Florian Felix Weyh

Fondue
Szenisches Oratorium in 15 Gesängen und 9 Intermezzi
3 D, 3 H, 1 Dek
Draußen tobt der Kampf um Brokdorf - und eine Gruppe linker Intellektuellen macht es sich in ihren vier Wänden bequem. Theorie und Praxis - das sind eben zwei selten vereinbare Prinzipien.
Fünf Frauen und Männer - 80er-Jahre-Epigonen der APO und alle links von der Mitte, aber mit unterschiedlicher Ausrichtung in ihren politischen Haltungen -, versammeln sich, um einen Abend mit Fondue und guten Gesprächen zu verbringen. Aber sich zu amüsieren fällt schwer. Alles ist belastet: das Fleisch, weil ein Rind dafür sterben mußte, der Salat, weil er nach Tschernobyl mit Cäsium 137 angereichert ist, die Literatur, weil sie von den "Göttern der Väter" geschrieben ist, die Beziehungskisten sowieso. Ideologische Dilemmas ohne Ende: "Trivial Pursuit" kommt aus den Staaten, "Risiko" ist zu militärisch, und der Feminismus auch nur die Wissenschaft, Pointen zu zerstören.
Man wartet auf Eduart, den sechsten im Bunde, als Einziger tatsächlich politisch aktiv. Er kommt, durchtränkt von Wasserwerfern und Tränengas. In seiner Plastiktüte finden sie drei Paar abgeschnittene Ohren. In Form eines Polizeiberichts rekapituliert er die Tat: als Agent provocateur verkleidete er sich als SEK-Beamter und schnitt seinen Komplizen die Ohren ab. Das Filmmaterial darüber soll die Stimmung gegen die Staatgewalt anheizen. Aber stimmt die Geschichte? Oder ist der Abschneider nur ein Aufschneider?

Fondue ist gleichzeitig ein ironischer wie ein resignativer Abgesang auf eine Republik, in der politisches Handeln immerhin noch an der Tagesordnung war. Ironisch in der amüsanten Bestandsaufnahme der Befindlichkeiten, resignativ, weil Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinanderklaffen.