Noëlle Haeseling

Drei Fragen an…Noëlle Haeseling

Drei Fragen an…Noëlle Haeseling(c) Niklas Vogt

VON FISCHEN UND FRAUEN, das neue Theaterstück von Noëlle Haeseling, ist im Rahmen des Hans-Gratzer-Stipendiums am Schauspielhaus Wien entstanden und wurde dort mit dem Publikumspreis ausgezeichnet. Ein absurdes Theaterstück über das Warten, Hobbies, Scheitern, Entschleunigen, Angeln und den „großen Fang“. Oliver Franke hat mit Noëlle Haeseling über das Stück und ihr Schreiben gesprochen. Der Text wird am 01.06.2024 im Rahmen einer szenischen Lesung am Schauspielhaus Wien zu erleben sein.

 

Oliver Franke (OF): Du hast dein Stück VON FISCHEN UND FRAUEN mit "Kleines, extrem harmloses Drama übers Angeln" untertitelt. Eine bewusst gesetzte Finte, denn das Stück ist weder klein noch harmlos. Was hat dich zu diesem Text inspiriert?

 

Noëlle Haeseling (NH): Die Inspiration zu dem Stück ist aus einer längeren Beschäftigung mit den Themen „weibliche Absurde“ und „weiblicher Humor“ gewachsen. Wenn ich der Frage nachgehe, welche Figuren meinen Begriff von Absurdität und Komik im Theater geprägt haben, sind das in erster Linie „Clowns“, „Narren“, „Sidekicks“ von tragischen Hauptfiguren oder legendäre Duos zweier Figuren, die durch ihren komischen Auftritt das Publikum aufatmen lassen sollen. Diese Figuren haben mich immer auf einer tieferliegenden Ebene berührt, da sie neben der komischen und erlösenden Funktion, die sie haben, wie nebenbei auch immer die grundsätzlichen Fragen nach unserer Sinnhaftigkeit aufwerfen. Außer in Ausnahmefällen sind diese Figuren im Theater männlich gelesene Rollen. Ich bemerke, dass ich beim Schreiben selber dazu tendiere, eine „lustige Rolle“ eher für einen Mann zu entwickeln, ihm eher eine Pointe zuzuschreiben. Meine Fantasie für „komische“ oder „absurde“ Frauenrollen ist extrem begrenzt, obwohl ich selber eine Frau bin. Außerdem fällt mir auf, dass ich sehr oft von dem bedrückenden Gefühl, mich „frei schreiben“ zu müssen, begleitet werde, dem Gefühl, ein klares Anliegen zum Ausdruck bringen zu müssen, das wenigstens feministisch ist. Damit geht auch eine gewaltige Schwere und Ernsthaftigkeit einher. 

Ich sehe also ein geschlechtsspezifisches Ungleichgewicht darin, wer komische oder absurde Theatermittel in Anspruch nimmt. Deshalb habe ich das bekannteste absurde Theatersetting umfunktioniert: Das Warten (Tatsächlich gibt es eine rechtliche Bestimmung darüber, dass „Warten auf Godot“ bis heute wirklich nur mit Männern besetzt werden darf) Und wo wartet es sich besser als beim Angeln, was zufällig auch noch eine extreme Männerdomäne ist? Das fand ich eine spannende Grundlage.

 

OF: Du bist hauptberuflich Schauspielerin und hast bereits in Produktionen an der Komischen Oper, der Philharmonie Luxemburg und aktuell am Schauspiel Stuttgart mitgewirkt. Beeinflusst dich das Schauspielen beim Schreiben?

 

NH: Wäre das Spielen nicht meine erste „Theater-Disziplin“ gewesen, wäre ich bestimmt nicht dazu gekommen, Texte für die Bühne zu schreiben. Denn begonnen habe ich damit aus einer großen Unzufriedenheit und einem stark empfundenen körperlichen Widerstand im Schauspielstudium, der fast zu meiner Exmatrikulation geführt hat. Natürlich haben die Spielbarkeit eines Textes und die Bedeutung von Figuren oder Situationen einen ganz besonderen Stellenwert. Beim Spielen wünsche ich mir einen Rahmen, der zwar klar abgesteckt ist, damit ich mich fallen lassen kann, mich aber auch in meiner eigenen Fantasie ernst nimmt und anregt. Unfertige Szenen lese ich gerne mit Schauspiel Kolleg*innen, um herauszufinden, wo es noch hakt, wo der Spielfluss unterbrochen wird, wo ich mich beim Zuhören langweile. Das fliegt dann raus. Ich frage mich, ob es Spaß machen könnte, das zu spielen, ob das dynamisch ist, ob eine Verbindung zwischen den Figuren entstehen kann und auch zum Publikum. Die Erfahrungen um das eigene Gefühl beim Spielen, mögliche Ängste und das Bereitstellen des eigenen Körpers für die Bühne sind essentiell für die Art, wie ich schreibe. Das Abgeben des Textes an andere Spieler*innen ist dann eine wundervolle Art des Kontrollverlustes.

 

OF: Das Stück VON FISCHEN UND FRAUEN entstand im Rahmen des Hans-Gratzer-Stipendiums am Schauspielhaus Wien. Wie hast du die gemeinsame Arbeit am Text dort erlebt? Welche Erfahrungen konntest du in Wien sammeln?

 

Auf diese Weise habe ich bisher noch nicht an einem Text gearbeitet. Deshalb war alles daran für mich neu. Zu sehen, wie man überhaupt auf eine produktive Weise über Texte sprechen kann, die noch im Entstehen sind, war eine Riesenbereicherung und ist ein echtes Werkzeug. Das benötigt große Sensibilität. Die anderen Kolleg*innen mit ihren jeweiligen Zugängen und Anlässen zum Schreiben kennenzulernen, grundverschiedene Stilvorstellungen zu besprechen, zu hören welche Hoffnungen andere in das Theater als Medium legen, das war super anregend. Es ist mir nicht immer leicht gefallen, alles Geschriebene, teilweise gerade erst „Gefundene“ komplett zur Disposition zu stellen. Und auch nach stundenlangem Besprechen und Sezieren des eigenen Textes in der Gruppe dann wieder dem eigenen Kompass zu vertrauen. Nach diesen Sessions wieder an den einsamen Schreibtisch zurückzukehren, fühlte sich fast ein bisschen komisch an und gibt mir Anlass weiter über kollektive Schreibprozesse nachzudenken.


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