Elias Canetti

Hochzeit
Stück in 5 Bildern mit 1 Vorspiel
11 D, 12 H, 6 Dek
UA: 13.11.1965 · Staatstheater Braunschweig · Regie: Alexander Wagner
„Es ist so, wie wenn Menschen in fremden Sprachen zueinander sprechen würden – ohne sie zu kennen; nur glauben sie, daß sie die Sprache kennen, wodurch eine neue Dimension des Nichtverstehens entsteht.“ (Elias Canetti über Hochzeit)

Babylonische Verwirrung herrscht außer in der Sprache auch in den Gemütern der Menschen, die sich, durch familiäre oder soziale Beziehungen mal enger, mal loser miteinander verknüpft, an diesem Tag in dem Wohnhaus der alten Gilz treffen. Unten wird gestorben, oben schreit ein Säugling, und in der Mitte offenbart jeder Gast auf der Hochzeit seine wahren Begehrlichkeiten. Besitzansprüche materieller wie physischer Art prasseln wild durcheinander. Kaum einer hält es noch für nötig, wenigstens das Trugbild bürgerlicher Anständigkeit aufrecht zu erhalten. Die Fassade bröckelt nicht mehr: sie löst sich bereits in gewaltigen Fetzen. Der Reigen aus Begierde, Unterdrückung und Heuchelei macht nicht einmal vor den schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft halt. Im Gegenteil. Und zu allem schreit der Papagei der alten Gilz: „Haus. Haus. Haus.“

Das Haus wird tatsächlich zusammenstürzen und mit ihm das Fundament einer ganzen Gesellschaft. Kurz vor der Machtergreifung der Nazis geschrieben, beschreibt Hochzeit in aberwitzigen Dialogen, wie Egoismus und der daraus resultierende Werteverfall zu einem absoluten Kontrollverlust führen kann. Übrig bleibt die Katastrophe.
Übersetzt in: Flemish