Thomas Hürlimann

Carleton
3 D, 5 H, St, 1 Dek.
UA: 14.09.1996 · Theater Neumarkt, Zürich · Regie: Volker Hesse
DSE: 15.09.1996 · Niedersächsisches Staatstheater, Hannover · Regie: Hartmut Wickert
In Kansas, dem Kornspeicher Amerikas, dem Land der unerschöpflichen Fruchtbarkeit, wächst nichts mehr: der Boden ist durch Raubbau ausgelaugt, vollständig verödet. [Dorthin] kommt Carleton, Agronom, Abgesandter der Regierung zu Washington, mit dem Auftrag, das Korn- und Dürreproblem zu lösen. Und Carleton löst es. Er durchquert die trockenen Steppen und die Eiswüsten Russlands auf der Suche nach dem widerstandsfähigsten Korn. Mit diesem russischen Wunderweizen wird in Amerika der Hunger besiegt, ein ungeahnter Reichtum schwappt über das Land. Doch der Überfluss selbst erzeugt eine neue Krise. Und wieder ist Carleton zur Stelle, nochmals begibt er sich auf eine halsbrecherische Fahrt, um Amerika zu erlösen.
Thomas Hürlimann erzählt diese Geschichte nicht als eine ungebrochene Fabel, er zeigt, in welchem Kopf sie entsteht und wuchert. Dr. Gottfried Benn gerät in den Sog des ruhelos wandernden Suchers Carleton. Carleton, schwankend zwischen Erlöserpose und Nichtigkeitsposse, fasziniert Benn: der kleine Beamte, der Amerika einen sagenhaften Reichtum brachte, hat selbst nicht die Gerissenheit, um an diesem Reichtum zu partizipieren.
Zugleich ist Dr. Benn in eine andere Geschichte verwickelt. Hürlimanns Stück spielt während einer einzigen Nacht, der geschichtsträchtigen Nacht des 30. Januar 1933 in Berlin. In dieser Nacht glaubt Benn Zeichen des Auf- und Umbruchs wahrzunehmen, glaubt ans Herannahen einer neuen Zeit. Doch während draußen die Nationalsozialisten paradieren, führt Benn seinen Carleton ins Delirium, in die Regionen des Wahns. ... Indem der Schweizer Dramatiker Carleton durch die Welt hetzt und Benn in seinem Arbeitszimmer brüten läßt, treten sie aus dem Dunkel: die Mythen des 20. Jahrhunderts, die Träume von Größe und selbstgemachter Erlösung. ... (Bruno Hitz)
Übersetzt in: English, French