Florian Felix Weyh

Triage
Szenen
3 D, 1 H, Chor
UA: 12.04.1996 · Saarländisches Staatstheater, Saarbrücken · Regie: Kurt Josef Schildknecht
Paula, 50, hat es geschafft. Die Grafikerin führt ein florierendes Werbebüro. Ihre Angestellten fürchten sie; sie ist eine harte Frau. Umgeben von Monitoren lauscht sie ihren eigenen Worten; jeder zweite Slogan stammt aus ihrem Haus.
Wenn sie sich ärgern will, besucht sie ihren Sohn. Jakob, 22, ist unnütz; er erfindet Dinge, die es schon gibt oder die keiner haben will. Paulas Schwachstelle heißt Jakob; ein würdiger Nachkomme sieht anders aus.
Doch Ungemach droht von anderer Seite. Paulas Mutter, von der Tochter zur Werbefigur gemacht, bricht im Fotostudio zusammen. "Persistentes apallisches Syndrom" lautet der Befund - die Mutter wird aus dem Koma nie mehr erwachen, doch bis sie stirbt, kann Zeit vergehen. Zeit, die kostet. Paulas Leben gerät aus den Fugen. Unverhohlen legt man ihr im Krankenhaus die Sterbehilfe nahe. Ein kleiner Schalterdruck, mehr nicht. Paula ist hin- und hergerissen und konsultiert die Stützen ihrer Welt. Doch aus den Monitoren ertönen schwache Sentenzen; ihre Sprache reicht zu Trost und Hoffnung nicht. Da wächst aus dem Nichts Lisa empor; das Geheimnis ist ihre Herkunft, und ihre Herkunft ein Geheimnis.
Sie weicht Paula nicht mehr von den Fersen, ein Schatten der Vergangenheit oder eines anderen Lebens, das Paula schon vor Jahren abgelegt hat. Am Ende wartet der Tod - für die Mutter und für Lisa, die beide an Paula verenden.
Triage ist ein formal strenges Chorstück, das die Welt anders wahrnimmt und wiedergibt als die veristischen Bildermedien unserer Tage. (Florian Felix Weyh)