Der Ursprung der Parabel vom Fuchs Reineke, dem Wolf Isegrim, vom König Nobel und der ganzen domestizierten und ungezähmten Tierwelt liegt noch im Dunkel. Das Aufzeigen einer egoistischen, korrupten Gesellschaft, in der Missgunst, Schadenfreude, Gier, Bestechung und Opportunismus in jedem Augenblick angesagt sind und den politischen Alltag charakterisieren, sind Wolfram Mehring an sich schon Grund genug für eine weitere Bearbeitung dieses uralten Stoffes. Die Darstellung einer typisierten Welt, in der die menschliche Natur wie durch ein Prisma in tierisch-anthropomorphe Silhouetten zerlegt wird, ist eine reizvolle theatralische Aufgabe. Ein selbstgefälliger König Nobel, die geldgierige Königin Fiere, der cholerisch-eifersüchtige Wolf Isegrim, ein kriecherischer Dachs Grimbart, die nymphomane Giermund, der naive Hase Lampe, das furchtsame Hündchen Wackerlos, der eitle Hahn Henning und der listige Fuchs Reineke geben ein Panoptikum menschlicher Besonderheiten, an dem Molière seine Freude gehabt hätte. Allen Figuren dieses Stücks ist eines gemeinsam: Lüge und Heuchelei. Und allen gemein ist, was - außer persönlichen "Untugenden" - durch Heuchelei und Lüge verborgen werden soll: der Kampf um die Positionen in der politischen Hierarchie.
"Wir alle leben unter demselben Himmel, doch hat jeder seinen eigenen Horizont. Das Besondere des kindlichen Horizonts ist seine unendliche Weite. Alles kann ihn bevölkern, alles hat Platz in ihm. Doch zu oft reduzieren ihn eine phantasielose Erwachsenen-Autorität, bis nur noch das für den eigenen Nutzen quantifizierbar Zweckmäßige Platz in ihm findet, das Ego den Zugang zum anderen verstellt." (Wolfram Mehring)
Wolfram Mehring
Reineke Fuchs
Nach dem gleichnamigen Epos in zwölf Gesängen von Johann Wolfgang von Goethe
12 Darsteller, 1 Dek
UA: 16.03.1997 · Rheinisches Landestheater, Neuss