Theater

Edward Albee

Der Sandkasten

(The Sandbox)

Mammi und Pappi, stinkreich und bis zur Erstarrung bürgerlich, haben Oma an den Strand gebracht und auf einem Sandkasten abgeladen. Nun warten sie auf den Tod der alten Dame, nicht ohne lakonisch die Trostlosigkeit ihrer Ehe zu zelebrieren. Da wird Hautkontakt zum "Igitt-Erlebnis" und Kommunikation zum Kraftakt. Im Hintergrund, im goldenen Licht der allgegenwärtigen Sonne, lässt ein kalifornischer Dreamboy effektvoll die Muskeln spielen. Ein Musiker wurde engagiert, um das Dahinscheiden würdig zu untermalen, das ewige Licht ist schon entzündet, das Tränentüchlein liegt griffbereit im Schoß. Allerdings hat Oma es mit dem Sterben nicht so eilig, sondern ärgert die Tochter, wirft Sand und hört Radio. Erst als "Mammi" und "Pappi" verschwunden sind, fügt sich Oma in ihr unwiederrufliches Geschick. Der athletische Dreamboy, Sinnbild für Kraft und Jugend des "amerikanischen Traumes" erweist sich als ihr Todesengel.

Deutsch von Pinkas Braun

2 D, 3 H, 1 Dek

UA: 1960 · New York

DSE: 20.12.1966 · Stadttheater Bremerhaven

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Theater
Edward Albee

Der Mann, der drei Arme hatte

1 D, 2 H, 1 Dek

Sie hatten viele Berühmtheiten da: Albert Einstein, Paul Tillich, Dylan Thomas, Robert Frost. Seit 33 Jahren läuft die Vortragsreihe "Männer über Männer", und nur selten passiert den Veranstaltern ein Lapsus wie der, einen bereits verstorbenen Prominenten einzuladen. Der 231. Vortrag steht an: Der Mann, der drei Arme hatte, ist zu Gast. Eine Sensation, zumindest eine gewesene. Er muss sich in Fahrt reden, doch wenn er dann erzählt, ist er kaum zu bremsen. Seine Wut ist immens. Wut über die immer gleichen Empfänge, Wut über das Beäugtwerden. "Sie sind ein Missgeschick der Natur.", zischte ihm ausgerechnet ein Priester zu. Sein Resultat aus der Bekanntschaft mit der Welt ist schroffer Defätismus: das Leben ist nutzlos.
Schließlich erzählt er doch noch von seiner Laufbahn als abnorme Attraktion. Er wollte nichts weiter als den "amerikanischen Traum" leben, einfach und glücklich: ein Haus, eine Frau, Kinder, Karriere. Und er hatte es erreicht - bis ihm der dritte Arm wuchs. Der macht ihn zwar berühmt, aber schnell lernt er auch die Schattenseite der Publicity kennen. Ein (Spießruten)Lauf durch Hörsäle und Talkshows stärkt zwar sein Ego, jedoch so sehr, dass ihn seine Frau verläßt. Alles geht schief. Sein Agent betrügt ihn, er steht mit horrenden Schulden da. Als wollte auch er ihn verhöhnen, zieht sich der dritte Arm zurück. Am Tiefpunkt seiner Laufbahn - hier und jetzt als abgehalfterte Prominenz - beschimpft er zutiefst verzweifelt das Publikum, das ihn als Monstrum verehrte, jetzt aber fallen lässt.

Albees Selbstanalyse - früh als genialer Autor gefeiert, misslang ihm danach zunächst ein Stück nach dem anderen - gemahnt an den Voyeurismus der heutigen "Superstar"-Epoche.

Theater
Edward Albee

Alles vorbei

Deutsch von Pinkas Braun
4 D, 6 H, 1 Dek

Ein Mann liegt im Sterben. Seine Ehefrau, die beiden erwachsenen Kinder, seine langjährige Geliebte und sein bester Freund, wiederum ein Ex-Liebhaber seiner Frau, haben sich im Zimmer versammelt - eine explosive Konstellation in einem tragischen Moment. Doch anders als man meinen sollte, wissen die beiden Frauen die Distanz zu wahren, sie verstehen sich sogar ausnehmend gut. Nur in dem Punkt, wer über die Beerdigungszeremonie bestimmen darf, sind sie uneinig. Ansonsten herrscht in Erwartung des Todes nüchterne Gelassenheit vor. Ganz anders als bei dem Sohn und der Tochter, die ein "Leben in Abwehrstellung" führen: Konfrontiert mit dem Vorwurf, es nur zu einer unbedeutenden, nichtssagenden Existenz gebracht zu haben, ist ihre Stimmung gereizt, mitunter aggressiv. Sie sehnen das Ableben des Vaters herbei. Endlich würden sich die Familienbande lösen, endlich wären sie frei. Womöglich hätte auch die "Sitte des Hauses", dass man am Ende eines Streits immer an den Ausgangspunkt zurückkehrt, ein Ende.
Verdammt zum Nichtstun, rekapitulieren die Versammelten Abschnitte ihres Lebens, beiläufig die einen, erregt bis zum Verstummen die anderen: der beste Freund, der seine Frau in die Psychiatrie einweisen ließ; die Geliebte, die sich nach den Ritualen, wie sie eine Ehefrau erlebt, sehnte; die Tochter, die von ihrem Mann geschlagen wird. Je länger das Sterben dauert, desto stärker wird auch die Angst vor der Endgültigkeit. Dagegen reden sie an, bis die Ehefrau die erdrückende Fatalität in ein echtes Gefühl zu verwandeln mag.

Theater
Edward Albee

Malcolm

Deutsch von Pinkas Braun
4 D, 11 H, Verwandlungsdek

Seit Monaten wartet Malcolm vor der Bank eines Hotels auf seinen verschwundenen Vater. Er ist jung, schön, unbedarft und wie ein Schwamm, der alles aufsaugt, ohne es zu hinterfragen. Die perfekte Projektionsfläche für Wünsche aller Art. Cox, Spielmacher und Mitspieler in einem, reicht ihn herum. Malcolm hat überall Erfolg: beim uralten Kermit und seiner Frau Laureen; bei den reichen Girads; bei der Nutte Ethel, der Malerin Eloisa und dem Showstar Melba. Sie machen sich ein Bild von ihm, und er spielt bedingungslos mit. Für Mdme Girard, flankiert von vier Schönheitskönigen, ist er der neue Prinz. Eloisa hält ihn nicht nur für das schönste Modell, sondern lässt ihn auch gemeinsam mit ihrem Mann Jerome durch die Betten von Jazz-Musikern wandern. Das Portrait von ihm bringt ihr eine hohe Summe ein. Jerome erzielt mit dem Verkauf des "Originals" Malcolm weitaus weniger. Malcolm versteht diese Welt nicht. Er schreit nach seinem Vater. "Was soll aus mir werden?"
Melba bietet ihm die endgültige Antwort auf diese Frage. Sie macht den 15jährigen zu ihrem Mann, während die anderen sich streiten und neue Konstellationen bilden. Malcolm wird immer dünner, ausgezehrt vom Liebesspiel. Der Arzt diagnostiziert eine akute Alkoholvergiftung und sexuelle Hyperästhesie. Er stirbt. "Wir haben uns bemüht", sagen die, die nach seinen Bedürfnissen nie gefragt haben.

Ist man verloren, hängt man sich an alles. Albee geht ins Extrem, um über Menschen zu erzählen, die nicht wissen, woher und wohin und für die die Frage nach dem Sinn allein die Frage nach der Befriedigung von Wünschen ist. Egoistische Leidenschaft, der Mensch als Objekt - Oscar Wildes "Dorian Gray" ist nicht weit entfernt.

DSE Frei
Theater
Edward Albee

Me, Myself and I

Deutsch von Michael Walter
2 D, 3 H, St

Im neuesten Stück von Edward Albee geht es um Identität und Selbst, um Abhängigkeiten und Unabhängigkeit im Kontext von Familie. Und der Altmeister hatte ganz offensichtlich Spaß beim Schreiben dieses absurden Stücks, mit dem er seine Zuschauer reichlich verwirrt.
Kein Albee-Familienstück ohne die Figur der unaufmerksamen, nachlässigen Mutter. Die Mutter in Me, Myself and I hat achtundzwanzigjährige eineiige Zwillinge, die sie nicht auseinanderhalten kann. Was sicher nicht nur, aber vielleicht auch daran liegt, dass sie beide Otto heißen, obwohl einer OTTO (laut) ist und der andere otto (leise). Der Vater der Zwillinge hat sich direkt nach ihrer Geburt aus der Familie verabschiedet und ist seitdem verschollen. Kurz danach ist der Mann, der einfach als „Dr.“ bekannt ist, in Mutters Leben und Bett aufgetaucht – als ihr Psychiater? - und seitdem nicht von dort gewichen.

Zu Beginn des Stücks verkündet der Großbuchstaben-Otto, der laute Otto, dass er zwei Dinge beschlossen hat, nämlich dass er Chinese wird – denn die Zukunft liegt im Asien und er will daran teilhaben – und dass sein Bruder nicht mehr existiert. Verständlicherweise ist die Familie von diesen Aussagen beunruhigt, allen voran Kleinbuchstaben-Otto, dem seine Negierung Kummer macht. OTTO hat leichtes Spiel, seine Mutter davon zu überzeugen, dass einer ihrer Söhne nur in ihrer Einbildung existiert…

Digitales Textbuch