"Es hat der Mensch für eine Wahrheit einzutreten eine Eintrittshemmung" – Laudatio auf Ewald Palmetshofer aus Anlass des Else Lasker-Schüler-Dramatikerpreises 2018

"Es hat der Mensch für eine Wahrheit einzutreten eine Eintrittshemmung" – Laudatio auf Ewald Palmetshofer aus Anlass des Else Lasker-Schüler-Dramatikerpreises 2018 ©Georg Petermichl

Der Dramatiker Ewald Palmetshofer erhielt am 19.10.2018 den Else-Lasker-Schüler-Dramatikerpreis für sein dramatisches Werk. Die Auszeichnung wurde im Pfalztheater Kaiserslautern vergeben. Mit folgender Laudatio würdigte seine Lektorin und Leiterin des S. Fischer Theaterverlags Friederike Emmerling den Dramatiker: 

 

Es hat der Mensch für eine Wahrheit einzutreten eine Eintrittshemmung
sagt die Junge über die Alte in Ewald Palmetshofers Stück die unverheiratete
Es hat der Mensch für eine Wahrheit einzutreten eine Eintrittshemmung
Da hat sie schon sehr Recht,
die Junge.
Und der ihr diese Worte in den Mund legende Autor auch.
Denn mit dieser Hemmung kennt er sich aus.
Auch seine Figuren schrecken immer wieder zurück vor der Wahrheit,
beugen, biegen und ducken sich weg, um mit ihr nicht konfrontiert zu werden.
Ein Abbilder dieser Eintrittshemmung ist er, und zwar ein äußerst präziser.

Ewald Palmetshofer bekommt den Else-Lasker-Schüler-Dramatikerpreis.
Und damit bekommt nicht nur ein sprachlicher Mehrwertschöpfer diesen Preis,
sondern auch ein hoch sensibler Betrachter menschlicher Ängste, nicht ohne Humor.
Ewald Palmetshofer hat in den vergangenen Jahren viele Stücke geschrieben.
Die Zeit ist zu kurz, um auf alle einzugehen
Also versuche ich, die Besonderheit seines Werks exemplarisch zu beschreiben.
Und bitte darum, im Hinterkopf zu behalten,
dass all das nicht Erwähnte völlig zu Unrecht nicht erwähnt wird.

 

2007 eröffnete eine Uraufführung des noch nahezu unbekannten Autors
das Wiener Schauspielhaus in der Intendanz von Andreas Beck.
Dieses Stück hieß
hamlet ist tot. keine schwerkraft.
Und seine Inszenierung wurde ein großer Erfolg.
Denn das, was da im Schauspielhaus zu hören war,
hörte sich ganz anders an
als Dramatik
DAVOR.
Palmetshofer schrieb in einer Sprache, die zwar wie Sprache klang
sich ihrer selbst aber sprechend entledigte.
Vom Mund weggeschrieben verschluckte diese Sprache ihre Vollständigkeit
in Stummelsätzen und traf damit genau ins Schwarze,
nämlich ins floskelhafte Nichts von Small Talk Kommunikation.

 

Ewald Palmetshofer schrieb den Menschen mäandernde Endlossätze auf den Leib
als passierte ihnen das Denken auf der Bühne.
Monologisierende Erkenntnisbrocken wurden förmlich rausgekotzt,
aufgestaut drängten sie – vulgär - nach draußen, durch den Mund hinaus, weil nur das Platzen sonst noch übrig blieb.
Und so platzt es schließlich auch aus der Dani in hamlet ist tot hinaus:

 

Du denkst dir, das ist jetzt die Unendlichkeit. Ja, ist ein scheiß Gedanke, weißt du
selber auch, braucht dir keiner sagen, ist ein scheiß Gedanke, aber bitte verdammt,
den gönnst du dir jetzt mal, den gönnst du dir jetzt mal, dass das jetzt die
Unendlichkeit ist oder sein könnte oder würde oder gewesen sein wird, nein, müsste,
müsste verdammt, die Unendlichkeit sein müsste, verdammte Drecksscheiße
verdammte, und dass du da jetzt so ein Gefühl hast, das dir sagt, dass das jetzt die
Unendlichkeit, dass das ewig, unendlich, dass das in die Breite, in die Breite
unendlich.

 

Er schrieb weiter Stücke, die das Theater herausforderten,
u.a. mit Uraufführungen am Schauspielhaus Wien und später am Burgtheater.
Mit die unverheiratete gewann Ewald Palmetshofer 2015 den Mülheimer Dramatiker Preis.
Die Uraufführungsinszenierung von Robert Borgmann wurde außerdem zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen.
Bei diesem Stück handelt es sich um eine
hochkomplexe, vergangenheitsbewältigende Sprachpartitur,
gesprochen und gespielt - von 7 Frauen.
Was für eine Energie.
In der gefeierten Inszenierung des Burgtheaters stand
die Grande Elisabeth Orth
mit 80 Jahren
so stur, zerrissen und gleichzeitig zerbrechlich auf der Bühne,  
so kongenial zu diesem Schreiben spielte sie,
dass man sich wünschte
diese Vorstellung würde nie enden -
Auch der anderen wunderbare Frauen wegen nicht,
die Ewald Palmetshofer verzweifelt, stolz, auch trotzig aufbegehren lässt
gegen das Leben, das ihnen gegeben wurde.
Die Alte in die unverheiratete saß lange im Gefängnis
weil sie einen desertierenden Jungsoldaten denunzierte
kurz vor Kriegsschluss.
Wusste sie, dass das den Bub sein Leben kosten würde?
Oder geschah das bloß in aller Unschuld?
Das Verraten?
Wie es wirklich war?
Unklar.
Es hat der Mensch für eine Wahrheit einzutreten eine Eintrittshemmung
Drei Leben, drei Generationen kaputt geschwiegen,
weil zu wenig offen ausgesprochen wurde.
Einander.
Miteinander.
Nein.
Immer nur alleine, eine jede für sich.
Die Männer definieren sich in diesem Stück nur noch über die Erzählung ihrer Abwesenheit
diese Frauen brauchen sie nicht mehr.
Der Mann Ewald Palmetshofer zeichnet in seinen Stücken Frauen so genau,
wie fast nur Frauen Frauen sehn können.
Wie nah er ihnen kommt.
Er nimmt sie ernst - ohne Geschlecht
sind sie am Leiden oder am sich Freuen
Wie alle andern auch.
In jedem – ob Mann ob Frau –  sieht er den Mensch
liebevoll erbarmungslos, ohne Wertung legt er Spuren frei,
beschreibt sie so präzis, als steckten sie in unseren Köpfen drin.

 

2017 kam seine Hauptmann Adaption Vor Sonnenaufgang zur Uraufführung.
Hier diskutieren zwei alte Studienfreunde ihre Weltanschauungen
die mal sehr links und sehr identisch waren
und sich in den vergangenen 12 Jahren irgendwie verschoben haben,
zumindest bei einem
und zwar ziemlich nach rechts.
Was wäre da einfacher als zu verurteilen?
Als einfach schon zu wissen, dass der schön dumm ist.
Verachtenswert.                                   
Weil wir uns da im Theater doch oft sehr einig sind.
Und weil das Verurteilen erst einmal höchst einfach scheint,
für den Moment.
Die Figuren in Vor Sonnenaufgang tun das nicht.
Sie tun etwas anderes.
Überraschenderweise versuchen sie, einander zu verstehen.
Und obwohl sie einander hören, will ihnen aber trotzdem das Verstehen nicht gelingen.
Ewald Palmetshofer stellte in einem Interview zu diesem Stück eine interessante Frage:
„Was, wenn wir es viel eher mit zwei unterschiedlichen Arten der politischen Vernunft zu
tun haben, die jedoch füreinander radikal unübersetzbar, ohne gemeinsames, geteiltes
drittes Element, einander völlig fremd oder entfremdet gegenüberstehen?“
Wie sollen wir denn dann noch miteinander reden?
Wenn der andere unübersetzbar für mich denkt?
Und wer oder was kann dieses dritte Element sein?
Vielleicht das Theater?
Als Gesprächskatalysator?
Eine Gesprächskatalysatordramatik, die ein Miteinanderreden fast erzwingt?
Und den Riss überbrücken kann?
Wer weiß?
Im Stück scheitert das Gespräch der Männer
und alle anderen Zukunftspläne auch.
Helene, die angereiste Schwester, spricht schon zu Beginn traurige Worte,
ahnungsvoll: 

 

wir sind
hier
wie am dritten Tag
stehen wir
und schon alles passiert
kein Wunder gescheh’n
aber deswegen weinen wir nicht
wir weinen überhaupt nicht mehr

 

Eines meiner beeindruckendsten Theatererlebnisse
ereignete sich nach der Uraufführungs-Premiere von Vor Sonnenaufgang in Basel,
Nora Schlocker führte Regie.
Am Ende dieses anfänglich sehr komischen Stücks
–  denn die Stücke von Ewald Palmetshofer sind bei aller Schwere auch immer sehr komisch in der Betrachtung der menschlichen Schwächen  –
Am Ende dieses Stücks sind alle Figuren alleine.
Auf der Bühne beginnt ein neuer Tag
nach dieser schrecklichen dritten Nacht,
in der Martha ihr Kind verliert
und mit ihm die Zukunft.
Und trotzdem geht die Sonne wieder auf.
Ein riesiger Schweinwerfer wie ein Feuerball
blendet den Zuschauerraum.
Dann Black.
Und Stille.
Eine Stille, die klar signalisiert, dass alle wissen: Dieses Stück ist jetzt vorbei.
Und dennoch
keiner klatscht.
Einfach Stille.
Minutenlang
herrscht ein stummer Konsens, dass es ein Dazwischen braucht,
zwischen dem Schmerz
und
dem Applaus.
Und rückblickend scheint es mir, als hätten wir uns dort dem Kern der Dinge genähert.
Dem Kern, der in Wahrheit weitaus mehr ist als nur einer.
Viele ist er und zwar viele gemeinsam.
Indem das Stück eine Symbiose einging mit dem Theater, den Zuschauern, dem Schauspiel,
der Bühne, der Regie, dem Ton, dem Licht, der Dramaturgie, Assistentinnen und Hospitanten
und vielen vielen mehr, die für das Theater arbeiten und in das Theater gehen und an das Theater glauben –
ergaben sich diese Minuten der gemeinsamen Stille von ein paar hundert Menschen.
Alle hatten darauf hingearbeitet
nicht, weil sie ihn planten
diesen Moment,
sondern weil sie das Theater und das zu Verhandelnde ernst nahmen.

 

Als Else Lasker-Schüler 1908 ihr erstes Theaterstück schrieb
(angeblich in einer einzigen Nacht)
war das Erstaunen groß.
Denn es war weder poetisch noch phantastisch,
sondern rau und dreckig:
Die Wupper.
Es handelte von der Armut der Fabrikarbeiter
und dem verfallenden Wohlstand einer Fabrikantenfamilie.
Ein großes Tableau
von einer sich auflösenden, orientierungslosen Gesellschaft.
Die Weber von Gerhardt Hauptmann dienten ihr als Vorbild.
Auch sprachlich -  in der Verwendung von Dialekten.
Genauso wie sich Ewald Palmetshofer Hauptmann als Vorbild nahm,
weil er spürte, dass es wieder so weit ist!
Und wie Else Lasker-Schüler borgte auch er sich bei Hauptmann das Bild der orientierungslosen Gesellschaft, um es ins Heute zu holen.
Und transkribierte das Schlesische des Originals in eine heutige Umgangssprache.
Beide - Autorin und Autor - vereint die Sorge,
dass sich etwas Existentielles im Begriff ist aufzulösen.
Menschen: ziel- und hoffnungslos.
Das sollte uns nachdenklich stimmen.
Denn eine Gesellschaft ohne Hoffnung, wie soll das gehen?

 

Die Hoffnung stirbt zuletzt, heißt es doch so schön
Doch auch diesem Satz horchte Ewald Palmetshofer nach.
In räuber.schuldengenital (uraufgeführt 2012 am Akademietheater)
zerlegt er ihn in Wort und Sinn
bis am Ende  eigentlich etwas anderes,
sicher aber die Hohlheit dieser Phrase anklingt,
und so fragt sich Karl in räuber.schuldengenital:

 

die Dinge alle tot, die Hoffnung hat sie alle
abgewartet, alle, bis zuletzt, bis alle tot, dem
letzten Ding vermutlich hinterhergerufen: „komm
gleich nach“, ruft sie, die Hoffnung, „komm gleich
nach, ich sterb zuletzt, ich wart nur kurz“, schaut
sich noch ein  Mal um, ob sie auch keinen überseh’n,
„nein, alles weg“ sagt sie, die Hoffnung, alles
weg, „ich geh dann auch“, sagt sie
verendet
stirbt
naja, wie schon gesagt,
zuletzt

 

Doch wer weiß, ob diese Hoffnung auf ein Morgen wirklich schon gegangen ist?
Im Werk von Ewald Palmetshofer?
Ich denke nicht.
Denn in seinem jüngsten Werk schimmert sie am Ende wieder auf:
In König Arthur, einer Überschreibung der Semioper von Henry Purcell und John Dryden,
die erst im September Premiere am Theater Basel hatte - mit Oper und Ballett.
Ewald Palmetshofer nahm sich dieses holzschnittartige,
stark von Heldenruhm durchzogene Märchenspiel vor
und übersetzte es behutsam,
jambisch klingend,
lyrisch in die Musik Purcells hineinschreitend,
in eine märchenhafte Relevanz.
Und ganz am Ende tat er etwas, was hoffen lässt:
Er ließ den Britenkönig nicht gewinnen
(wie im Original),
sondern ganz im Gegenteil:
Er ließ NIEMANDEN verlieren!
Denn am Ende unterschreiben ALLE, ALLE einen Friedensvertrag,
weil der Zauberer Merlin einen jeden sich im anderen wiederfinden lässt: 

 

was sich bevorteilt
seinen Fuß auf andre setzt
sich besser wähnt
sich drüber stellt
nach unten tritt
statt hoch zu helfen
DAS
all DAS ist unser Übel
und dies Übel kommt von hier
und hier sind alle
Sachsen
Briten
wir
sind gleich
es gibt kein Menschenwesen
das nicht meinesgleichen ist
sei's noch so schrecklich
schwer ist auszuhalten das
genau so ist's
es gibt nur uns
und uns ist alle
ohne Unterschied 

 

Ewald Palmetshofer ist für mich der Inbegriff eines Dramatikers.
Und zwar weil er für das Theater schreibt und denkt
und durch das Theater hindurch die Welt berühren will.
Seine Mittel sind
die Sprache,
der Wille zur Form und  
seine außergewöhnliche Sensibilität.
Wie ein Seismograph erkennt er gesellschaftliche Verschiebungen,
bevor wir sie auch nur erahnen.
Und seine Worte lässt er in unseren Köpfen tanzen,
weil nicht nur das Gesagte wichtig ist, sondern auch, wie es gesagt wird.
Weil eben manchmal das Gesagte unwichtig ist,
aber umso weniger das währenddessen Nichtgesagte.
Dieser Autor ist ein Meister in der Wahrnehmung des Risses.
Des Risses, der durch die Gesellschaft geht.
Dieser Riss ist beim ihm zwar nicht gleich sichtbar
aber unmittelbar hörbar.
Denn der Riss geht bei Ewald Palmetshofer durch die Sprache,
die nicht weniger als ein filigraner lyrischer Sprengsatz ist.

 

Man merkt seinem Schreiben an, dass er als Dramaturg am Theater arbeitet:
So akribisch bedenkt er das Spiel auf der Bühne
und so sensibel legt er Worte in die Münder und Körper der Schauspielerinnen.
Beim Lesen ist der Zauber seines Schreibens
gar nicht gleich zu greifen,
die Sprache wirke lesend manchmal kompliziert,
mag manch einer sagen
ohne zu wissen
dass diese Sprache doch nur aufs Sprechen wartet
wie ein Ballon auf  Luft
so wartet Ewald Palmetshofers Sprache
auf das Sprechen,
das sie, erlöst vom Druckpapier, leicht und rhythmisch schweben lässt.

 

Ewald Palmetshofer hat mit seinen Stücken viele Türen zur Wahrheit geöffnet,
nun ist es an uns!
Eine Klarheit brauchen wir uns nicht erwarten.
Seine Kategorien sind nicht schwarz und weiß.
Eher die des unendliche Dazwischen.
Die unermessliche Vielfalt an Facetten, die das Menschliche zu bieten hat.
Deswegen wissen wir auch nie, wer gut oder böse ist.
Denn so ein Denken gibt es bei ihm nicht.
Ein Glück.
Die Wahrheit liegt immer irgendwo dazwischen, eingeklemmt.
Alle sind alles.
Und alles sind wir.

 

Lieber Ewald, ich danke Dir von Herzen dafür, dass Du so schreibst wie Du schreibst.
Und dass Du den Schmerz nicht scheust. Sowohl beim Schreiben als auch beim Zumuten.

 

Herzlichen Glückwunsch zum Else Lasker-Schüler-Dramatikerpreis 2018.


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