es das kanadische Workshoppen (mit Schauspieler*innen) und das deutsche Lektorat des Urtextes, welche zu zwei formal sehr unterschiedlichen Ergebnissen geführt haben. about a woman löst die Konflikte über Dialoge, geteilt verhandelt sie vielmehr in der Form, was wiederum in einem kanadischen Theaterkontext, wo das Publikum viel mehr in naturalistischen Formaten zuhause ist, ich weiß nicht, verwirrend oder ungewohnt und daher nicht so gut durchlebbar wäre.

 

Du hast einige Jahre in Kanada am Tarragon Theatre in Toronto gearbeitet und warst da auch Playwright in Residence. Wie hast du die Auseinandersetzung mit Neuer Dramatik in Kanada empfunden? Gibt es Unterschiede zu Deutschland?

 

Es gibt tatsächlich sehr große Unterschiede. Kanadisches Theater steht in anglophoner Tradition. Daher ist die Rolle der Dramatiker*in sehr wichtig, und der Text, wie eine Regisseurin mal zu mir sagte, "die wichtigste Person im Raum". Neue Dramatik wird sehr hochgehalten und macht - außer in Stratford beim Shakespeare Festival und in Niagara-On-The-Lake beim Shaw Festival - gut und gerne 70 bis 90 Prozent der Spielpläne aus. Die meisten Theater und Companies begreifen sich als Autor*innentheater. Sie greifen neue Stoffe auf, diese werden in Workshops entwickelt, von Anfang an mit Autor*innen, Regie und Spieler*innen. So wächst der Text im Team, ohne dabei die Rolle und das Können der Autor*in in Frage zu stellen, sondern viel mehr als Unterstützung. Ich wurde im Laufe von Stückentwicklungen oft gefragt, ob ich noch einen Workshop brauche, wann und mit wem. Habe also auch immer mit gecastet.
So entstehen Spielzeiten mit relativ wenig Klassikern, einigen Wiederaufnahmen und Nachspielen, und sehr vielen, neuen Stoffen. Diese sind auch nicht immer heutig, können auch historisch angelegt sein. Neue Dramatik darf sehr viel in Kanada - außer postdramatisch oder Textfläche sein (lacht).

 

In Deutschland kann von so einer Quote bei weitem nicht die Rede sein. Woher kommt die breitflächige Akzeptanz neuer Dramatik in Kanada? Was könnte Deutschland konkret von Kanada lernen?

 

Der Fokus auf Autor*innen und damit die Akzeptanz neuer Texte ist historisch begründet, wenn auch oft auf unterschiedlichste Weise erklärt: Mit Shakespeare als dem Urvater der Englischen Dramatik, Shaws Stücken zu Beginn des 20. Jahrhunderts, mit der Orientierung des englischen Theaters Richtung Frankreich in der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg und um Theatermacher wie Michel Saint-Denis und George Devine am Old Vic und später am Royal Court oder dem Workshop Joan Littlewoods in den 1950ern.

Egal, was nun stimmt, was man in der anglophonen Tradition eben immer noch spürt, ist die klare Abwesenheit eines regiegetriebenen Theaters. Es steht immer der Text an erster Stelle. Ich sage hier auch bewusst, der Text, denn Produktionsrealitäten decken sich nicht zwingend mit dem gern hochgehaltenen Anspruch, dass die Autor*innen immer das letzte Wort haben. Denn auch in England, Kanada und den U.S.A. ist klar, die Produktion muss gut werden. Und Egos, auch Dramatiker*innenegos, können da im Weg stehen. Auch wenn es rechtlich möglich wäre, eine Produktion über eine gestrichene Zeile zu kippen, macht niemand das. Warum auch?

Genau das ist mir auch wichtig, wenn es darum geht, was Deutschland von Kanada lernen kann. Es geht ja nicht darum, einfach nur die Personen innerhalb von Macht- und Hierarchiestrukturen zu vertauschen. Es geht darum, eine produktive Zusammenarbeit zu entwickeln, in der jede Stimme Gehör hat. Das ist es, was ich mir aus Dramatiker*innensicht wünsche: Theaterautor*innen als Teil der Regieteams und/oder Ensembles; als Teil des Theaterbetriebs. Ich wünsche mir aber eben auch starke Regiehandschriften. Die sind in der anglophonen Tradition leider eher rar.

 

Du setzt dich stark für die Belange deutscher Dramatiker*innen ein. 2020 hast du mit anderen zusammen das theaterautor*innen-netzwerk gegründet. Was willst du verändern?

 

In den letzten Jahren haben viele von uns festgestellt, dass eine erhebliche Anzahl von Theatermacher*innen gar nicht so recht weiß, was wir als Autor*innen so machen, wie wir das machen, was wir können, was wir leisten und beitragen wollen. Das hat nichts mit Desinteresse zu tun, sondern mit nicht etablierten Kommunikationsstrukturen. Regiesseur*innen oder Dramaturg*innen und auch Spieler*innen, die sich neuen Stoffen widmen oder Ideen und Konzepte schmieden, kommen oft nicht auf die Idee, dass Autor*innen an Bord durchaus Sinn ergeben, und wenn sie es tun, dann wissen sie oft nicht, wen wie ansprechen.


Das hört sich fast zu einfach an, ist aber das, was wir in Gesprächen mit anderen Gewerken gemeinsam festgestellt haben. Es zeigte sich: Dramaturgien haben Lust auf neue Texte, aber oft nicht die Zeit zu suchen. Regieteams haben das Bedürfnis danach, dass jemand schreibt "der*die es kann", aber nicht die Zeit und Ressourcen diese Position von Anfang an mitzudenken.

Wir als theaterautor*innen-netzwerk haben es uns als höchste Priorität gesetzt, den Austausch und das Vernetzen zwischen den Gewerken zu fördern. Gemeinsam mit dem Verband (VTheA) arbeiten wir an Sichtbarkeit, Solidarität und Fairness. Da zählen dann Aspekte wie Transparenz, Arbeitsbedingungen und Strukturveränderungen mit rein - im Bezug auf den Betrieb, aber auch auf Preisgelder- und Stipendienvergaben. Wir vom netzwerk sind jedoch an der Stelle radikaler, dass wir Autor*innen in Regieteams und an den Häusern als feste Positionen sehen. Wir sehen uns als Theatermacher*innen. Nicht nur am Schreibtisch.

 

Wenn du irgendwann einmal ein eigenes Theater gründen würdest, wie müsste es heißen?

 

Das Eleonore Kalkowska Theater mit Christa Winsloe Salon, Ilse Langner Lounge, usw.

 

Liebe Maria, vielen Dank für das Gespräch!

 

Bruchstücke bruised. not broken von Maria Milisavljevic ist bei FISCHER Taschenbuch erschienen. 


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